Andrea Nahles. – Mit »Zukunftswerkstätten« wollen Sie der SPD zu einem neuen Aufbruch verhelfen. »Wir wissen jetzt noch nicht, wie die Antworten auf die jeweiligen Fragen dabei aussehen werden«, schreiben Sie im vorwärts. So ganz undefinierbar sei Ihre Partei aber doch nicht: »Wir wissen« – jedenfalls Sie als Generalsekretärin scheinen es zu wissen – »was uns von allen anderen Parteien unterscheidet ... Die SPD ist die einzige Volkspartei der linken Mitte«, und Sie verbinden diese schwer verständliche Ortsbestimmung irgendwie mit dem Begriff des »Gemeinwohls«. Aber was wird daraus, wenn beträchtliche Teile des Volkes partout keine Neigung zeigen, sich linksmittig anzusiedeln, und wenn Ihrer Volkspartei noch mehr Volk abhanden kommt?
Volker Hoff. – Sie haben uns enttäuscht. Ihr Parteifreund Dieter Althaus geht als Cheflobbyist zum Autozulieferer Magna International und will deshalb sein thüringisches Landtagsmandat demnächst abgeben – Sie übernehmen einen solchen Job beim Autoproduzenten Opel, wollten aber Ihr Mandat im hessischen Landtag behalten. Dann wurde Ihnen allenthalben Althaus als Vorbild entgegengehalten, und nun haben Sie nachgegeben; der Landtag soll ohne Sie auskommen. Entweder Lobbyist oder Volksvertreter, tönte es in den Medien. Aber wieso denn? Es gibt viele Beispiele dafür, daß es sich um ein synergetisches Berufsbild handeln kann. Und warum soll das Volk nicht möglichst bald erfahren, wessen Interessen seine Vertreter tatsächlich vertreten? Das erspart doch die Rätselraterei, welchem Konzern ein politischer Amtsträger so nahesteht, daß nach seinem Ausscheiden aus der Politik ein schöner Vorstands- oder Beraterjob sich anbietet.
Regina von Dinther. – In Erklärungsnot« seien Sie geraten, lesen wir in den Zeitungen, weil sie als CDU-Politikerin und Präsidentin des nordrhein-westfälischen Landtags so nebenher im Beirat der Firma Ruhrkohle AG 30.000 Euro Vergütung pro anno kassieren, und zwar für die Teilnahme an zwei gemütlichen Sitzungen. Ein Trost mag Ihnen sein, daß dabei die Rangordnung beachtet wurden: Ihr Stellvertreter im Landtag, Edgar Moron von der SPD, bekommt nur 22.500 Euro für dieselbe Präsenz.
Wolfgang Kersting. – Die Frankfurter Allgemeine hat Sie, den »Kieler Sozialphilosophen«, zum Kronzeugen für ihre Anklage gegen das böse System öffentlicher sozialer Leistungen auserwählt. Dem Blatt gefällt Ihr Kernspruch: »Der Sozialstaat gleicht immer mehr einem totalitären Regime, das die Familien zerschlägt.« Das Institut für Weltwirtschaft (ebenfalls Kiel) hatte nämlich herausgefunden, daß alleinerziehende Mütter, die Hartz IV erhalten, durch diese Staatsknete davon abgehalten werden, sich einen Job zu suchen und, schlimmer noch, einen bisherigen Partner zu halten oder neu auf Partnersuche zu gehen. Endlich die ultimative Ehe- und Familientherapie: Der Staat zahlt nicht mehr, und die Frau als Mutter wird wieder nett zu den Männern.
Angela Merkel. – Noch einmal haben Sie sich freundlich geäußert über die kritischen Worte von Margot Käßmann zum Militäreinsatz in Afghanistan. Der Welt am Sonntag sagten Sie: »Wir sollten jeden respektieren, der diesen Einsatz ablehnt, wie auch die, die ihn für notwendig halten.« Verständnis zeigen für die andere Meinung – auch Frau Käßmann tut dies, und so tritt Beruhigung ein. Es wirkt dann nicht weiter aufregend, daß die Einsatzstärke der Bundeswehr am Hindukusch gesteigert wird.
Joachim Meißner. – Sie haben als erster festgestellt und in einer Predigt im Kölner Dom der erstaunten Öffentlichkeit mitgeteilt, daß die Christen die größte Gruppe in der Welt seien, »die um ihres Glaubens willen verfolgt, getötet und ihres Hab und Gutes beraubt werden«. Ja, wenn das so ist, Herr Kardinal, dann sind die Christen doch geradezu verpflichtet, sich an dem »Kreuzzug« zu beteiligen, als den George W. Bush den von ihm ausgerufenen »war on terror« ausdrücklich ankündigte. Wie wird es Gott gefallen, wenn die Bundeswehrsoldaten in Afghanistan das den Christen geraubte Hab und Gut zurückerobern! Vor allem das Öl in den benachbarten Ländern! Nach der jüngsten Londoner Afghanistan-Konferenz soll künftig zwischen guten und bösen Taliban unterschieden werden. Dabei könnten die Politiker und Militärs auf Ihre Hilfe angewiesen sein, denn ein guter Taliban, nicht wahr, kann letztlich nur der sein, der sich taufen läßt. Also: Missionare an die Front! Die kriegführenden Staaten haben sich schon darauf verständigt, Geld für das Überläuferprogramm bereitzustellen. Keine Minarette in Deutschland und in der Schweiz! Aber viele Kirchtürme in Kabul, Kundus und Kandahar! Übrigens müssen Sie bei Papst Benedikt dringend eine neue Bibel-Übersetzung bestellen. Worte wie »Du sollst nicht töten« oder »Liebet eure Feinde« stören beim Kreuzzug gegen Afghanistan, Pakistan, Irak, Iran, Jemen, Somalia und so weiter.
Arbeiterfotografie, kritischer Text- und Bilderdienst. – Wie Sie die Öffentlichkeit wissen lassen, halten Sie es nicht für logisch, daß ein Land, diesmal Jemen, in dem eine Organisation bestehen soll, die jemanden unterstützt haben soll, der ein Attentat geplant haben soll, bombardiert werden muß. Sie lassen sogar durchblicken, daß Sie den »gerechten Krieg«, über den der Friedensnobelpreisträger des Jahres 2009 gesprochen hat, nicht für gerecht halten. Was erdreisten Sie sich!
Diverse Medien. – Sie schildern recht genau, wo im Städtchen Heinsberg gegen die Anwesenheit des Gewalttäters Karl D. zu demonstrieren ist, der nach Verbüßung seiner 20jährigen Haft entlassen wurde. Tag für Tag finden sich Menschen ein, die um ihre Kinder bangen und ein ungesetzliches Vorgehen gegen D. verlangen. Bitte nennen Sie nun auch mal die Adresse von Georg K., der an die 150 Zivilpersonen, darunter Frauen und Kinder, per Bombenabwurf am Kunduzfluß in Afghanistan hat töten lassen. Gegen diesen Bundeswehr-Obristen wird nicht einmal staatsanwaltlich ermittelt, man prüft nur, ob ermittelt werden soll. Kein Wort von Sicherungsverwahrung für ihn und seine Vorgesetzten, obwohl Wiederholungsgefahr besteht. Hier die Adresse: 13. Panzergrenadierdivision, 04159 Leipzig, Wiederitzscher Weg. Wo bleiben die Demonstranten?