Nirgendwo dürfte die Freude über den Freibrief des Bundesverfassungsgerichts für die NPD größer gewesen sein als bei der AfD. Damit ist endgültig sichergestellt, dass die »Alternative für Deutschland« mit einer starken Fraktion in den nächsten Bundestag einziehen wird. Verfassungsfeindliche rechtspopulistische Hetze hat jetzt den Segen des höchsten deutschen Gerichts, solange es bei Worten bleibt. Das ist die Quintessenz der Entscheidung, die rechtsextremistische Nationaldemokratische Partei Deutschlands nicht zu verbieten.
Einer der ersten, der den Rückenwind aus Karlsruhe zu nutzen wusste, war der Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke. Seine Forderung, mit der »dämlichen Bewältigungspolitik« Schluss zu machen und eine »erinnerungspolitische Wende um 180 Grad« vorzunehmen, gab den Blick frei in die Seelenabgründe der vermeintlich braven Bürger, die in der AfD eine politische Heimat gefunden haben. Vielen von ihnen war das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin, an dem Höckes Zorn sich entzündete, seit jeher ein Dorn im Auge. Auf einer Veranstaltung der Jungen Alternative in Dresden sagte er: »Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.« Pflichtschuldig entsetzten sich wieder einmal alle, die einst begeistert Beifall geklatscht haben, als Martin Walser in seiner unrühmlichen Paulskirchenrede mit Blick auf die deutsche Erinnerungskultur von einer »Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken« sprach, nachdem er bereits in der Planungsphase für die Berliner Gedenkstätte Hohn und Spott über den »fußballfeldgroßen Albtraum im Herzen der Hauptstadt« ausgegossen und das Mahnmal als »Kranzabwurfstelle« verhöhnt hatte.
Wo leben die Karlsruher Richter eigentlich, dass sie nicht wahrnehmen, was sich in unserem Lande zusammenbraut. Wann immer es darauf ankam, den rechten Hetzern ihre Grenzen aufzuzeigen, haben sie das Grundgesetz zu ihren Gunsten ausgelegt und sich den Teufel darum geschert, ob das die Opfer des Naziterrors beleidigt. 2004 machte das Bundesverfassungsgericht der NPD sogar den Weg frei für eine Kundgebung gegen die finanzielle Unterstützung eines Synagogenbaues durch die Stadt Bochum. Die Veranstaltung war von der örtlichen Polizei und dem zuständigen Oberverwaltungsgericht verboten worden. Die NPD wandte sich an Karlsruhe und bekam von dort grünes Licht. Einstimmig entschied der erste Senat, ein Verbot könne nicht auf die Annahme gestützt werden, »dass Versammlungen mit demonstrativen Äußerungen neonazistischer Meinungsinhalte … zum Schutz der öffentlichen Ordnung verboten werden können, wenn die Schwelle zur Strafbarkeit im Einzelfall nicht erreicht« sei. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit sei ein Recht auch zum Schutz von Minderheiten. Seine Ausübung dürfe nicht unter den Vorbehalt gestellt werden, »dass die geäußerten Meinungsinhalte herrschenden sozialen oder ethischen Auffassungen nicht widersprechen« (1 BvQ 19/04).
Damit stellte das Gericht das Recht der NPD auf freie Meinungsäußerung über das Recht der Opfer des Naziterrors, vor den Schmähungen der Neonazis geschützt zu werden. Ähnlich verhält es sich jetzt mit der Ablehnung des Verbotsantrages gegen die Nationaldemokratische Partei. Was die Bundesländer an Argumenten zusammengetragen hatten, um deren Verfassungsfeindlichkeit zu belegen, schoben die Richter des zweiten Senats unter Leitung des Gerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle einstimmig mit großer Geste beiseite. Ja, die NPD sei verfassungsfeindlich und dem Nationalsozialismus wesensverwandt aber doch ungefährlich. Zwar arbeite sie auf die Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung hin, aber es fehle »an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt« (2 BvB 1/13).
Von so viel Nachsicht konnten andere nur träumen. Die Kommunistische Partei Deutschlands wurde 1956 verboten, obwohl sie politisch bedeutungslos war und ihr Wortgedröhn vom »revolutionären Sturz des Adenauerregimes« niemanden ernsthaft beunruhigte. Das KPD-Verbot war politisch gewollt. Die Gegner der umstrittenen Wiederbewaffnung konnten damit über die Reihen der Partei hinaus kriminalisiert und mundtot gemacht werden. An einem Verbot der NPD scheint die Große Koalition unter Einschluss der SPD nicht sonderlich interessiert gewesen zu sein. Regierung und Bundestag beteiligten sich erst gar nicht am Verbotsantrag der Länder, obwohl sie die Erfolge der Rechtspopulisten als Menetekel vor Augen hatten. Jetzt müssen sie sich vom Internationalen Auschwitz-Komitee sagen lassen, die Überlebenden des Holocaust empfänden den Verzicht auf ein NPD-Verbot als eine »empörende und erschreckend realitätsferne Entscheidung«. Wehret den Anfängen, gaben die Schöpfer des Grundgesetzes der jungen Demokratie nach dem Ende der Naziherrschaft auf den Weg. Schnee von gestern? Mitnichten. Inzwischen lehrt ein ganz anderer die Welt das Fürchten.