Angela Merkel wusste, was auf die CDU zukommt, wenn sie die Zügel als Vorsitzende abgeben würde. Zu lange schon scharrten ihre Gegner mit den Hufen, als dass nicht absehbar gewesen wäre, dass sie die erstbeste Gelegenheit nutzen würden, die Partei wieder dorthin zu lenken, woher sie kommt: nach rechts, wo weltliche und kirchliche Macht seit jeher beheimatet waren. Sie wusste aber auch, dass sie irgendwann würde nachgeben müssen. Nach den jüngsten Wahlniederlagen war es Zeit dafür.
Ob sie allerdings jemals geglaubt hat, Annegret Kramp-Karrenbauer verfüge als ihre Nachfolgerin über das notwendige Potential, den merkelschen Weg des Lavierens und Austarierens beizubehalten, weiß niemand. Dass einer wie Friedrich Merz nach langer politischer Abstinenz als Seiteneinsteiger binnen weniger Wochen zu einer Art Messias der Rechten aufsteigen konnte gibt eine Ahnung davon, wie tief die Unzufriedenheit in der CDU sitzt und wie groß ihre Angst ist, noch mehr Stimmen an die Rechtspopulisten zu verlieren.
Auf dem Parteitag in Hamburg saßen Heuchler und Meuchler unerkannt Seite an Seite. Einträchtig spendeten sie der scheidenden Vorsitzenden noch einmal Beifall, aber die Hälfte der Delegierten wollte die Frau am Rednerpult in Wirklichkeit loswerden. Keiner wusste, wie die Wahl zum höchsten Parteiamt ausgehen würde und dass es so knapp werden könnte für Annegret Kramp-Karrenbauer. Wie Angela Merkel mit den Rechtspopulisten umging, missfiel den meisten. »Wir grenzen uns ab, aber wir grenzen nicht aus«, sagte sie in Hamburg. Bei Friedrich Merz klang das anders. Er sprach von Strategiewechsel und der Wiederherstellung dessen, was er den Markenkern der CDU nennt. Zwar glaube er nicht, dass man die AfD kurzfristig wegbekomme, meinte er, »aber halbieren kann man sie«.
Dieses Heilsversprechen wird der neuen Parteivorsitzenden und ihrer Mentorin im Bundeskanzleramt noch um die Ohren fliegen, wenn die nächsten Wahlen nicht wie erhofft ausgehen. Am 26. Mai wird zeitgleich mit der Wahl zum Europaparlament im Bundesland Bremen eine neue Bürgerschaft gewählt. Am 1. September finden Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg statt, denen am 27. Oktober die Landtagswahl in Thüringen folgt. Umfragen sagen der AfD in allen drei ostdeutschen Ländern einen Stimmenanteil von mehr als 20 Prozent voraus. Das bedeutet, dass sich CDU und Alternative für Deutschland dort ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern werden.
Mit der Wahl Paul Ziemiaks zum Generalsekretär hat die CDU eine Personalentscheidung getroffen, die dem rechten Parteiflügel entgegenkommt und die Christlich Demokratische Union für die nächsten Wahlen in Stellung bringen soll. Die Partei rückte damit entsprechend dem Drängen von Friedrich Merz nach rechts. Für sich selbst vollzog die neue Vorsitzende denselben Schritt. Sie werde der Bundeskanzlerin Paroli bieten, »wo es im Interesse der Partei notwendig« sei, sagte sie nach ihrer Wahl. Ob das ein taktischer Schachzug war oder eine echte Distanzierung von der omnipotenten Angela Merkel bleibt der Öffentlichkeit vorerst verborgen.
Für die CDU sind die Probleme mit dem Wechsel an der Parteispitze nicht ausgestanden. Neu an der Situation ist nur, dass die beiden Flügel jetzt voneinander wissen, wie stark der jeweils andere ist. Friedrich Merz ist nur scheinbar weg vom Fenster. Wenn es im nächsten Jahr darum geht, Angela Merkel auch als Bundeskanzlerin zu verabschieden, wird Merz wieder zur Stelle sein. Dass er sich weder ins Präsidium noch in den Vorstand der CDU wählen ließ, spricht für sich. Merz hält sich für größere Aufgaben bereit und weiß Wolfgang Schäuble dabei hinter sich. Dass er sich zu denen bekannt hat, die nicht mehr an die deutsche Vergangenheit erinnert werden wollen, kommt ihm dabei eher zustatten, als dass es ihm schadet. Für eine Katharsis ist es ohnedies zu spät.