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Abschied vom Prinzip der Sippenhaft  (Rolf Gössner)

Sogar als (parteiloser) Vertreter der oppositionellen Linksfraktion in der Deputation für Inneres der Bremischen Bürgerschaft kann man gelegentlich einen Erfolg vermelden – auch wenn er einem von Regierungsseite nicht gegönnt wird. Im Spätsommer 2011 hatte ich in der Innendeputation den Antrag gestellt, den Bremer Erlaß zum neuen Aufenthaltsrecht in einem entscheidenden Punkt abzuändern. Mein Antrag zielte auf ein eigenständiges, eltern- und familienunabhängiges Aufenthaltsrecht von jungen, gut integrierten, aber lediglich geduldeten Migranten ab. Dieses Ziel sah ich durch einen Erlaß von Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) vom 19. Juli 2011 in einem zentralen Punkt gefährdet, ja konterkariert. Danach konnte eine Aufenthaltserlaubnis dann versagt werden, wenn Familienangehörige erheblich straffällig geworden sind. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen, die selbst nicht straffällig geworden waren, wurden damit faktisch in Sippenhaft genommen. Sie wurden bestraft für Rechtsverstöße, die sie nicht begangen hatten. Mein Antrag stützte sich auf den Wortlaut der vom Bund getroffenen Neuregelung in § 25a Aufenthaltsgesetz, demzufolge es eine Einschränkung nach dem Prinzip der Sippenhaft gerade nicht gibt, sondern nur im Fall eigener erheblicher Straffälligkeit der Betroffenen. Die Bremer »Versagensklausel« für junge Migranten, deren Familienangehörige straffällig geworden sind, ging somit allein auf die Initiative des SPD-geführten Innenressorts des Bremischen Senats zurück. Damit überholte das rot-grün regierte Bundesland an dieser Stelle den Bundesgesetzgeber von rechts, wie die Flüchtlingsinitiative Bremen richtig bemerkte.

Die Versagensklausel hatte zur Folge, daß den Betroffenen ein gesicherter Aufenthaltsstatus und eine eigenständige Zukunftsperspektive in Bremen verweigert wurden – obwohl sie integriert und selbst nicht straffällig geworden sind. In meinem Antrag forderte ich den Innensenator auf, diese »Lex Bremen« ersatzlos zu streichen und das ohnehin schon verschärfte Bundesrecht nicht noch weiter einzuschränken. Kinder, so argumentierte ich, können nichts für mögliche Vergehen in der Familie und sollten nicht dafür büßen.

Und tatsächlich folgte der Senator für Inneres diesem Anliegen im Oktober 2011: Er legte der Deputation einen neuen Erlaß zur Abstimmung vor, in welchem der Passus einer erheblichen Straffälligkeit von Familienmitgliedern nicht mehr auftaucht. Künftig gilt: »Die Straffälligkeit von Familienangehörigen bleibt somit für die Begünstigten folgenlos und steht einer aufenthaltsrechtlichen Verfestigung nicht im Wege« (Vorlage des Innensenators vom 12. Oktober 2011). Inzwischen ist der neue Erlaß verbindlich.

Mit dieser überfälligen Verabschiedung vom Prinzip der Sippenhaft können Betroffene also nicht mehr für Rechtsverstöße bestraft werden, die sie nicht begangen haben. Auch ihnen wird nun endlich ein gesicherter Aufenthaltsstatus und eine Zukunftsperspektive eröffnet. Damit hatte mein Antrag, der noch einen anderen kleineren Punkt enthielt, überwiegend Erfolg. Doch der sollte mir und der Linksfraktion gerade nicht gegönnt werden. Und so entwickelte sich während der Deputationssitzung eine wahre Provinzposse. Innensenator Mäurer, der die Sitzung leitete, stellte seinen neuen Erlaß zur Abstimmung und mich vor die Alternative: Entweder solle ich meinen Antrag zurückziehen oder er werde abgelehnt – obwohl er doch erkennbar zum ganz überwiegenden Teil Erfolg hatte. Das mit dieser unwürdigen Taktik verfolgte Ziel des Senators war ganz offensichtlich: Der unmittelbare Zusammenhang zwischen Erlaßänderung und meinem Antrag sollte so gründlich wie möglich gekappt werden.

Demokratie, so dachte ich bei mir, geht anders – und erwiderte, daß ich nichts zurückzunehmen hätte. Ich beantragte, einen Deputationsbeschluß herbeizuführen, daß nur mein darüber hinausgehender Antrag abgelehnt werde. Und so ist es dann auch gekommen. Der Wahrheit eine Chance.

Rolf Gössner ist seit 2007 parteiloser Vertreter der Linksfraktion in der Deputation für Inneres der Bremischen Bürgerschaft.