3sat bot am 21. Januar um 22 Uhr 25 einen kulturellen Höhepunkt: »Bühler Begegnungen – Peter Voß im Gespräch mit Henryk M. Broder«. Da ich diesen Henryk Modest schon seit seinen Anfangszeiten in der Kölner Szene kenne, setzte ich mich mit erprobter Überraschungsresistenz vor die Mattscheibe. Schon nach kurzer Zeit und einigen Rachenkratzern fiel sein Stichwort: »Gerhard Zwerenz und ich hatten in den 80er Jahren eine Auseinandersetzung, wo Zwerenz apodiktisch sagte, per ordre de mufti: Ein Linker kann kein Antisemit sein. Ich fragte: Gibt es Linke, die Steuern hinterziehen, ihre Frauen mißhandeln, einbrechen, stehlen, betrügen? (Voß: Hat er das etwa auch verneint?) Nein, bejaht, das entsprach ja auch seiner Lebenserfahrung, aber beim Antisemitismus setzte es aus, das fand ich hochinteressant, diese Kraft der Verleugnung …«
Mit dem Satz, Zwerenz bezweifle nicht, daß es Linke gebe, die stehlen, weil das seiner Lebenserfahrung entspreche, hat Broder ein wahres Wort gesprochen, wie zu beweisen ist. In meinem Buch »Die Rückkehr des toten Juden nach Deutschland«, München 1986, schildere ich folgende Szene: Ende der sechziger Jahre fand in der Bad Godesberger Redoute eine Diskussion statt, bei der die Sprecher der literarischen Apo-Bewegung mit Politikern und Spitzenbeamten zusammentrafen. Nach hitzigen Diskussionen löste das Treffen sich auf. Gegen Ende startete Henryk M. Broder die erwartete große Provokation, indem er mit vollen Händen ins Tafelsilber griff und einen Packen Eßbesteck in die mitgeführte Ledertasche warf. Der Silberklau blieb ungeahndet, das anwesende Personal wagte nicht einzuschreiten, das soignierte bürgerliche Publikum hatte dergleichen längst kommen sehen und fühlte sich endlich in seinem Schauder bestätigt. Broder hatte die Erwartungshaltung bedient, derzufolge diese aufsässigen jungen Langhaarigen das Eigentum eben nicht achten. Mir selbst war der lässige Diebstahl in aller Öffentlichkeit bedenklich erschienen, weil der junge Broder seinem demonstrativen Äußeren nach ebenso typisch für die APO wie geradezu bilderbuchhaft »semitisch« wirkte. Hoffentlich, dachte ich, werten die Zuschauer den Griff zum fremden Tafelsilber als Tat eines studentenbewegten Revoluzzers, nicht als Tat eines Juden. – So zu lesen in dem Buch, das ich denen empfehle, die seit drei Jahrzehnten über Antisemitismus reden, ohne sich zu informieren.
Wenn ein Linker kein Antisemit sein kann, folgt daraus, daß ein Antisemit kein Linker sein kann, auch wenn Joachim C. Fest und Henryk M. Broder den Judenfeind vor allem bei der Linken sehen. Ist etwa ein linker Antisemit derjenige, der Broder nicht mag? Ich mag ihn, möchte ihn nicht missen und liebe ihn geradezu, selbst wenn er im Fernsehen dampfplaudert, ohne sich seines Verstandes zu bedienen. Am tapfersten erscheint er, wenn er den Pazifisten den Krieg erklärt und sie sowohl lächerlich wie runter macht. Alle abendländischen Klischees zitierend übertrifft er sogar die Christen, denen es seit zweitausend Jahren weiß Gott schwer genug fällt, ihren Herrn, diesen Generalpazifisten, zu verleugnen. Ich freue mich auf die nächste Sendung der »Bühler Begegnungen« mit dem mobilen Vaterlandsverteidiger Broder und seinem Stichwortgeber Peter Voß, der als Intendant einst besser Bescheid wußte, wie ich mich erinnere.
Bis hierhin ist meine Antwort dem bei 3sat angeschlagenen Feuilleton-Ton zuzurechnen. Jetzt aber Nägel mit Köpfen.
1953 meldete Moskau eine jüdische Ärzteverschwörung, dann starb Stalin, und die beschuldigten Mediziner wurden aus der Haft entlassen. Stalin offen des Antisemitismus zu verdächtigen, war in diesen Jahren in der DDR höchst riskant, weshalb ich mich auf den Satz verlegte, ein Linker könne kein Antisemit sein, was im Umkehrschluß Zweifel ausdrückte, ob Stalin und die durch ihn geprägten Funktionäre noch den Linken zuzuordnen seien. In der BRD griff ich auf die Formulierung zurück, denn hier werden Linksintellektuelle von Marx bis Tucholsky qua »jüdischem Selbsthaß« zu den Antisemiten gezählt, wie ja mehr und mehr Linke als Rechte uminterpretiert werden.
Mit dem Broderschen Wortgebräu verschmutzte der Sender 3sat am 21. Januar als erster die Atmosphäre, am darauf folgenden Sonntag, dem 27. Januar, sollte wie jedes Jahr der Auschwitz-Befreiung durch die Rote Armee gedacht werden, dazu sendete die ARD am Vorabend die deutschelnde Landser-Schmonzette »Soweit die Füße tragen«, in München wurde auf andere, karnevalistische Weise gescherzt, und in Hessen stand Kochs Ausländerschimpf zur Wahl.
Ich behaupte nicht, daß derlei glasklar antirussisch, rechts und antisemitisch sei, es beweist nur eine traditionelle Dimension, denn für alte Kameraden steht seit 1848 der Feind links. So widerspreche ich dieser saudummen Feindpropaganda nicht »per ordre de mufti«, sondern als ungebundener freier Schriftsteller, der sich weder von Hitlers Morddrohungen gegen Deserteure noch von DDR-Haftbefehlen kirre machen ließ und vom Broderschen Linkenhaß schon gar nicht. Wenn er, obwohl sein Befrager Voß ihn zu mäßigen suchte, den »Pazifismus als feine Haltung für einen Kaffeenachmittag« definiert, ist er nichts Besseres als einer, der aus dem schwarzen Kaffeesatz unserer kriegführenden Parteien liest. 1969 schlug Robert Neumann einigen Lehrern als Aufsatzthema für ihre Klassen vor: »Was weißt du von Hitler – vom Dritten Reich – von den Juden?« Neumann über das Ergebnis (s. Ossietzky 13/07): »Die beste Antwort, von einem sechzehneinhalb Jahre alten Gewerbeschüler: Hitler war einer aus der Ostzone, der die westdeutschen Juden umbringen wollte.« Das erinnert doch stark ans mediale Programm von heute. Bruder Henryk schafft‘s auf diesem Weg gewiß noch zum Intendanten.
Und noch sind wir nicht am Ende der Vorstellung. Jetzt folgt der Clou. Alles, was hier bisher vorgebracht wurde, weiß Broder genauso und besser. In der taz vom 13.11.86 berichtete er stolz von seinem demonstrativen Silberbesteck-Klau, zitierte die Szene aus meinem Buch und belobigte es fast durchweg, was mich beinahe erröten ließ. Drei Jahre später fällt die Mauer. Im Spiegel 51/1991öffnet man ihm vier Seiten. Oben auf der ersten ist sein schönes Foto zu sehen, darunter Bilder von Grass, Hermlin, Heym, Zwerenz, denen »moralischer Bankrott« attestiert wird, Titel:»Henryk M. Broder über die Sympathien linker Intellektueller für die untergegangene DDR«.Darauf einzugehen brauchte es eine Kabarettbühne. Oder soll ich es goutieren, wenn meinem inzwischen verstorbenen Freund und Kollegen Stefan Heym, der den Nazis entkam, als US-Soldat zurückkehrte und als Schriftsteller ein bleibendes Werk vorlegte,moralischer Bankrott bescheinigt wird, der auf nichts als dem Hang Broders zur Abwesenheit stichhaltiger Argumente beruht? Genauso armleuchternd werden Hermlin, Grass, Schorlemmer und alle anderen »verklemmten Zonis« naß rasiert. Nur Biermann kommt ungeschoren davon, trotz zweifelhafter Bettgenossenschaft mit Margot Honecker, was sich beiden eher hoch anrechnen ließe, ob‘s erlaubt ist oder nicht. Und Henryks Mama erhält auf den vier Spiegel-Giftseiten exakt 21 Zeilen würdigenden Sohnesdank. Bruder Broder vermag mitunter sogar ein von ihm bekämpfter Gutmensch zu sein.