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Titel0312

Ich bin aus dem Schneider  (Arno Klönne)

Darf der Verfassungsschutz linke VolksvertreterInnen beobachten? Dieses amtliche Observieren ist ja nichts Schlimmes, sagt der Bundesinnenminister, da würden nur Aufsätze und Reden der Abgeordneten gelesen und ausgewertet, »nachrichtendienstliche Mittel« nicht eingesetzt. Selbstverständlich ist eine solche Auskunft falsch, aber man kann sie als Notlüge verbuchen – geheime Dienste sind, was sollten sie sonst sein, geheim, zumindest möchten sie es bleiben, und wie soll man von ihrem obersten Dienstherrn erwarten, daß er sie enthüllt. »Beobachtung« bedeute nicht »Überwachung«, sagt die zuständige Behörde, aber das ist Nonsens, denn wachsam will sie doch gerade sein, um etwas zu schützen – zu klären ist nur, was. Den Staat? Die Verfassung? Vor einem »Umsturz«? Daß Dietmar Bartsch MdB – ich nenne ihn hier, weil er für den Vorsitz der zu beobachtenden Partei kandidieren will – einen Putsch gegen die Bundesregierung oder gar eine Volksrevolution anzetteln möchte oder könnte, wird auch der eifrigste Beobachter nicht für möglich halten. Zuvorkommenderweise hat allerdings der Bundesinnenminister jetzt auch angedeutet, er werde vielleicht die Zahl von zu observierenden PDL-Mandataren reduzieren. Insofern läßt sich wohl diese behördliche Schutztätigkeit als erzieherische, im persönlichen Interesse der betroffenen PolitikerInnen liegende Maßnahme betrachten: Beobachtung durch pädagogisches Personal, vom Schulhof her weiß man das, führt zu anständigem Verhalten, und im Erfolgsfall muß der Zögling dann gar nicht mehr beobachtet werden, er hat die Verhaltensregeln verinnerlicht.

»Wer den Systemwechsel fordert, darf sich über Beobachtung nicht wundern« – sagt CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Dann können linke Parlamentarier, um sich nicht mehr wundern zu müssen, es doch einfach drangeben, nach einem Wandel der politischen Ökonomie beziehungsweise der »ökonomischen« Politik zu verlangen. Worum es da geht, läßt sich vielen Berichten der Verfassungsschutzämter entnehmen: um die Anerkennung der »Marktwirtschaft«. Es reicht offenbar nicht, diese als ein Element der angestrebten Gesellschaftsordnung anzuerkennen, man muß sie ohne Wenn und Aber akzeptieren, auch nicht unbedingt mit dem Beiwort »sozial« einschränken, besser ist hier das Adjektiv »frei«. Dann ist da nichts mehr zu beobachten. Ob es den »Markt«, dem ein Glaubensbekenntnis zu leisten ist, in der Realität überhaupt gibt – darüber sollen sich LinkspolitikerInnen mal keine Gedanken machen. Der Blick in die Verfassung würde ihnen da auch nicht helfen, denn im Grundgesetz der Bundesrepublik steht nichts über Marktwirtschaft.

Was ist nun aber mit der Verfassung, deren Feinde doch ausfindig gemacht werden sollen? Weshalb ist es notwendig, wie der Bundesinnenminister uns erklärte, Parteien zu beobachten, in denen sich »womöglich« Verfassungsfeindlichkeit rege? Und wo doch, was die PDL angeht, wie der führende SPD-Parlamentarier Thomas Oppermann ergänzt hat, über »verfassungsfeindliche Bestrebungen bei Teilen« dieser Partei »keine Zweifel« bestehen?

Siegfried Kauder, Vorsitzender der CDU-Abgeordneten im Bundestag, hat einen Weg gezeigt, auf dem die PDL aus all den bedrängenden Beobachtungen herauskommen kann: »Wenn die Linkspartei geschlossen erklärt, wir akzeptieren die Verfassung, wir wollen sie nicht abschaffen, wir halten uns an die demokratische Grundordnung, dann ist sie ganz schnell aus dem Schneider.« Anzunehmen ist, daß dieses Angebot nicht nur für die Linkspartei und deren Angehörige gilt. Also mache ich davon Gebrauch und versichere: Abschaffen will ich die grundgesetzliche demokratische Ordnung keineswegs, sie ist mir lieb und wert. Allerdings kann ich mir eine neue Verfassung vorstellen, in der Grundregeln der Demokratie präziser und den heutigen Zeitumständen besser entsprechend formuliert sind als in der jetzt geltenden. Das Grundgesetz hatte die Möglichkeit einer solchen Neufassung ausdrücklich vorgesehen. Dazu ist es nach dem Ende der DDR leider nicht gekommen. Demokratische Grundordnung – was darunter zu verstehen ist, kann man im Grundgesetz nachlesen: Menschenrechte, Volkssouveränität, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Parteienfreiheit, das Recht auf politische Opposition. Will ich diese Normen aufweichen oder gar beiseite räumen? Ganz im Gegenteil – es gefällt mir gar nicht, daß seit vielen Jahren wechselnde Regierungen beständig und mit erheblichem Effekt sich darangemacht haben, Bestandteile der demokratischen Grundordnung zu demontieren, auch durch Veränderung von Verfassungsdetails, was ja rechtlich zulässig ist, womit jedoch die Substanz des Grundgesetzes, und die soll ja geschützt, werden, angegriffen wurde.

Dem Kapitalismus gibt das Grundgesetz keine Schutzgarantie, den darf ich also abschaffen wollen. Vielleicht weiß Kauder das nicht, aber er kann ja mal nachlesen. Dann bin ich aus dem Schneider.

Postscriptum: Bundesinnenminister Friedrich gab »Liebesbriefe an Diktatoren« in der Aktuellen Stunde des Bundestages als Grund dafür an, daß PDL-PolitikerInnen im verfassungsschützerischen Visier bleiben müßten. Da bin ich auch ganz sauber. Solcherart Sympathieerklärungen fand ich schon zu der Zeit eklig, als prominente Parteifreunde von Hans-Peter Friedrich sie gern zu Papier brachten, adressiert an Franco, Pinochet ...