Seit einiger Zeit beunruhigt mich ein Wort, und zwar nicht wegen seiner Bedeutung, sondern wegen seiner inflationären Verbreitung. Es begann im vergangenen Sommer, als ich als Gasthörer an einem literaturwissenschaftlichen Seminar teilnahm, das mir wertvolle Anregungen bot. Aber mich wunderte zunächst und störte dann allmählich, daß der Dozent auffällig häufig ein »sozusagen« einschob. Einige Male dachte ich daran, ihn auf seinen eigenartigen Sprachgebrauch aufmerksam zu machen, doch verwarf ich die Idee, um ihn weder befangen zu machen noch meine Kompetenzen als Gasthörer zu überschreiten.
Es dauerte nicht lange, da hörte ich das Wort gehäuft auch von anderen. Ich stellte fest, daß es zur Häufigkeit des Gebrauchs – zum Teil detaillierte – Untersuchungen gibt: So hat jemand alle Stellen aufgeführt, an denen Rainald Goetz im ZDF-Nachtstudio das Wort »sozusagen« verwendet hat; an Hand einer youtube-Aufnahme läßt sich der Befund auf die Sekunde genau verifizieren. (www.umblaetterer.de). Ähnlich verfährt Richard Albrecht in seinem Beitrag »Deutscher Meister im Sozusagen – Prof. H.-U. Wehler« (duckhome.de); auch in diesem Fall lassen sich die Belege nachprüfen, hört man die betreffende Sendung auf Deutschlandradio Kultur nach.
Am meisten beunruhigte es mich aber, daß ich, ohne es zu wollen, zuweilen selbst das Wort gebrauchte. Mir ging es dann immer wie Claudia Klinger, die von sich schreibt: »Ich zucke jedes Mal zusammen, wenn ich mich dabei erwische, wie mir das schreckliche Füllsel über die Lippen kommt, sich sozusagen den Raum erzwingt, den ich ihm freiwillig nicht geben will.« (www.claudia-klinger.de).
Die Sache ließ mir keine Ruhe. Im »Duden« fand ich Hinweise zur Rechtschreibung (in einem Wort), Bedeutung und Aussprache. Der Hinweis zur Aussprache besagt, daß »sozusagen« auf der dritten Silbe betont werden soll. Das habe ich bei meinen Beobachtungen anders registriert; das Wort wird demnach im allgemeinen auf der ersten Silbe betont. Ich überlegte, ob die Deutung der Diskrepanz zwischen der »Duden«-Regel und meiner Beobachtung dazu beitragen könnte, die Funktion des Wortes besser zu verstehen, und gelangte zum Ergebnis: Das Füllsel erhält auf diese Weise seinen Antrieb für sein viersilbiges Rennen, wirkt dynamisierend.
Ganz sicher war ich mir mit meiner Beobachtung allerdings nicht und noch weniger mit deren Deutung; da las ich in der taz: »Der Häufignutzer kommt inzwischen nur noch mit Konsonanten aus und zischelt in regelmäßigen Abständen ein ›szsgn‹«. Ähnliche Beobachtungen hatte bereits der Freitag gemacht: Von Schnellsprechern werde »das vielsilbige Wort zu einem schlichten ›sosagen‹ oder gar einem ›sosa‹ zusammen gezogen.« Auf Menschen mit derartigen Fähigkeiten war ich zwar noch nicht gestoßen, aber die Beschreibung des Phänomens bestätigte mich in meiner Analyse.
Doch es gibt auch Fundstellen, die die Dramatik meines Befundes relativieren: Denn in den Werken der Literatur kann von derlei dynamisierender Funktion keine Rede sein: Wenn Christian Morgenstern sein Gedicht »Tertium gaudens« mit den Zeilen beginnt »Vor vielen Jahren sozusagen/ hat folgendes sich zugetragen«, dann dürfen wir zu Recht vermuten, daß er das »Sozusagen« überlegt eingesetzt hat: Es verwischt das Initialereignis, um der folgenden Absurdität freien Lauf zu lassen. Wilhelm Busch (»Ermahnungen und Winke«) benutzt das das Wort, um auf »O wie lieblich, o wie schicklich« einen Vers folgen zu lassen, in dem er das hochgestochene »herzerquicklich« einschmuggeln kann. Auch Erich Kästners Überschrift »Sozusagen in der Fremde« deutet nicht etwa auf Verlegenheit des Dichters, Kästner betont hiermit vielmehr eine Metapher für einen Mann, der sich in der Masse allein fühlt (»Was wollte er in dieser Stadt, in der er einsam saß?«). Mascha Kaléko gibt den Gedichten »Sozusagen grundlos vergnügt« und »Sozusagen ein Mailied« jenen für sie charakteristischen schwebenden Ton, indem sie das »Sozusagen« gleich an den Anfang der Überschrift setzt. Der literarische, schriftsprachliche Gebrauch gibt offenbar zu keiner Klage Anlaß.
Schwer erträglich wird es allerdings, wenn das Wort – wie Claudia Klinger es schildert – »schon auf Geschriebenes über[greift]«, das heißt, wenn das Geschriebene nicht mehr bewußt gestaltet wird, sondern der Verfasser einem sprachlichen Trend willenlos folgt. Die Kritik an »sozusagen« betrifft vor allem seine Funktion als Füllwort. Die Benutzung von Füllwörtern wird in der mündlichen Kommunikation vielfach belustigt zur Kenntnis genommen, nicht aber grundsätzlich kritisiert und in Frage gestellt. Füllwörter haben eine Funktion, in der sie die menschliche Unvollkommenheit hörbar machen, die sich darin ausdrückt, nicht immer das passende Wort zur Hand – besser gesagt: zum Mund – zu haben. Sie sind, mit Loriot zu sprechen, Zeichen einer »liebenswürdigen Besonderheit«.
Es gibt die einfachen Exemplare (der Urlaut »äh« verdient hier, an erster Stelle genannt zu werden, unmittelbar darauf jedoch das »also«); andere wirken auf den ersten Blick durchaus anspruchsvoll (wie »quasi«), eignen sich aber gerade deswegen nicht so gut zum häufigen Gebrauch wie jene, die zwar phonetisch, nicht aber inhaltlich vergleichsweise elaboriert sind: So lassen sich das »praktisch«, aber auch das »irgendwie« einordnen, das seine besten Tage jedoch hinter sich hat, wie Harald Martenstein in der Zeit bemerkt. »Das Wort ›irgendwie‹, welches sich im deutschen Sprachraum lange Zeit großer Beliebtheit erfreute, ist irgendwie auf dem Rückzug.« Bläßlich, wie es ist, eignet es sich hervorragend als Füllwort. Daher vermutet Martenstein: »Sozusagen ist das neue Irgendwie.«
Die Kritik an gedankenlosem, häufigem Gebrauch des Wortes kommt aus unterschiedlichen Richtungen.
Verfehlt erscheint mir Martensteins Zugang von der Parteipolitik her, besonders der Versuch, den inflationären Gebrauch des Wortes als »das sprachliche Erbe der Ära Merkel« zu erklären. Vollends skurril wird die Beweisführung, wenn Martenstein damit argumentiert, im Fernsehduell habe Merkel neun Mal, Steinbrück hingegen kein Mal »sozusagen« gebraucht.
Ulrich Werner (www.sprache-werner.info) nimmt die Position des Sprachpapstes ein. Er betont die Inkompetenz derjenigen, die das Wort häufig und gedankenlos gebrauchen: »Der Begriff ›sozusagen‹ bedeutet … das Eingeständnis, ein Wort, einen Begriff oder einen Satz zu verwenden, womit das gemeinte Objekt nicht richtig oder nicht ausreichend beschrieben ist.« Der Tatbestand scheint mir zutreffend beschrieben. Aber Ulrich Werners erhobener Zeigefinger ist zum einen unangebracht, da er sich selbst ungenau ausdrückt. (Nicht »der Begriff«, sondern sein Gebrauch »bedeutet« das genannte »Eingeständnis«.) Vor allem aber sollte erst einmal geklärt werden, weshalb er derart häufig verwendet wird.
Die Erklärung wird von anderen Autoren auf zwei Wegen versucht: einmal auf dem medizinisch-psychologischen und zum anderen auf dem sozialwissenschaftlichen.
Die medizinisch-psychologische Erklärung ist weit verbreitet: Claudia Klinger deutet sie bereits in der Überschrift ihres Beitrags an: »Im Griff des Virus«. Und Martenstein stellt fest: »Sozusagen hat sich zu einer Volkskrankheit entwickelt.« Ulrich Werner beklagt: »Mit der Verbreitungsmacht der Medien infiziert die Sozusagen-Seuche die Sprachgemeinschaft.« Hier ist von »infizieren« und von »Seuche« die Rede. Hellhörig machte mich das Wort »Sprachgemeinschaft«, dessen Konnotation nicht weit von der »Volksgemeinschaft« und dem (gesund zu erhaltenden) »Volkskörper« entfernt ist.
Es ist schade, daß Claudia Klinger so schnell zu dieser medizinisch-psychologischen Erklärung greift, denn sie ist der Lösung des Rätsels, weshalb »selbst Menschen, die ein gutes Sprachgefühl haben und komplett überflüssige Füllwörter nicht über die Lippen bringen, … der Krankheit nicht [entgehen]«, durchaus dicht auf der Spur. Einige Sätze später spricht sie nämlich vom »kommunikative[n] Streß der Informationsgesellschaft« – einer Gesellschaft, in der die Menschen »immer informiert sein …, stets imstande sein [müssen], zu allem und jedem ›Stellung zu nehmen‹, immer am Ball, immer auf Draht«. Hier wird es interessant: Die Autorin beschreibt das Menschenbild der neoliberalen Leistungsgesellschaft, die die »Selbstoptimierung« und die Steigerung der eigenen »Beschäftigungsfähigkeit« (»employability«) fordert.
Als Lösungsmodell empfiehlt sie Thomas Gottschalks Devise: »Ich will es gar nicht wissen, sondern nur weitersagen«, fügt aber gleich hinzu: »Ich gebe zu, diese Lösung gefällt mir nicht.« Sie zieht als Alternative vor: »Wir könnten schweigen, einfach nichts mehr sagen, sämtliche Meinungs- und Kommunikationsfronten dauerhaft bestreiken« und endet mit dem Entschluß: »Ich probiere« diese »furchtbare Vision … jetzt einfach mal aus.«
Es täte mir leid um die Äußerungen der vielen klugen Menschen, die dem Beispiel folgen könnten, nur weil es so schwer ist, sich gesellschaftlichen Mechanismen zu entziehen. (Locker sitzt mir an dieser Stelle Adornos Sentenz in den Computertasten: »Es gibt kein richtiges Leben im falschen.«) Geht es nicht eine Nummer kleiner? Ich halte es da mit dem Freitag: »Weniger reden und zuvor mehr denken könnte auch helfen.«
Das vermehrte Auftauchen des Wortes »sozusagen« hat meiner Ansicht nach etwas mit seiner Funktion als »Sprechplanungswort« (Freitag) zu tun. Es hilft dem Sprechenden, »seinen Redefluß gedanklich zu strukturieren, und [gibt] ihm Zeit .., sich beim Reden zu überlegen, was er gerade sagen will.« Durch diese Interpretation wird der anklagende Gestus (des Schwätzens) reduziert. Der zunehmend häufige Gebrauch des Wortes könnte sich durch die Ahnung bevorstehender, aber noch nicht vollzogener Umbrüche der Gesellschaft erklären, die die Sprechenden in tastende Unsicherheit wirft.