Am 5. Mai 2018 jährt sich der Geburtstag von Karl Marx zum 200. Mal. Doch bereits im Herbst 2017 gab es ein kleines »Karl-Marx-Jubiläum«: Sein Hauptwerk »Das Kapital« erschien vor 150 Jahren (s. Themenheft Ossietzky 17/2017). Anlässlich des Doppeljubiläums gibt es zahlreiche Ausstellungen und Publikationen. Der Biochemiker und Journalist Jürgen Neffe, Autor vielfach ausgezeichneter Biografien über Albert Einstein und Charles Darwin, legt nun eine umfangreiche Biografie über Karl Marx vor, den revolutionären Querkopf und bedeutenden Denker des 19. Jahrhunderts. Auf den knapp 700 Seiten beleuchtet Neffe nicht nur das Leben von Marx, sondern auch dessen Schriften und deren vielfältige Wirkung. In verständlicher Form erklärt der Autor quasi nebenher die philosophischen und ökonomischen Theorien. Ferner räumt der Autor mit den extremen Widersprüchen auf, die die Geschichte der Biografik von Marx kennzeichnen – vom »Realisten« bis zum »Traumtänzer«, vom »Genie« bis zum »Scharlatan«.
Doch wer war dieser Mann mit dem Rauschebart wirklich, auf dessen Lehren sich bis heute Menschen in aller Welt berufen? In 34 Kapiteln zeichnet Neffe – auch anhand zahlreicher Zeitzeugenberichte – die Lebensstationen von Karl Marx nach, von Trier über Bonn, Berlin, Köln sowie Paris und Brüssel bis nach London. Neffe nimmt eine Zäsur und Zweiteilung nach der bürgerlichen Revolution von 1848/49 vor und hält die biografische Zeitmaschine kurz an, um den »multiplen Marx« in seiner Widersprüchlichkeit vorzustellen, denn es gibt nicht den einen Marx, »sondern eher einen multiplen, menschlich wie fachlich, als hätte da einer tatsächlich ein Doppelleben zwischen Mr. Marx und Dr. Marx geführt«. So sind einige Kapitel dem Privatmenschen Marx gewidmet, zum Beispiel in der Rolle als »Haushälter«, die ihm aus eigener Lebenspraxis die Möglichkeit gab, über das Wesen des Geldes nachzudenken. Marx war ein Mensch aus Fleisch und Blut, der zwar die Verwandlung von Geld in Kapital analysierte, mit Geld aber nicht umgehen konnte. Im Kapitel »Being Jenny Marx« beleuchtet Neffe die Ehe von Karl und Jenny Marx, vor allem deren entbehrungsreiche Jahre in London, die der »begabten Gattin« zahlreiche Schicksalsschläge zumuteten.
Neben den Lebensstationen zieht sich die Marxʼsche Gedankenwelt wie ein roter Faden durch die Biografie – von den Frühschriften über die Kritik der politischen Ökonomie bis zur Kapitalismus-Analyse »Das Kapital«. Für Neffe markiert »Das Kapital« einen »Meilenstein« in der Geschichte des abendländischen Denkens. Nicht nur in dem umfangreichen »Kapital«-Kapitel beschreibt der Autor Marx als revolutionären Visionär. Vielfach zeigt er, dass die Marxʼschen Theorien heute noch zutreffend, ja aktueller denn je sind. Dabei sollten wir uns hüten, Marx mit Marxismus gleichzusetzen. Marx selbst hat nie einen Marxismus begründet. Nichts lag ihm ferner, als ein abgeschlossenes System zu schaffen. Und so ist sein gewaltiges Werk keine geschlossene Ideologie sondern eher eine »gewaltige Baustelle«, die von nachfolgenden Generationen weitergeführt werden sollte.
Komplettiert wird die bemerkenswerte Biografie durch einige historische Abbildungen sowie einen umfangreichen Anhang mit Anmerkungen, Bibliografie und Register. Wem die knapp 700 Seiten allerdings eine zu anstrengende Lektüre sind, der kann sich entspannt zurücklehnen und das gleichnamige Audiobuch aus dem Hörverlag genießen. Auf drei mp3-CDs (Gesamtlaufzeit knapp 26 Stunden) gibt es eine vollständige Lesung der Biografie. Dem Schauspieler und Sprecher Stefan Wilkening, bekannt unter anderem durch zahlreiche Hörfunk- und Hörbuchproduktionen, gelingt es, mit seiner prägnanten Stimme die nicht immer leichte Thematik nachvollziehbar zu machen.
Jürgen Neffe: »Marx. Der Unvollendete«, Bertelsmann Verlag, 656 Seiten, 28 €, Jürgen Neffe: »Marx. Der Unvollendete«, Der Hörverlag, 3 mp3-CDs, 15,95 €