Es gehört zum Allgemeinwissen, daß wissenschaftliche Institutionen und auch ganze Fachrichtungen von politischen Interessengruppen instrumentalisiert werden. Im Nahost-Konflikt gilt das zum Beispiel für die Altertumswissenschaft, die dazu herhalten muß, die fortwährende Landnahme radikaler israelischer Siedlergruppen und die damit verbundene Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung zu legitimieren. Wenig bekannt ist, daß auch die Architektur zunehmend zur Komplizin der israelischen Besatzung geworden ist. Viele Architekten und Planungsingenieure haben sich für Handlangerdienste einer aggressiven Siedlungspolitik hergegeben. Mit seinem Buch »Sperrzonen« thematisiert der israelische Architekt Eyal Weizman die »Architektur der Besatzung« und zeigt, wie dort Menschenrechte verletzt werden.
Weizman unterscheidet verschiedene Phasen der israelischen Besatzungspolitik. Anfänglich wurde die palästinensische Landwirtschaft im Westjordanland sogar von der Militärverwaltung subventioniert. Mit dem Erstarken der israelischen Rechten – Weizman schildert beispielsweise Ariel Scharon als einen der schlimmsten Scharfmacher im Nahostkonflikt – wich die eher moderate Besatzungspolitik einer kaum verbrämten ethnischen Säuberung. Zum Teil völlig absurd erscheinende städtebauliche Vorgaben sorgten dafür, daß Bauanträge palästinensischer Einwohner fast immer abschlägig beschieden wurden, während zahlungskräftige Israelis die geforderten Auflagen bequem erfüllen konnten. »Vorübergehende Sicherheitsbedenken« mußten für die Zerstörung palästinensischer Siedlungen und die Ausweisung ihrer Bewohner herhalten. Ab 1979 wurde Land, für das palästinensische Bewohner keinen Besitztitel nachweisen können, kurzerhand zum »Staatsland« erklärt und für eine Bebauung durch israelische Siedler freigegeben. Mit Kartenmaterial, Satellitenaufnahmen und Fotos dokumentiert das Buch die dadurch entstandene, zum Teil groteske Grenzziehung zwischen israelischen und palästinensischen Gebieten. Um diese Grenzen scheren sich jedoch weder israelische Kampfflugzeuge und Aufklärungsdrohnen noch die von beiden Seiten abgeschossenen Granaten und Raketen. Die israelische Regierung investierte Milliardensummen in den Bau von Straßentunneln, um isoliert inmitten palästinensischer Gebiete liegende Siedlungen an ihr Autobahnnetz anzuschließen. Den Versuchen israelischer Militärs, palästinensische Gemeinden durch den Bau von Straßensperren auszuhungern, begegneten diese ebenfalls mit dem Bau von Tunnelanlagen. Durch Tunnel wurde das belagerte Gaza versorgt, israelische Militärstützpunkte wurden unterirdisch angegriffen und in die Luft gejagt.
Ausführlich dokumentiert Weizman die Kriegführung der israelischen Armee. Das Militär antwortete auf Anschläge palästinensischer Kommandos mit Besetzung und Zerstörung ganzer Stadteile. Die im Jahre 2005 aufgegebenen israelischen Siedlungen im Gazastreifen sollten zunächst der palästinensischen Autonomiebehörde übergeben und zu Krankenhäusern, Bibliotheken und Ausbildungszentren umgebaut werden. Statt dessen hinterließen die Sprengkommandos der Armee 1,5 Millionen Tonnen Schutt. Den Höhepunkt der urbanen Kriegführung bildet jedoch der im letzten Kapitel des Bandes behandelte Angriff auf Gaza im Dezember 2008. Das israelische Militär zerstörte binnen weniger Wochen 15 Prozent der Gebäude, tötete 1.300 Menschen, hauptsächlich Zivilisten.
Das Buch, das zum Teil auf nichtöffentlichen Quellen beruht, thematisiert nicht nur die Architektur einer Besatzung, sondern ist gleichzeitig auch ein Lehrbuch neuester Kriegführung. Und der hier geschilderte Krieg findet nicht nur im Nahen Osten zwischen Israelis und Palästinensern statt: Er tobt weltweit zwischen Arm und Reich.
Der Architekt Eyal Weizman ist Enkel polnischer Holocaust-Überlebender. Derzeit arbeitet er als Direktor des »Center for Research Architecture« am Goldsmith-College, London.
Eyal Weizman: »Sperrzonen. Israels Architektur der Besatzung«, Edition Nautilus, 351 Seiten, 24,90 €