Seit über zwei Jahrzehnten galt das Glaubensbekenntnis: Der Staat kann nicht wirtschaften, nur die Privaten können es. Sie machen alles besser, billiger, kundenfreundlicher, wurde versprochen. Sie schaffen Arbeitsplätze. Sie entlasten die verschuldeten öffentlichen Haushalte. Und die Mehrheit der Bürger stimmte zu.
So wurden aus der Bundespost die drei Aktiengesellschaften Telekom, Deutsche Post und Postbank. Auch die Bahn wurde in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und sollte an die Börse gehen. Energiekonzerne bauten Müllöfen und kauften sich in Stadt- und Wasserwerke ein. Baukonzerne übernahmen den Betrieb von Schulen und Rathäusern. Kommunale und staatliche Wohnungsgenossenschaften wurden an »Heuschrecken« verkauft – da kam plötzlich viel Geld in die öffentliche Kasse. Mit privaten Zusatzversicherungen soll man die Rente retten können, mit Praxisgebühr und Medikamentenzuzahlung soll der Gesundheitsbetrieb aufrecht erhalten werden, und mit Studiengebühren sollen die Hochschulen finanzierbar bleiben.
Während aber die Chefs der Energie-, Bau- und Versicherungskonzerne und die Mehrheitsparteien unverdrossen weiter ihre Heilslehre verkünden, begann im Volk längst ein Murren. Bürgerentscheide gegen den Verkauf von Stadtwerken und Wohnungen waren erfolgreich. Doch das zu überhören, ist eine der leichtesten Routineübungen unserer führenden Politiker und Talkshow-Profis. Da mußte erst der Beamtenbund kommen, um die Stimmung im Volk erkunden zu lassen. So stellte das forsa-Institut jetzt fest: Die Hälfte der Bevölkerung hat negative Erfahrungen gemacht. Vor allem der Zustand der Bahn mit hohen Ticketpreisen und dauernden Verspätungen ist ein abschreckendes Beispiel. Nur der Staat, so meinen inzwischen viele, könne eine flächendeckende Versorgung und angemessene Preise garantieren. Nur 16 Prozent der Befragten sind für weitere Privatisierungen.
Der Beamtenbund ruft nun um Hilfe: Wenn es so weitergehe, dann werde der Staat abhängig und erpreßbar. Und die verbleibenden Staatsdiener werden auf Entzug gesetzt, müssen länger arbeiten und bekommen kein Urlaubs- und Weihnachtsgeld mehr.
Die Ergebnisse der zahllosen Privatisierungen sind in der Tat eindeutig. Überall steigen die Gebühren und Preise. An den wenigen Postschaltern bilden sich lange Schlangen wie im untergehenden Sozialismus. Staat und Städte sind überschuldet wie zuvor. Telekom, Deutsche Post, Bahn und Stadtwerke haben zudem hunderttausende Beschäftigte entlassen und stellen nur noch Niedriglöhner ein. Die neuen privaten Briefdienste kalkulieren ausschließlich mit Hungerlöhnen, die zudem vom Staat subventioniert werden sollen. Die Erkenntnis macht sich breit: Die neuen Privatkonzerne schwimmen im Geld, aber bei den Beschäftigten und den Konsumenten kommt nichts an, im Gegenteil. Die Cleveren unter den Bürgermeistern sagen sich inzwischen: Die Gewinne mit Strom, Wasser, Gas, Müll und so weiter können wir auch selbst machen. Kleine Städte haben angefangen, die privatisierten Müllunternehmen zurückzukaufen.
Die Götterdämmerung der Privatisierer ist eingeläutet. Doch es ist keine Lösung, den Staat wieder so herzustellen, wie er vor der Privatisierung war. Denn die Versprechen wurden auch deshalb geglaubt, weil die öffentlichen Unternehmen wegen schlechter Leistungen und mangelnder Transparenz dafür Anlaß gaben. Da gibt es doch wohl mehr zu tun, als der Beamtenbund meint.
Zum Beispiel kann man etwas tun, was die Beamten nicht dürfen oder sich nicht trauen. Was aber die Lokführer getan haben: streiken, das börsenfiebrige Spardiktat des Konzernvorstands sich nicht gefallen lassen. Die Streiks der Lokführer fanden Sympathie selbst bei vielen Bahnkunden. Auch das hat den längst beschlossenen Börsengang der Bahn verhindert. Gut so. Weiter so.
Sand im Getriebe
Im Mediengetöse über die Landtagswahlen, speziell die weiter andauernde Konkurrenz zwischen Koch und Ypsilanti in Hessen, ist ein anderes politisches Ereignis nicht hinreichend in den Blick gekommen: Durch einen Bürgerentscheid wurde in Leipzig den Privatisierern kommunaler Betriebe der Weg verlegt, gegen den Willen von SPD und CDU. Die Initiative »Bürgerbegehren Leipzig – Stoppt den Ausverkauf unserer Stadt« hatte diese Abstimmung durchgesetzt, und 87,4 Prozent derer. Die sich beteiligten, stimmten dafür, daß »die kommunalen Unternehmen und Betriebe der Stadt Leipzig, die der Daseinsvorsorge dienen, weiterhin zu 100 Prozent in kommunalem Eigentum verbleiben«. Die Stadtregierung hatte die Stadtwerke Leipzig zu 49,9 Prozent an einen kommerziellen Energiekonzern verkaufen wollen. Die Beteiligung am Bürgerentscheid war mit 41 Prozent für eine Stadt in der Größenordnung von Leipzig ungewöhnlich hoch. Der Sprecher der Initiative »Bürgerbegehren« resümierte: »Es ist deutlich geworden, daß die da oben doch nicht immer machen können, was sie wollen.« Sand ins Getriebe der Privatisierung – ein Lob den Leipzigern.
Marja Winken