Leser der Berliner Zeitung, jene, die sozusagen in die Jahrzehnte gekommen sind, mögen sich an diesem Morgen die Augen gerieben haben, als sie in dem Blatt auf diese Sätze stießen: »Der Friedrich, mit dem wir aufwuchsen, ist der Adolph Menzels. Ein König, der Flöte spielt, der seine Freunde zu Tisch lädt und der in seinen unzähligen Schlachten immer im einfachen Soldatenrock zu sehen ist. Einer, der der Erste unter – fast – Gleichen ist. Das ist ein Wunsch-Friedrich ... Ein König der Bürger.« Täuscht mich, mag sich mancher da gefragt haben, mein Gedächtnis? Dann geht einer der Zweifelnden doch zu seinem Bücherregal und greift in die hintere Reihe zu den dort noch immer aufbewahrten Schulgeschichtsbüchern. Klasse 7, das müßte das richtige sein. Da wurde die Zeit des Absolutismus und Friedrichs II. »behandelt«. Gedruckt wurde der Band 1970. Wie lange ist das her, daß er im Schulranzen hin und her geschleppt wurde? Fast ein halbes Jahrhundert.
Im Kapitel »Der landesfürstliche Absolutismus in Deutschland« folgt auf einen Abschnitt über den »preußischen Militärstaat« der mit der Überschrift »Eroberungskriege Friedrichs II.« Darin kommt in rot umrandeten Kästen der Herrscher selbst zu Wort. Er belehrt: »Wenn Ihnen eine fremde Provinz gefällt und Sie stark genug sind, besetzen Sie sie sofort. Wenn Sie dies erst getan haben, finden sich immer genügend Juristen, die beweisen, daß sie ein Recht auf das besetzte Land hatten.« Und eine Seite weiter: »Von allen Ländern Europas passen zu Preußen am besten Sachsen, Polnisch-Preußen und Schwedisch-Pommern, weil alle die zu seiner Abrundung beitragen. Sachsen wäre am nützlichsten.« Das waren keine Träumereien an preußischen Kaminen. In Schlesien war der König 1740, in Sachsen 1756 eingefallen, jeweils ohne Kriegserklärung. So begannen der erste und der dritte schlesische Krieg, der wurde ein siebenjähriger. Und die Flöte? Nichts davon, hingegen Informationen über die Teilung Polens, das preußische Landrecht und die Rolle des Militarismus und dessen fernere Wirkungen in die deutsche Geschichte.
Welche Erleichterung. Noch ist auf das Gedächtnis einiger Verlaß. Die Reminiszenz an die Schuljahre kann beendet, das Buch an seinen Platz zurückgestellt werden. Wäre in dessen Nachbarschaft nicht noch ein zweites Schulgeschichtsbuch zu entdecken gewesen. Das wollte der Neffe loswerden, der es nie mit der Geschichte hatte. Es stammt aus einem der letzten Jahre der DDR-Zeit, gedruckt 1988. Auch in dem Band ist der Kultur des Absolutismus Raum gegeben. Bilder barocker Bauten, Fotos und Skizzen von Schloß- und Stadtanlagen, die Namen ihrer Baumeister, die Abbildung einer Vase aus Böttgerporzellan, die höfische Mode. Dann folgen die Lebensbedingungen der Bauern und der Soldaten, die Maßnahmen zur Mehrung der Staats- und Kriegskasse. Dazu Friedrichs Feldzüge und wieder das Zitat über die Anziehungskraft fremder Provinzen und die dienstfertigen Juristen. Doch auch hier keine Flöte und kein Menzel.
Wie also mag der Autor des Artikels darauf verfallen sein? Die Lösung fand sich. Die Sprache ist nicht nur ein Mittel der Verständigung, sie ist häufig auch ein Verräter. Ein einziges Wort, ein einziger Klang lassen manchmal sagen: ene Kölsche Jung oder `ne Fischkopp. Der Autor, der das einnehmende Wir benutzte, kann nur ein Westdeutscher sein. Kein Irrtum. Die Nachprüfung ergibt: 1946 geboren in Frankfurt am Main und daselbst studiert worden. Daher die Flöte.