Nachdem auszuschließen ist, dass die malaysische Boeing 777, Flug MH17, durch ein Kampfflugzeug vom Himmel geschossen wurde (s. Teil 1, Ossietzky 24/2015), bleibt zu klären, ob die von der niederländischen Untersuchungskommission in ihrem Bericht vorgetragene Alternative schlüssig ist, nämlich dass der Airliner vom Boden aus mit dem FlaRak-System Buk M1, im Westen als SA-11 Gadfly bezeichnet, abgeschossen wurde. Aus meiner Sicht als ehemaliger FlaRak-Feuerleitoffizier sprechen sämtliche bekannt gewordenen Fakten und auch die Fotos des Flugzeugwracks für diese These, vor allem weil die Maschine vorne am Cockpit, präziser vorne links oberhalb desselben getroffen wurde. Exakt dies entspricht der üblichen Wirkweise eines FlaRak-Systems, an dem ich selbst einst ausgebildet und eingesetzt wurde.
Wie muss man sich das vorstellen? Zunächst wird ein Flugzeug im Luftraum vom Radar des FlaRak-Systems erfasst und beleuchtet – vergleichbar etwa mit dem Lichtstrahl einer Taschenlampe, der nachts auf ein Verkehrsschild gerichtet wird, welches dann das einfallende Licht reflektiert. Nur spielt sich im Falle eines Radarsystems der Vorgang mit unsichtbarer elektromagnetischer Strahlung auf sehr viel weitere Distanz ab. Anhand der vom Flugziel in die Empfangsantenne reflektierten Radarstrahlung bestimmt der Feuerleitrechner Seitenwinkel, Fluggeschwindigkeit und Flughöhe desselben. Zusätzlich identifiziert ein Freund-Feind-Kennradar (IFF/SIF) ein Flugzeug als freundlich oder feindlich. In Friedenszeiten wird das IFF im zivilen Flugverkehr genutzt, um präzise Flugdaten an die Luftraumkontrollzentren zu übermitteln – woraus folgt, dass die Fluglotsen in Kiew über präzise Daten des Fluges MH17 verfügt haben müssen. Dies gilt freilich keineswegs für die Feuerleitcrew eines FlaRak-Systems, der diese präzisen IFF-Daten nicht zur Verfügung stehen, ungeachtet der Frage, ob sie überhaupt vom IFF/SIF Gebrauch macht, was nicht zwingend erforderlich ist.
Ist ein Flugzeug vom Radar eines FlaRak-Systems erfasst und identifiziert worden, erstellt der Feuerleitrechner anhand spezieller Programme, in die auch taktische Parameter eingehen, eine Bedrohungsanalyse und kategorisiert für den Fall, dass sich im Luftraum mehrere Flugziele befinden, diese nach der von ihnen ausgehenden Bedrohung. Der Feuerleitrechner klassifiziert Flugziele, die sich sehr schnell, sehr tief und direkt im Anflug befinden als die gefährlichsten, die mit höchster Priorität zu bekämpfen sind; während auf Flugzeuge, die sich mehr oder weniger tangential zur FlaRak-Stellung oder gar von ihr weg bewegen, in aller Regel nicht geschossen wird, da sie keine direkte Bedrohung darstellen und die Trefferwahrscheinlichkeit dramatisch sinkt respektive gegen null geht.
Soll ein Flugziel tatsächlich bekämpft werden, errechnet der Feuerleitrechner einen sogenannten Predicted Intercept Point (PIP), also einen Punkt im Luftraum, an dem ein anzugreifendes Flugzeug und die abgefeuerte Flugabwehrrakete sich voraussichtlich treffen werden. Der PIP wird fortlaufend vom Feuerleitrechner aktualisiert und an das Startgerät und den Flugkörper übermittelt. Sobald die Feuerleitcrew den Abschuss der Flugabwehrrakete freigegeben hat, fliegt diese auf den PIP zu, der stets vor dem Flugziel liegt. Der Flugkörper verfügt entweder selbst über ein Radar, welches das Flugziel beleuchtet (aktives Verfahren), oder er besitzt lediglich eine Empfangsantenne und steuert sich mittels der vom Flugziel reflektierten Radarstrahlung des am Boden befindlichen FlaRak-Systems in sein Ziel (semiaktives Verfahren).
Im Endanflug nähert sich die Flugabwehrrakete dann ihrem Ziel von vorn und von oben, so dass der Gefechtskopf unmittelbar vor und oberhalb des Flugzeuges mittels eines Annäherungszünders zur Detonation gebracht wird. Exakt diesem Vorgang entspricht das Trefferbild der abgeschossenen Boeing 777 der Malaysian Airlines, nämlich links vorn oberhalb des Cockpits (im eher seltenen »Idealfall« trifft die Rakete das Flugzeug direkt und explodiert dann mittels eines Aufschlagzünders, dies war bei MH17 aber erkennbar nicht der Fall).
Der Gefechtskopf – im Fall der SA-11 handelt es sich um circa 70 Kilogramm hochexplosiven Sprengstoff – ist von einem Mantel vorfragmentierter Stahlwürfel umhüllt und erzeugt bei der Detonation eine Splitterwolke, in die das Flugzeug hineinrast. Im Hinblick auf die Trefferwirkung sind die exorbitanten Geschwindigkeiten zu berücksichtigen, mit denen das Flugzeug, die Flugabwehrrakete sowie die durch die Detonation zusätzlich beschleunigten Fragmente aufeinandertreffen: Die Boeing bewegte sich mit etwa 900 Kilometern pro Stunde, die Flugabwehrrakete erreicht mehr als dreifache Schallgeschwindigkeit. Die Fragmente des Gefechtskopfes dürften entsprechend mit mindestens 4000 Kilometern pro Stunde in die Maschine eingeschlagen und teilweise wieder ausgetreten sein und haben dort unmittelbar eine verheerende Wirkung erzielt. Zumindest wurde das Cockpit großflächig aufgerissen, vielleicht sogar abgerissen, worauf schlagartig der Überdruck aus der Flugzeugkabine entwich, ein eiskalter Luftstrom von etwa minus 50 Grad Celsius mit ungefähr 900 Stundenkilometern in die aufgerissene Flugzeugzelle raste und unmittelbar sämtliche Passagiere tötete. Durch die Detonation des Gefechtskopfes gleichsam von einem gigantischen Vorschlaghammer getroffen, dürfte sich das Flugzeug – sowohl seiner ursprünglichen aerodynamischen Form als auch seiner Steuerung beraubt – in dem mit elementarer Wucht auftreffendem Luftstrom wild aufgebäumt haben und daraufhin aufgrund struktureller Überlastung der Zelle in mehrere Teile zerbrochen und zu Boden gestürzt sein. Bei diesem Vorgang fliegen die Einzelteile keineswegs in einer wohlgeformten ballistischen Flugbahn in sehr weitem Bogen zu Boden, sondern montieren, wie es im Fachjargon heißt, ab, das heißt sie stürzen durch den enormen Luftwiderstand in ihrer Horizontalbewegung stark abgebremst, dafür aber vermittels der vertikalen Fallbeschleunigung mehr oder weniger steil zu Boden, wo sie in einem langgezogenen Trümmerfeld einschlagen. Ein Mensch, der mit dem Kopf voraus – ungebremst durch einen Fallschirm – vom Himmel stürzt, erreicht gemäß der geltenden Gesetze der Physik hierbei eine Fallgrenzgeschwindigkeit von mehr als 500 Stundenkilometern, das entspricht circa 139 Metern pro Sekunde. Letztere hätte er, die Fallbeschleunigung von 9,81 m/s2 zugrundegelegt, nach etwa 14 Sekunden erreicht; aus 10.000 Metern abgesprungen würde er somit nach etwa 80 Sekunden auf dem Boden aufschlagen. Die teils erheblich schwereren und kompakteren Trümmerteile der MH17 dürften kaum länger unterwegs gewesen sein, und genauso steht es auch im Bericht der Untersuchungskommission, die von 60 bis maximal 90 Sekunden Absturzdauer der Trümmerteile spricht, jeweils abhängig von deren Gewicht sowie aerodynamischer Form.
In Anbetracht des vorstehend beschriebenen Ablaufes können keine Zweifel daran bestehen, dass Flug MH17 tatsächlich mittels einer Flugabwehrrakete aus dem Himmel geschossen wurde – ungeklärt ist lediglich von wem. Indes lassen sich durchaus auch Schlussfolgerungen auf den Ort ziehen, an dem die betreffende FlaRak-Batterie disloziert gewesen sein muss, von der die verhängnisvolle Rakete verschossen wurde. Wie aus der Ansicht der aus den geborgenen Wrackteilen rekonstruierten Maschine erkennbar ist, wurde das Flugzeug in Flugrichtung links oberhalb des Cockpits getroffen. Da sich der Airliner auf einem ostwärtigen Flugkurs befand, heißt links in diesem Falle Norden. Da, wie oben beschrieben, die Flugabwehrrakete im Endanflug von vorn auf ihr Ziel zurast, muss sie demnach von einer Position vorab dem Punkt gestartet sein, wo sie schlussendlich detonierte, das heißt ostwärts des anfliegenden Airliners. In der Kombination ergibt sich, dass die Position der SA-11 sich in einem nordöstlich vom PIP erstreckenden Sektor befunden haben muss, dessen Öffnungswinkel maximal 90 Grad betragen kann. Dessen Ausdehnung in der Fläche wiederum lässt sich relativ genau aus der maximalen Reichweite der Luftabwehrrakete sowie der Minimaldistanz, die sie zurückgelegt haben muss, bevor der Gefechtskopf scharf wird und explodieren kann, bestimmen. Irgendwo innerhalb dieser Region in Gestalt eines Viertelringes nordostwärts der malaysischen Boeing 777 muss die SA-11 gestanden haben.
Aus meiner Sicht spricht alles dafür, dass der Abschuss der MH17 ein unglückseliges Versehen war. Vermutlich sollte eigentlich die im Briefing der russischen Streitkräfte genannte, ebenfalls von Westen anfliegende SU-25 Frogfoot der ukrainischen Luftwaffe bekämpft werden. Als dieses im Verhältnis zu der riesigen Boeing winzige Flugzeug, das einen dementsprechend niedrigen Radarquerschnitt aufweist und deshalb für das Feuerleitradar sehr viel schwieriger zu verfolgen (»tracken«) ist, deren Kurs kreuzte, könnte des Feuerleitradar auf die sehr viel größere und als Flugziel weitaus »attraktivere« Boeing 777 umgesprungen sein, ohne dass die Feuerleitcrew der SA-11 dies rechtzeitig genug erkannt hat, um den Bekämpfungsvorgang noch abzubrechen. Sollte sich zu diesem Zeitpunkt die Flugabwehrrakete schon im Flug befunden haben, wären eventuell nur Sekundenbruchteile für eine solche Reaktion geblieben.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass dem zuständigen Luftraumkontrollzentrum in Kiew bekannt war, dass über der Ostukraine zuvor schon mehrfach Militärflugzeuge der ukrainischen Luftwaffe abgeschossen worden waren. Die britischen und französischen Fluggesellschaften haben aufgrund dessen schon vor dem tragischen Vorfall mit Flug MH17 den gefährdeten Luftraum nördlich beziehungsweise südlich umflogen. Trotz des bekannten Risikos hat die ukrainische Luftraumkontrolle den Luftraum nicht gesperrt, obwohl dies ihre Pflicht gewesen wäre – ausschlaggebend für das verantwortungslose Vorgehen waren höchstwahrscheinlich schnöde kommerzielle Erwägungen, weil nämlich für jede Überfluggenehmigung bares Geld in die Staatskasse sprudelt. So gesehen verbietet sich kategorisch eben jene von den westlichen Verdummungs- und Propagandamedien vorgenommene, einseitige Schuldzuweisung für den Abschuss des malaysischen Airliners.
Der Autor war Oberstleutnant der Bundeswehr und ist Mitglied im Vorstand des »Darmstädter Signals«, des Forums für kritische StaatsbürgerInnen in Uniform. »Missile away« lautete die formelle Meldung, die ein FlaRak-Feuerleitfeldwebel unmittelbar nach dem Abschuss einer Fla-Rakete abzugeben hatte, nachdem diese das Startgerät (Launcher) verlassen hatte und sich in der Luft im Zielanflug befand.