Zunächst die gute Nachricht: Es wird zu einem weiteren zeitlichen Aufschub kommen. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen soll erst am 31. Dezember 2018 abgeschlossen sein, nicht schon am 1. Juli 2018. Es bleibt also noch etwas Zeit, den Protest dagegen zu mobilisieren.
Die schlechte Nachricht: Die Absichten des Gesetzgebers und der Industrie bleiben dieselben, und die Kostenlawine schwillt weiter an – zu Lasten der Krankenkassen, sprich: der Versicherten.
Worum geht es? »Pleiten, Pech und Pannen – plus Profite« war in Ossietzky 14 vom 8. Juli 2017 mein Beitrag über die Digitalisierung des Systems der Krankenversorgung überschrieben. Der Aufsatz behandelte Vorgeschichte, aktuelle Lage sowie politische, ökonomische und soziale Auswirkungen der milliardenschweren Umstellung auf die elektronische Gesundheitskarte im Rahmen der Telematik-Infrastruktur (TI).
Erinnern wir uns: 2002 – also vor vier Legislaturperioden – begann die »Geschichte von Pleiten, Pech und Pannen« (landesrundschreiben 4 der KÄV Bremen vom 15.6.2017). Am 4. Dezember 2015 beschloss dann der Bundestag, dass bis zum Stichtag 1. Juli 2018 alle Krankenhäuser, Rehabilitationszentren und die Praxen von Ärzten und Psychotherapeuten mit der erforderlichen Hardware ausgestattet sein sollen. Es kam aber anders, so dass es Neues nachzutragen gibt.
Obwohl die Einführung der TI am 1. Juli 2017 hätte beginnen sollen, war es zur Zeit des Bundestagswahlkampfes um dieses Thema auffallend still geworden. So verlautbarte die Frankfurter Rundschau am 22. Juli: »Sie sollte 2006 eingeführt werden, ein zweistelliger Millionenbetrag war dafür geplant. Elf Jahre später, drei bis vier Milliarden Euro sind inzwischen ausgegeben, verkündet das Bundesgesundheitsministerium schon wieder, dass der erste Schritt zur Einführung der elektronischen Gesundheitskarte, das sogenannte Versichertenstammdatenmanagement, erneut verschoben werden muss. Es stünden die technischen Geräte noch nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung.«
Die Industrie war nicht in der Lage, termingerecht zu liefern. »Und das nach 15-jähriger Planungszeit für das Pleitenprojekt, welches inzwischen auch vom Bund der Steuerzahler wegen Verschwendung scharf kritisiert worden ist«, berichtet die Hamburger Ärztin Silke Lüder, Sprecherin der Aktion »Stoppt die e-card!« auf deren Website. Man stelle sich vor, ein Werktätiger liefert ein in Auftrag gegebenes Produkt nicht fristgemäß. Er wird gefeuert. Anders, wenn die Industrie nicht liefert. Dann wird die Lieferfrist verlängert, dann steigen die Preise, dann sprudelt weiterhin der Profit.
Unlängst, noch während der inzwischen gescheiterten Sondierungsverhandlungen für eine Jamaika-Regierungskoalition, wurde ministeriell eine Rechtsverordnung erlassen und am 3. November vom Bundesrat genehmigt. Sie besagt, dass der Zeitpunkt des Onlineanschlusses aller Kliniken und Praxen verlegt worden ist. Die Einrichtung der TI sei nun endgültig erst zum Jahresende 2018/19 verpflichtend und »sanktionsbewehrt«. Letzteres bedeutet, dass bei Nichtbefolgung oder Nichtinstallation der TI erhebliche Strafen zu erwarten sind. Silke Lüder tadelt, dass die unendliche, milliardenschwere Geschichte nun also weitergehe: Der Monopolist bewerbe eifrig sein Produkt; als Anbieter von Arztpraxissoftware versende er wöchentliche Hochglanzbroschüren an Arztpraxen und rufe dazu auf, Verträge über den Onlineanschluss zu unterzeichnen, »obwohl die Geräte noch nicht einmal auf dem Markt sind« (S. Lüder). Die Profitmacherei findet nunmehr ihre staatlich geduldete Fortsetzung.
Dazu passen zwei Nachrichten aus dem Hause Arvato Systems, einem Unternehmenszweig des Bertelsmann-Konzerns. In der ersten Augusthälfte meldete das Unternehmen, es stelle die zentralen TI-Komponenten zur weiteren Erprobung zur Verfügung – obwohl die flächendeckende Bereitstellung der dezentralen Komponenten immer noch nicht abgeschlossen war. Und am 30. August teilte Arvato Systems mit, dass der seit 2013 bestehende Vertrag mit der gematik (Gesellschaft der Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH) von dieser bis zum Jahre 2020 verlängert worden sei.
Laut Vertrag »unterstützt« Arvato Systems die gematik »bei der Einführung, Pflege und Weiterentwicklung der zentralen Telematik-Infrastruktur für das Gesundheitswesen«. Ein Witz, der die Tatsache verschleiert, dass die bei der Bereitstellung einer zentralen Infrastruktur anfallenden Kosten zwar bezahlt werden müssen, dass dafür im Gegenzug aber keine Leistungen erbracht werden, weil die dezentralen Komponenten noch gar nicht flächendeckend zur Verfügung stehen, aufgebaut worden sind und arbeiten.