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Titel2518

Marschall befiehl, wir folgen dir  (Ralph Hartmann)

Erstmals aufgefallen ist er mir am 2. Dezember abends in der Talk-Show bei Anne Will zum Thema »Eskalation im Ukraine-Konflikt – wie umgehen mit Präsident Putin?« Er, der diplomatische Korrespondent beim Tagesspiegel Christoph von Marschall, erwies sich als ein streitbarer, scharf formulierender Talk-Teilnehmer. Thema des Streitgespräches war der bekannte Zwischenfall vor der Meerenge von Kertsch, die das Schwarze und das Asowsche Meer verbindet, in dessen Folge drei ukrainische Militärschiffe samt Besatzung wegen Verletzung der russischen Seegrenzen aufgebracht wurden. Hier zeigte von Marschall, was ein deutscher diplomatischer Korrespondent von echtem Schrot und Korn so drauf hat. Nach seiner Überzeugung war das russische Vorgehen »ein kriegerischer Akt«, »ein schwerer Bruch des Friedens und des Völkerrechts«. Von dieser kristallklaren Einschätzung ausgehend sprach er sich ohne Wenn und Aber für eine härtere Gangart im Umgang mit Russland sowie für eine Beendigung der politischen Unterstützung für die privatwirtschaftliche Gaspipeline Nord Stream 2 aus. Er sagte es nicht wörtlich, aber der Sinn seiner Ausführungen war eindeutig: Die Russen und Putin sollten endlich spüren, wo der Hammer hängt.

 

Die höchst präzisen Darlegungen des diplomatischen Korrespondenten konnten nicht überraschen, hatte er sie doch vorher geübt, und zwar in einem Kommentar, den der Tagesspiegel am 27. November unter der Überschrift »Keine Nachsicht mit Russland« veröffentlicht hatte. Hier konnte er seinem Affen, ohne auf Widerrede zu stoßen, Zucker geben und gleich im ersten Absatz prägnant feststellen: »Wladimir Putin ist ein Aggressor und ein Wiederholungstäter.«

 

Als diplomatischer Korrespondent kennt Marschall sich in Sachen Diplomatie prächtig aus. So schreibt er denn: »In gewissen Momenten wird die neutrale Sprache der Diplomatie zur Komplizin der Rechtsbrecher. Weil sie die Schuldigen eines kriegerischen Akts nicht benennt; weil sie Täter und Opfer gleichermaßen zur Mäßigung aufruft. An so einem Punkt stehen Deutschland und Europa in den Beziehungen zu Russland und zur Ukraine … Der diplomatische Umgang mit ihm [Putin] hat keinen Nutzen gebracht. Offenbar hat er sogar kontraproduktiv gewirkt und ihn zum nächsten Vertragsbruch ermuntert.«

 

Haargenau und penibel umreißt Marschall sodann das Wesen des Zwischenfalls in der Straße von Kertsch als einen »kühl kalkulierte[n] kriegerische[n] Akt«, um fortzufahren: »Russland hat in einem Seegebiet, in dem die freie Schifffahrt vertraglich garantiert ist, ukrainische Schiffe beschossen und gerammt. Es blockiert die Durchfahrt durch die Straße von Kertsch und damit den Weg zu den Häfen der Ostukraine. Dies geschieht unter dem Vorwand, die ukrainischen Schiffe seien unerlaubt in ›russisches Hoheitsgebiet‹ eingedrungen.« Äußerst geschickt vermeidet er es, darauf hinzuweisen, dass die Durchfahrt durch die Straße von Kertsch und damit das Passieren der Krim-Brücke nur nach Anmeldung bei der russischen Grenzschutzbehörde, die bisher in der Regel grünes Licht gab, möglich ist. Ebenso routiniert geht er auf einige andere nebensächliche Details nicht ein: Die drei ukrainischen Kriegsschiffe, darunter zwei gepanzerte Kanonenboote, waren nicht angemeldet, auf mehrfache Aufforderungen des russischen Grenzschutzes reagierten sie nicht und führten stattdessen nicht allzu weit entfernt von der Krim-Brücke, die nach Auffassung des ukrainischen stellvertretenden »Ministers für besetzte Gebiete«, Georgiy Tuka, »zur Hölle in die Luft zu sprengen« sei, verdächtige Manöver durch. Letztendlich vergaß der Kommentator, gewiss nicht in böser Absicht, zu erwähnen, dass sich unter den Matrosen der aufgebrachten Schiffe auch zwei Angehörige des ukrainischen Geheimdienstes SBU befanden, die später – und das konnte der schlaue Kommentator tatsächlich noch nicht wissen – einräumten, einen »Spezialauftrag« für die Gewässer in der Straße von Kertsch gehabt zu haben. Aber gut so, man kann in einem Kommentar tatsächlich nicht alle nebensächlichen Details unterbringen.

 

Viel wichtiger als diese Kleinigkeiten ist doch, was Herr von Marschall der schwarz-roten GroKo nach dem »kühl kalkulierte[n] kriegerische(n) Akt« der Russen zu tun empfiehlt. Er gibt eine unmissverständliche Empfehlung: »Die Bundesregierung muss jetzt Tacheles reden: eine Aggression eine Aggression nennen. Und entsprechend handeln: ihre Sanktionen gegen Russland verschärfen, die Verbündeten auffordern, das ebenfalls zu tun, und der deutsch-russischen Pipeline Nord Stream 2 die Unterstützung entziehen.« Ja, alles was Recht ist, das sind schon weitgehende Strafmaßnahmen. Aber wenn die Strafe der Missetat nun einmal auf dem Fuße folgen soll, was bleibt da anderes übrig? Also: Marschall befiehl, wir folgen dir!