Staatenlenker marschieren und posieren für Pressefreiheit. Morde werden umgehend benutzt zur Durchsetzung einer kontrollierten Gesellschaft mit noch mehr Überwachung. Damit werden Werte und Rechte, die die versammelten Politiker so hoch halten, zur Worthülse: Politik als Inszenierung, demonstrative Gefühle als PR. Bundeskanzlerin Merkel sieht in den Morden von Paris laut Presse- und Informationsamt der Bundesregierung einen »Angriff« auf ein »Kernelement unserer freiheitlich-demokratischen Kultur«, nämlich auf die Pressefreiheit, einen »der größten Schätze unserer Gesellschaft«. Wie ist es um diesen Schatz bestellt?
In Frankreich etwa wird die Presse von Serge Dassault dominiert. Er ist Multimilliardär, Rüstungsindustrieller und Politiker. Der Staat ist der beste Kunde seiner Waffen. Der Mann, der sein Vermögen durch Einkünfte aus Zeitungen (Le Figaro und viele andere), Rüstungsgütern (unter anderem dem Militärflugzeug Mirage) und Anteilen an anderen Konzernen (Veolia) mehrt, wurde in Belgien wegen Bestechung verurteilt; in Frankreich sind Anklagen wegen Korruption, Verdacht auf politischen Stimmenkauf, Geldwäsche und Veruntreuung erhoben worden.
In Großbritannien herrscht Rupert Murdoch als Medienunternehmer. Er kontrolliert 37 Prozent des britischen Zeitungsmarktes, dazu das englische Satellitenfernsehen, die Filmfirma 20th Century Fox und den Nachrichtensender Fox News in den USA sowie viele andere Medien. Premierminister David Cameron hatte in 14 Monaten 26 private Treffen mit Murdoch oder seinen Abgesandten. Murdoch suchte die Nähe, um wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Was suchte Cameron?
Silvio Berlusconi, Italien: viermal Ministerpräsident, Vermögen von umgerechnet 7,8 Milliarden US-Dollar, Verlage, Fernsehsender in seinem Besitz. Laut Wikipedia kontrolliert er 90 Prozent des italienischen Fernsehmarktes. Übrigens liefen gegen ihn über 100 Strafverfahren. Die Verbindung politischer und medialer Macht und die Verquickung öffentlicher und privater Interessen ist bei allen diesen Politik-Unternehmern manifest.
»Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika« und »Verteidigung der freien sozialen Marktwirtschaft« – so lauten zwei der fünf weltanschaulich-politischen Grundsätze, auf die der Axel-Springer-Medienkonzern jeden Mitarbeiter verpflichtet. Als eines der größten Verlagshäuser Europas hat Springer den Zusammenbruch der realsozialistischen Länder schnell zur Expansion seines Imperiums genutzt – entsprechend diesen Grundsätzen. Zusammen mit dem Schweizer Konzern Ringier besitzt er in Polen, Tschechien, Ungarn, Serbien und der Slowakei 100 Printtitel und 70 Online-Angebote.
Ist das die Meinungs- und Pressefreiheit, die die Politiker verteidigen? Ist das die Umsetzung des Art. 5 Grundgesetz und des Art. 11 der Grundrechte-Charta der EU? Die skizzierten Beispiele großer europäischer Zeitungsverlage und Medienkonzerne sind eher geeignet, die in der Bevölkerung vorherrschende Skepsis gegenüber der real existierenden Pressefreiheit zu bestätigen und zu bestärken. Der Politik geht es anscheinend nicht um die Verwirklichung der Meinungs- und Informationsfreiheit, sondern um die Vermarktung von Freiheit, Meinung und Information. Zwischen der Politik, den Pressekonzernen und der Wirtschaft besteht eine Symbiose, die alle Beteiligten für sich zu nutzen trachten. So waren sich etwa Vertreter von EU-Kommission und Mitgliedsstaaten schnell einig, daß es beim Freihandelsvertrag TTIP darum gehe, »die Erzählung der Mainstream-Medien zu den Verhandlungen im Griff« zu behalten, wie Corporate Europe Observatory aus der geleakten Kommunikationsstrategie der Europäischen Kommission für die Verhandlungen zum Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP zitiert.
Die Bevölkerung schätzt die Meinungs- und Pressefreiheit als hohes Gut der Demokratie ein. In der Studie »Demokratie in Deutschland 2011« gaben 46 Prozent der Befragten an, es sei sehr wichtig für die Demokratie, daß »Bürger politisch so informiert werden, daß sie sich an der Politik beteiligen können«. Die Einschätzung der realen Verhältnisse steht dazu allerdings im harten Kontrast: Nur neun Prozent waren der Meinung, daß diese Erwartung an die Demokratie voll verwirklicht werde. Die Kluft zwischen garantierten Grundrechten und Politiker-Statements einerseits und den Eindrücken und Erfahrungen der Bevölkerung andererseits scheint tief und kaum überbrückbar zu sein.
Was sagen denn diejenigen, die die Nachrichten und Berichte verfassen, also die Zeitungsjournalisten? 60 Prozent der Befragten berichten über persönliche Erfahrungen mit Behinderungen ihrer Arbeit und über wirtschaftlichen Druck, durch den Recherchen behindert oder sogar tendenziöse Artikel nahegelegt werden. 79 Prozent, also eine große Mehrheit von ihnen, sehen die Grenzen zwischen Journalismus und PR verschwinden. Viele Journalisten betrachten inzwischen die weltweite Ausforschung und geheimdienstliche Bespitzelung als die größte Bedrohung der Pressefreiheit. Sie könnte durch die Vorratsdatenspeicherung noch bedrohlichere Ausmaße annehmen.
Die Nähe der Konzernmedien zur herrschenden Elite ist offensichtlich. Uwe Krüger hat in »Meinungsmacht« den Einfluß von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten untersucht und beschrieben, wie Elite-Netzwerke funktionieren. Ressortleiter bei Zeitungen entwickeln elite-kompatible Haltungen, große überregionale Tageszeitungen und Zeitschriften bedienen über Werbung für Luxusprodukte im Hochpreissegment ein einflußreiches Publikum und machen sich so nach zwei Seiten abhängig. Die enge Verbindung von »Alpha-Journalisten« der FAZ, der Zeit, der SZ und der Welt zu einem dichten Netzwerk transatlantischer, US- und NATO-freundlicher Gesellschaften spiegelt sich im Stil ihrer Artikel: Sie sind gut geeignet, das weltweite militärische Engagement Deutschlands unkritisch und eindimensional zu pushen. Krüger weist nach, daß sie »in ihren Artikeln den Diskurs der Eliten abbilden, deren Argumente verbreiten und für mehr militärisches Engagement werben«. Die Perspektive der Eliten »fließt in Kommentare und Leitartikel ein, von denen man glaubt, sie seien von unabhängigen und kritischen Journalisten verfaßt« zitieren ihn die NachDenkSeiten.
Es gibt in Deutschland gute Zeitungen und investigative Berichte. Das Problem besteht darin, daß Nachrichten und Informationen wie alles andere im Kapitalismus auch eine Ware sind, mit der Profit gemacht werden kann. Zwar ist das »Recht, seine Meinung … frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten« formal im Grundgesetz gewährleistet, faktisch aber ausgehöhlt und deformiert. Die Ware Information verleiht ihren Besitzern und Profiteuren eine Macht, die von der Politik nicht eingeschränkt, vielmehr für eigene Ziele genutzt wird – und die Besitzer werden sich hüten, eine Politik in Frage zu stellen, solange sie mit ihren Interessen übereinstimmt.
Wir wissen, wie gefährlich es ist, dem globalen Herrschaftsanspruch eines kapitalistischen Imperiums mit Aufklärung beizukommen. Julian Assange, Chelsea Manning, Edward Snowden und viele andere haben es gewagt: Sie haben Verbrechen aufgedeckt und werden dafür in ihrer Existenz bedroht. Solidarisch sind wir deshalb nicht mit der »freien« Presse à la Dassault, Murdoch, Springer und Berlusconi, sondern mit denen, die Haltung und Handeln dieser Elite aus Wirtschaft, Politik und Medien hinterfragen und mit ihrer Feder angreifen.