In der arabischen Welt kennt man ihn und nennt ihn bei seinem Namen: Satar Jabar. Im Westen weiß man von ihm als dem gesichtslosen, namenlosen Mann in der schwarzen Kutte. Das Bild des gefolterten Irakers im Gefängnis von Abu Ghraib ging um die Welt und erschütterte die Menschen.
Was in den US-Gefängnissen von Bagram in Afghanistan, von Abu Ghraib und Camp Cropper im Irak an Frevelhaftem geschah, wurde immer wieder als dienstwidriges Verhalten Einzelner dargestellt. Einfache Soldaten wie Charles Graner und Lynnie England, deren Bilder in den Fotoalben der Brutalität verewigt sind, wurden für ihre Verbrechen in Abu Ghraib zu geringen Gefängnisstrafen verurteilt und nach wenigen Jahren in die Freiheit entlassen. Geplante, systematische und kontinuierlich durchgeführte Folteraktionen, so behaupteten offizielle US-amerikanische Stellen, habe es nicht gegeben.
Ähnlich wurde die Öffentlichkeit in Europa beschwichtigt, als die CIA mit sogenannten Renditions- oder Auslieferungsflügen terrorverdächtigte Personen entführte, um sie in Geheimgefängnissen in Libyen, Syrien, Polen, Rumänien und anderen Ländern zu interrogieren und zu foltern. »Wir billigen Folter nicht. Die USA achten internationale Verpflichtungen und Völkerrechte«, erklärte US-Außenministerin Condoleezza Rice in Berlin im Dezember 2005. Bundeskanzlerin Merkel begrüßte diese Versicherung.
Wie unwahr die Aussagen waren, hatte schon lange zuvor der im Jahr 2003 in Skopje (Makedonien) illegal verhaftete Deutsche Khalid al-Masri bezeugt. Die CIA hatte ihn nach Bagram (Afghanistan) geflogen und ihn dort gefoltert.
Die 2006/07 vorgenommenen Untersuchungen des ehemaligen Abgeordneten im Europarat, Dick Marty, wie auch die des UN-Sonderberichterstatters für Folter, Manfred Nowak, im Jahre 2005 und die Recherchen des Europaparlaments 2006 über CIA-Geheimgefängnisse in Europa, Asien und dem Nahen wie Mittleren Osten haben ein düsteres Bild der Mißachtung geltenden Rechts und der Verletzung ethisch-moralischer Grundwerte ergeben.
Mit wenigen Ausnahmen hat die offizielle Welt dazu geschwiegen. Tun Mahathir bin Mohamed, Premierminister von Malaysia (1981–2003), ernannte im Jahr 2005 eine Kriegsverbrecherkommission, die unter anderem Folterverbrechen untersuchen sollte. Der Ire Denis Halliday, mein Vorgänger in Bagdad als Koordinator für das humanitäre Programm der UNO im Irak, und ich sind Mitglieder dieser Kommission. In den Jahren 2011/12 haben wir in Kuala Lumpur Zeitzeugen und Folteropfer, die in den Gefängnissen von Bagram, Abu Ghraib und Guantanamo inhaftiert gewesen waren, eingehend befragt. Dazu gehörte auch Satar Jabar, der gefolterte Mann in der Kutte. Wir wissen aus erster Hand, welchen Foltermethoden die Gefangenen ausgesetzt waren.
In zwei Bänden, die im Jahr 2012 erstellt wurden, hat der ehemalige Premierminister Mahathir das Beweismaterial an den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag gesandt. Das Büro des ICC-Anklägers in Den Haag reagierte fünf Monate später, im Dezember 2012, mit einem Standardbrief: Der Gerichtshof halte sich in diesem Fall für »nicht zuständig«. Im Juni 2014 überreichten Halliday und ich anläßlich einer Irak-Anhörung im englischen Parlament dasselbe Beweismaterial auch im House of Lords. Eine Reaktion hat es bisher nicht gegeben.
Zusammenfassend muß gesagt werden, daß sowohl nationale als auch multi-nationale Einrichtungen offensichtlich bisher nicht bereit gewesen sind, eine Anklage gegen die Macht USA zu erheben. Obwohl die Vereinigten Staaten kein Mitglied des Internationalen Strafgerichtshof sind, wäre eine Anklage beim ICC durchaus möglich.
Am 9. Dezember 2014 veröffentlichte der US-Senat eine auf 525 Seiten reduzierte Zusammenfassung seines Berichts über die CIA-Folter. Diese Publikation, die seit Mitte Januar auch in deutscher Sprache vorliegt, herausgegeben von dem früheren Bundesrichter und Bundestagsabgeordneten Wolfgang Nešković, verdient stärkste Beachtung. Der Senat war nur noch bis Ende 2014 von einer Majorität der Demokratischen Partei besetzt. Die inzwischen eingetretene Mehrheit der Republikanischen Partei hätte eine vergleichbare Veröffentlichung der Verbrechen der Regierung Bush ohne Zweifel zu verhindern versucht. Doch hier wird nun offiziell eingestanden und bekannt gemacht, daß die USA durch die grausame, demütigende und inhumane Behandlung von Gefangenen die Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen und die Genfer Konvention III sowie anderes internationales und nationales Recht erheblich verletzt haben.
Der nächste Schritt müßte nun sein, daß die US-amerikanische Justiz die Verantwortlichen für diese Verbrechen zur Rechenschaft zieht. Bisher ist das nicht geschehen. Präsident Obama versichert, er werde alles tun, »damit so etwas nie wieder geschieht« und solche »Techniken der Vergangenheit angehören«. Er weigert sich aber, zu dem Thema »Rechenschaftspflicht« Stellung zu nehmen. Ähnliches Schweigen kommt aus dem US-Kongreß.
Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Prinz Zeid Raad al-Hussein, weist darauf hin, daß es »völkerrechtlich sonnenklar« sei, daß die Vereinigten Staaten, die die UN-Konvention gegen Folter von 1994 ratifiziert haben, jetzt die Pflicht haben, Rechenschaft zu gewährleisten. Trotzdem ist davon auszugehen, daß die US-Justiz keine Schritte gegen die Verantwortlichen unternehmen wird.
Mein Vorgänger in Bagdad, Denis Halliday, und ich fordern daher, daß sich nun der Internationale Strafgerichtshof darauf vorbereitet, die Verantwortung dafür zu übernehmen, daß die Folter nicht straffrei bleibt. An verläßlichem Beweismaterial wird es nicht fehlen. Eine entsprechende von uns initiierte Petition »Rechenschaftspflicht: Ja, Straffreiheit: Nein« ist gegenwärtig in 15 Sprachen im Umlauf und findet weltweit Zustimmung. Unterstützt wird damit auch der Hinweis des UN-Sonderberichterstatters für Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte, Ben Emmerson QC, daß »Folter ein Verbrechen darstellt, das der universellen Gerichtsbarkeit untersteht«.
Überall sind Bürger besorgt, daß Untätigkeit und Doppelmoral unserer Regierungen den Frieden und die Sicherheit der Menschen gefährden. Europa darf nicht länger schweigen!
Hans-Christof von Sponeck, Beigeordneter UN-Generalsekretär a.D.