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Japanisch-deutsche Wettläufe  (Manfred Sohn)

Diese Nachricht weckte in Japan Stolz: Nach 77 Jahren mußte General Motors den Pokal als Welt-Auto-Produzent Nummer 1 an Toyota abgeben. Der japanische Konzern hat im vergangenen Jahr fast neun Millionen Fahrzeuge auf die Straßen dieses Globus geworfen. Doch im Glanze dieser Nachricht konnte sich die Regierung in Tokio nicht lange sonnen. Denn nun werfen japanische Firmen Arbeitskräfte auf die Straße. In diesen Tagen laufen allein in der Autoindustrie 24.000 Zeitarbeitsverträge aus.

Und damit beginnen die Ähnlichkeiten zwischen Deutschland und Japan. Wer derzeit die Meldungen aus beiden Ländern über die Entfaltung der Wirtschaftskrise parallel liest, stellt erstaunliche Ähnlichkeiten fest. Sie entsprechen den Ähnlichkeiten in der Wirtschaftspolitik der letzten Jahre, die vor allem eines war: exportorientiert. Die Gewerkschaften in beiden Ländern haben unentwegt darauf hingewiesen, daß diese einseitige Orientierung gefährlich sei und daß die wirtschaftliche Stabilität von der Stärkung der Binnenkaufkraft abhänge. Die Rufe verhallten ungehört. Unbeeindruckt setzten die Regierungen beider Länder – hier die große Koalition von CDU/SPD/FDP und Grünen in ihren wechselnden Konstellationen, dort die seit Jahrzehnten allein regierende Liberaldemokratische Partei (LDP) – den Sozialabbau fort, der diese Exportorientierung flankierte. Mit der immer gleichen Behauptung, nur so könne die heimische Wirtschaft am Weltmarkt wettbewerbsfähig bleiben, höhlten Berlin und Tokio wie in einem heimlichen Wettlauf Arbeitnehmerrechte aus. Bis weit in die 80er Jahre war in Deutschland ein unbefristeter Arbeitsplatz genauso die Regel gewesen wie in Japan eine lebenslange Anstellung bei einem der großen Konzerne. Vor allem für Jugendliche ist inzwischen hüben wie drüben die befristete Einstellung oder ein Leiharbeitsverhältnis der Normalfall geworden. Sie sind jetzt die ersten, die gehen müssen, ohne daß es überhaupt einer förmlichen Kündigung bedürfte.

Diese Kombination aus einseitiger Exportorientierung und Zerrüttung sozialer Rechte rächt sich jetzt bitter. Sogar die vorgeblichen Experten, die beides noch bis vor kurzem als Voraussetzungen für wirtschaftliche Stärke gepriesen haben, reden inzwischen ganz anders. Der Londoner Economist, nach seinen eigenen Worten »eine kapitalistische Zeitung«, stellt nun (24.1.09) etwas zerknirscht mit Blick auf Japan fest: »Im November fiel das Exportvolumen gegenüber dem Vorjahr um 24 Prozent. Das Bild verschlimmerte sich im Dezember mit einem Fall von 35 Prozent … Die Exporte machen fast die Hälfte von Japans industrieller Produktion aus, die folgerichtig den schlimmsten Rückgang zu verzeichnen hatte, seit sie überhaupt aufgezeichnet wird: Der Ausstoß sank im November gegenüber dem Vorjahr um 13 Prozent. Die Bestellungen für Werkzeugmaschinen, ein Frühindikator für das, was noch kommt, lagen im Dezember um 72 Prozent niedriger als im Vorjahr.«

Dieses Bild ähnelt dem Befund in Deutschland verblüffend bis hin zu einzelnen Zahlen. Beide Länder, vorher in einem Wettlauf um die Exportorientierung, scheinen nun folgerichtig in einen Wettlauf um die schlimmsten ökonomischen Kennziffern eingetreten zu sein. Zerstoben sind die Beruhigungen noch von vor einem halben Jahr, ein Niedergang in den USA sei nicht so schlimm, weil die Industrie inzwischen nicht mehr auf dieses eine Land fixiert, sondern auf die ganze Welt und hier vor allem auf die aufstrebenden Länder Asiens ausgerichtet sei. Die aber haben letztlich den USA die Gelder geliehen, mit denen die Amerikaner dann Massenprodukte aus China und anderen Ländern gekauft haben – hergestellt auf Maschinen aus Deutschland und Japan. In einer Weltwirtschaft laufen die Bälle hin und wieder über mehrere Banden – treffen dann aber dennoch unvermindert hart.

Resultat ist die Explosion der Arbeitslosenzahlen und über kurz oder lang die weitere Verschärfung sozialen Elends. In Japan, wo traditionell die Wohnung vom Arbeitgeber mitbezahlt wird, sind Entlassungen oft gleichbedeutend mit dem Verlust des Daches über dem Kopf. In einer der wenigen grünen Inseln der 35-Millionen-Stadt Tokio, dem Hibiya-Park, kampierten zum Jahresbeginn 500 Arbeits- und Obdachlose. Sie sind Teil der wachsenden sozialen Unruhe.

Vielleicht kommt es zu einem neuen Wettlauf zwischen Deutschland und Japan: wer sich zuerst energisch gegen die Abwälzung der Krisenlast auf die Arbeitslosen, Rentner, Jugendlichen, Arbeiterinnen und Angestellten wehrt. Im Moment scheinen die linken Kräfte im Land der aufgehenden Sonne hier die Nase vorn zu haben. Jesper Koll jedenfalls, Chef eines privaten Wirtschaftsforschungsinstituts in Tokio, wird am 26. Januar in der Wirtschaftswoche mit der düsteren Ahnung zitiert: »Japan ist reif für eine Revolution.«