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Solche und solche Geheimdienste  (Ralph Hartmann)

Es ist eine Binsenweisheit: Geheimdienste sind gefährlich, demokratiefeindlich, unberechen- und unkontrollierbar. Am gefährlichsten sind die aufgelösten Dienste, die mit ihrem Staat verschwanden. Das wurde dem Bundesbürger auch in den zurückliegenden Wochen wieder klargemacht – nicht nur mit dem Veranstaltungsreigen zum 20. Jahrestag des Sturms auf die MfS-Zentrale, mit dem Festakt im Maxim-Gorki-Theater und dem leider schwach besuchten »Bürgerfest« in der einstigen Zwingburg an der Berliner Normannenstraße. Auch vor und nach dem Jubiläum sorgten die Medien mit einer Flut von Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln, Features und Filmen für Aufklärung. Das breite Angebot der MfS-Unterlagenbehörde für Schüler wurde um einen 40-minütigen Unterrichtsfilm mit dem Titel »Ein Volk unter Verdacht« bereichert. Wie bedrohlich der DDR-Geheimdienst auch heute noch ist, zeigte der Stasi-Skandal, der das Land Brandenburg und die ganze Republik erschütterte. Zwei Landtagsabgeordnete der Linkspartei hatten vor ihrer Wahl nicht angegeben, einst mit dem MfS liiert gewesen zu sein, Die ruchlosen Taten der Hauptangeklagten bestanden darin, daß einer, Gerd-Rüdiger Hoffmann, vor 39 Jahren als 17jähriger Schüler eine Verpflichtungserklärung für eine Zusammenarbeit mit dem MfS unterschrieben hatte (Bespitzelungsergebnisse sind nicht bekannt) und die andere, Renate Adolph, für die Auslandsaufklärung tätig war.

Die Empörung war gewaltig. Auf Parteitagen geißelten CDU, SPD und auch Die Linke die Untaten. Ministerpräsident Platzeck bedauerte, daß »Personal-Skandale« die Regierung daran hinderten, die Probleme des Landes zu lösen.« CDU-Oppositionsführerin Wanka sprach vom »Verrat an der friedlichen Revolution, und ihre Stellvertreterin Richstein gelobte, dafür zu arbeiten, »die rote Pest aus dem Lande zu verjagen«. Die Linken zeigten sich, wie die Medien übereinstimmend und beifällig vermeldeten, »reumütig« und gelobten in einer Erklärung: »Die Auseinandersetzung mit politischer Verantwortung, den realsozialistischen Machtstrukturen, ideologischer Prägung und individueller Schuld ist und bleibt die entscheidende Voraussetzung dafür, in der heutigen demokratischen Gesellschaft glaubwürdig für die Untrennbarkeit von individuellen Freiheitsrechten und sozialer Gerechtigkeit eintreten zu können.« Ein rechtes Wort zur rechten Zeit, denn gerade in der »heutigen demokratischen Gesellschaft« spielen die quicklebendigen Geheimdienste – das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Verfassungsschutzbehörden der Länder, der Bundesnachrichtendienst (BND), der Militärische Abschirmdienst (MAD) und andere – eine zutiefst ehrenhafte, eben eine demokratische Rolle.

Im Gegensatz zu denen in der DDR werden sie demokratisch kontrolliert. Davon konnte sich der Bundestagsabgeordnete der Linkspartei und ehemalige Richter am Bundesgerichtshof Wolfgang Neskovic überzeugen, als er als Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums ein einwöchiges Praktikum beim BND absolvierte: »Die neun Mitglieder des PKG haben nicht den blassesten Schimmer, was die 6.000 Mitarbeiter des Dienstes tun. Wir treffen uns alle drei bis sechs Wochen und hören meistens das, was die Geheimdienste uns erzählen wollen. So kann das nicht funktionieren.«

Dafür funktioniert etwas anderes: die Auswahl der inoffiziellen Mitarbeiter, die hier nicht etwa IMs, sondern V-Männer, V-Frauen oder geschlechtsneutral V-Leute genannt werden. Eine von ihnen, Sandra Franke aus Soltau, wurde vom niedersächsischen Verfassungsschutz als »Doris König« geführt. Zuletzt arbeitete sie als Moderatorin beim tiefbraunen Internet-Radiosender »European Brotherhood Radio«. Mit »Heil Hitler!« kündigte sie neben vielen anderen Haßgesängen auch folgendes Lied an : »In Belsen, in Belsen, da hängen wir sie an den Hälsen; in Buchenwald, in Buchenwald, da machen wir die Juden kalt; in Meiderneck, in Meiderneck, da machen wir aus Juden Speck; aus Judenhaut, aus Judenhaut, da wird der Lampenschirm gebaut; in Auschwitz, das weiß jedes Kind, daß Juden nur zum Heizen sind.« Anschließend dachte sie nach einem nochmaligen »Sieg Heil!« darüber nach, daß unter Hitler eigentlich zu wenig Juden umgebracht worden seien. Als die Betreiber des Radios Ende 2009 endlich vor Gericht gerieten, erhielt Franke lediglich ein Bewährungsstrafe. Als strafmildernd wurde berücksichtigt, daß sie den Verfassungsschutz wiederholt über den Sender informiert hatte. Eine Ausnahme unter den V-Leuten war sie keineswegs. Wie groß deren Anzahl ist, läßt sich dem Buch »Geheime Informanten« von Rolf Gössner entnehmen: »Wie die Innenminister und VS-Behörden inzwischen offiziell zugeben mußten« – was nicht etwa heißt, daß sie alles zugegeben hätten – »standen etwa 30 der insgesamt 200 NPD-Vorstandsmitglieder seit Jahren als V-Leute im Sold des Staates – also fast jeder siebte (15 Prozent).« Darauf können die demokratischen Geheimdienste wahrlich stolz sein!

Seit 1990 bespitzelt der Verfassungsschutz die Partei Die Linke, damals noch PDS, die sich, wenn ein Spitzel auffliegt, sogleich erdreistet, den unverzüglichen Abzug aller V-Leute zu fordern. Gerechterweise wird diese Forderung nicht erfüllt, sind doch die Linken die größte Gefahr für das kapitalistische System.

Selbstredend haben die Geheimdienste des deutschen Sozialstaates auch eine soziale Ader. Sie schaffen Arbeitsplätze für sich und gelegentlich auch für Bauarbeiter, zum Beispiel jetzt in Berlin mit dem Milliardenbau der BND-Zentrale mit 2.800 Räumen auf einer Nutzfläche von 100.000 Quadratmetern, oder sie greifen Studenten unter die Arme, die als V-Leute gegen Bezahlung antifaschistische Initiativen, Bündnisse gegen Sozialabbau und Umweltgruppen ausforschen dürfen. Hilfreich standen sie auch noch zu Lebzeiten der DDR den bundesdeutschen Zollbehörden zur Seite, als diese illegal mehrere Hundert Millionen Postsendungen aus dem östlichen Deutschland kontrollierten und nicht selten vernichteten, um die Bundesbürger vor kommunistischer Propaganda zu schützen. Heutzutage bietet die moderne Technik weitaus kostengünstigere geheimdienstliche Möglichkeiten, um in Konzernen wie Deutsche Bahn, Telekom, Siemens, Daimler an der Ausspähung der Mitarbeiter zu partizipieren. Mit Schäubles Telefon- und Internet-Datenspeicherungsgesetzen sowie mit dem ELENA-Verfahrensgesetz folgten weitere große Schritte zum Überwachungsstaat, was jeden Geheimdienstler nur freuen kann.

Wie verdammenswert sind im Vergleich dazu die IM des Ministeriums für Staatssicherheit. Völlig zu Recht forderte deshalb die Landesvorsitzende der Grünen in Brandenburg, Annalena Baerbock, nach dem bewährten Thüringer Modell die »Stasi-Aufarbeitung ... gerade auch auf kommunale Ebene« fortzusetzen und bei Wahlen alle Kandidaten zu verpflichten, eine schriftliche Erklärung über eine Zusammenarbeit mit der vor zwei Jahrzehnten dahingeschiedenen Stasi abzugeben. Nun hätte man in einem unverschämten Gegenzug verlangen können, daß zukünftig alle Wahlkandidaten auf allen Ebenen in einer eidesstattlichen Erklärung versichern, in keiner Weise als V-Frau oder V-Mann mit den aktiven bundesdeutschen oder ausländischen Geheimdiensten zusammenzuarbeiten. Von einer solchen Forderung wurde bisher nichts bekannt. Auch die gerade in Brandenburg in der Uraltsache MfS so heftig attackierte Linkspartei kam nicht auf diese Idee. Wieso auch? Schließlich leben wir in einer »demokratischen Gesellschaft«, in der neben Al Qaida die Stasi, Signum und Sinnbild der DDR, der Hauptfeind ist und bleiben soll. Übrigens, alle Fraktionen des Brandenburger Landtages haben jetzt eine vierköpfige Kommission zur Stasi-Überprufung der Abgeordneten eingesetzt, der ein Spezialist in Geheimdienstfragen angehört: der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des BND Hansjörg Geiger.