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Titel032013

Wie ruft man ein Kind ohne Rufnamen?  (Lothar Kusche)

In seiner neuesten Premiere erfreut das Renaissance-Theater uns mit einem ebenso intelligenten wie lustigen Stück von Delaporte und de la Patellière. Die Vornamen der hochbegabten Autoren sind, ihrer Länge wegen, als Rufnamen nicht besonders geeignet: Matthieu und Alexandre. Ihr zwei Stunden und 15 Minuten langes Spiel heißt »Der Vorname« und wurde allerorten sehr erfolgreich. Das dürfte in Berlin-Charlottenburg nicht anders werden: Dafür garantiert Antoine Uitdehaags brillante Inszenierung, die den erstklassigen Schauspielern Martin Lindow, Roberto Guerra und dem einzigartigen Peter Kremer, aber auch Anika Mauer und Nadine Schori zur Freude des begeisterten Publikums noch etwas mehr abverlangt, als diese sympathischen Künstler in ihrer zweifellos gründlichen Ausbildung von Meistern der Theater-Künste erworben haben.

Was auf der Szene geschieht, sei hier nur skizziert: Elisabeth Garaud-Larchet (Anika Mauer) und ihr Mann, der Literaturprofessor Pierre Garaud, haben Gäste. Doch der gemütliche Familienabend gerät aus dem Ruder. Die Plauderei wird zum Streitgespräch, von der Dramaturgie so beschrieben: »Für Vincent (Elisabeths Bruder), einen begnadeten Selbstdarsteller, ist die Runde zu friedlich. Um für ›Stimmung‹ zu sorgen, enthüllt er den fassungslosen Freunden den geplanten Vornamen seines noch ungeborenen Sohnes: Adolphe. Die Debatte um die Frage, ob man sein Kind nach Hitler benennen darf, ist nur eine der hitzigen Diskussionen dieses Abends, aber sie führt dazu, daß das bisher so gemütliche Familientreffen plötzlich aus dem Ruder läuft … Beträchtliche Eitelkeiten treffen aufeinander, mit geschwollenen Kämmen hacken die Kampfhähne aufeinander ein … Wortwitz und Dialoge in der besten Tradition der französischen Gesellschaftskomödie treiben atemlos eine Handlung voran, die … auch manchen Blick in die Abgründe der Figuren erlaubt ...«

Kein Familientreffen ohne manchen Blick in gewisse Abgründe. Darüber weiß ich, als unfreiwilliger Familienmensch ein wenig Bescheid. Aber darüber redet man nicht. Und ich könnte das auch nicht mit dermaßen selten eleganter Heiterkeit tun wie die Dichter, Inszenatoren und feinsinnigen Darsteller des »Vornamens«.

Ich darf anmerken, daß mir meine Vornamen im Leben nie geschadet haben. Ich heiße Lothar Ernst Heinrich Kusche.