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Titel316

Berliner Theaterspaziergänge  (Jochanan Trilse-Finkelstein)

Große Vorfreude: Samuel Becketts Jahrhundertstück »Warten auf Godot«, die noch von Dimiter Gotscheff geplante, nach seinem Tod von Ivan Panteleev am Deutschen Theater fertiggestellte Inszenierung. Aktuell hat Godot gleich zwei Bühnen auf den Brettern, denn George Tabori hatte das gleiche Stück im Berliner Ensemble auf wundersame Art spielen lassen (s. Ossietzky 8/2006), und es zählt dort noch zum Repertoire. Da ist mal nicht gewartet worden, schön so!


»Fertiggestellt« ist allerdings der richtige Begriff für die Inszenierung am DT. Ein Schauspieler der prominenten DT-Inszenierung des Stücks (Jürgen Gosch, 1996) ist wieder dabei: Christian Grashof, diesmal als Pozzo, der war so tragisch wie komisch. Doch er allein konnte die Inszenierung nicht retten. Den Wladimir gab Samuel Finzi, das war das Mögliche und durchaus rechtschaffen. Von den anderen (Wolfram Koch als Estragon) blieb wenig, von den beiden Döhler-Auftritten (Lucky und Junge) am wenigsten. Das tut fast leid, auch angesichts der großen Szenerie von Mark Lammert, damit ist besonders die Szene mit dem rosa Tuch gemeint.


Ich weiß nicht, wie viele Inszenierungen dieses Werks ich im Laufe meines Lebens gesehen habe – zunächst österreichische und bundesdeutsche da und dort. Es war stets ein missliches Verhältnis zwischen Anziehung und Abstoßung, doch wie kam das, woran lag es? Immer diese dunkel-schwarze Bedrängnis, diese Darstellung von Menschlich-Miesem, gänzlich Traurigem, ja geradezu Verächtlichem. Was war denn da böse? Böses war drin, aber woher, wogegen? Dann kam in der DDR der Dekadenz-Begriff dazu. Sicher gibt es Dekadenz, doch wo war die in dem Stück?


1988 traf ich Samuel Beckett zu einem zweistündigen Gespräch im Café Cluny in Paris. Der Theaterdichter legte erheblichen Wert auf die Feststellung: »Meine Stücke sind Comedys, und es soll gelacht werden.«


Immerhin, lustig war der Abend im DT, ein echter Theaterabend, der dunkel-düstere Beckett ist vergessen, da kam der lebensvolle Ire in Bild und Ohr. Doch besteht nicht die Gefahr des Umkippens ins zu Leichte, zu heiter Schimmernde? Der Umtausch des Baums (des Lebenssymbols) in einen Scheinwerfermast gab wieder Dunkles, aber wo blieb die Weisheit? Noch ein großer Moment muss unbedingt genannt werden, obwohl ein Zusatz: Als die beiden im Dialog der Millionen Toten der Shoa gedachten, konnte ich als Überlebender durchaus zustimmen, wie dem Schweigen des betroffenen Publikums. Das war erlaubter Eingriff in sonst geheiligten Text, und der Katholik Beckett hätte zugestimmt – er hatte zahlreiche jüdische Gedenkstücke und Symbole in seinem Haus.


»Warten auf Godot« ist voller Philosophie, dabei weitaus mehr als nur Existenzialismus, über den sich Beckett mitunter recht mokant geäußert hat, mehr als nur Neopositivismus, auf dessen Walze er oft geschoben wird, doch höchstens für eine Umdrehung möglich – der kannte und musste mehr gekannt haben zwischen Platon und Marx. Ich denke, er muss auch Bloch gelesen haben.


Nun hören wir von der Bühne her wieder seine Dialoge – immer mit dem sozialen Gestus wechselnd, auch Sinn und Sprachgestus variierend –, die voller Weisheit, voller Wissen um unsere gefährdete Existenz sind, doch auch um Wege, die zu gehen wären, andere als die in die Katastrophe. Doch über die Rampe kam ziemlich wenig davon. Schade!


Man vergesse nicht: Das Stück ist um 1952/53 entstanden und uraufgeführt, als just damals auf dem Bikini-Atoll besonders zahlreiche US-amerikanische Atomwaffenversuche stattgefunden hatten. Zahlreiche Künstler hatten protestiert, Beckett auf seine Weise als Schriftsteller.


Wie endet das Spiel?


»Wladimir: Also? Wir gehen?


Estragon: Gehen wir!«


(Regieanweisung Becketts: Sie gehen nicht von der Stelle.)


Die Haltung bleibt unentschieden – noch können die beiden nicht aktiv werden. Die von Roger Blin 1953 in Paris herausgebrachte Uraufführung zeigte optisch einen Weg nach vorn – der Dichter in späteren Werken wie auch am eigenen Weg.