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Titel317

Glücklich ist, wer vergisst  (Ralph Hartmann)

Die Bundesrepublik Deutschland und ihre Bürger kommen voran. Der »World Happiness Report« des Earth Institute der New Yorker Columbia-Universität zeigt es anschaulich. Laut dieser für die Vereinten Nationen erstellten Weltglücksstatistik ist Deutschland nach vorn gesprungen – von Rang 26 auf den beachtlichen Platz 16. Die Glücksstatistiker führen das vor allem darauf zurück, dass das Vertrauen in die Regierung und die Großzügigkeit der Menschen gewachsen seien, während die Wahrnehmung von Korruption sank.

 

Zu den Fortschritten im Glücksgefühl der Deutschen hat möglicherweise, auch wenn in der Untersuchung nicht angeführt, beigetragen, dass immer noch Teile der Bevölkerung mit den deutschen Medien zufrieden sind, vor allem mit denen, die an der Spitze den Ton angeben, den sogenannten Leitmedien. Die derart Beglückten heben besonders die Allseitigkeit und Komplexität der Berichterstattung hervor. Sie sind dankbar, wenn ihnen nicht nur nackte Fakten und künstlich davon getrennt Kommentare serviert werden, sondern beides miteinander verbunden wird. Das erleichtert ihnen beträchtlich die Einordnung der jeweiligen Informationen. Was nützt es denn, wenn zum Beispiel über die Rede Putins zur Lage der Nation langweilig-sachlich anhand einiger Äußerungen berichtet wird, ohne sie eben komplex in die tatsächliche Lage Russlands einzuordnen? Wie das auf das Schönste gelingen kann, demonstrierte das Fernsehen, mit dem man besser sehen kann. Die ZDF-heute-Sendung unterbrach nahezu genial mehrfach ihren kurzen Bericht über die Ansprache im prächtigen Georgensaal des Großen Kremlpalastes, um eine Reportage über eine alte alleinstehende Bewohnerin vor einem halbzerfallenen Holzhaus in einem verschneiten Dorf nur 70 Kilometer von Moskau entfernt einzublenden. Das war eine gelungene komplexe Berichterstattung, so musste man nicht extra kommentieren, was von dem Gerede des Kremlherrschers zu halten ist.

 

Sollten die Russen allerdings in ihrem Fernsehfunk in der Berichterstattung über eine Rede der Bundeskanzlerin, in der sie wie in der letzten Haushaltsdebatte im Bundestag betont, dass es »den Menschen in Deutschland noch nie so gut geht wie im Augenblick«, nach dem gleichen Muster verfahren und mehrfach in Merkels Ausführungen Videoclips über das Obdachlosenelend in der Bundesrepublik einblenden, so wäre das üble russische Propaganda. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass es nach Auskunft der Bundesregierung in Deutschland gegenwärtig 335.000 Obdachlose, darunter 29.000 Kinder, gibt. Glücklicherweise machen die Russen das nicht, nicht einmal in ihrem vermaledeiten Propagandasender RT deutsch.

 

Auch die Berichterstattung der deutschen Leitmedien über die russischen Hackerangriffe zur Beeinflussung der US-Präsidentschaftswahlen war exzellent. Ihren Höhepunkt erreichte sie am 12. Dezember des Vorjahres, als ARD und ZDF ihre Hauptnachrichtensendungen »Tagesschau« und »heute« nahezu wortgleich mit Berichten über die drohende Gefahr russischer Hackerattacken auch auf demokratische Einrichtungen der Bundesrepublik zur Beeinflussung der bevorstehenden Bundestagswahlen aufmachten. Die Synthese zwischen Information und aufrüttelnder Warnung war ein journalistisches Meisterstück, das leider nur ein klein wenig an das »Dritte Reich« erinnerte: »Achtung Volksgenossen! Die bolschewistische Gefahr droht!« Aber, wie gesagt, nur ein klein wenig.

 

Dankbar sind die deutschen Medienkonsumenten auch dafür, dass Chef- und andere Redakteure sie vor Meldungen und Berichten schützen, die nur geeignet wären, ihre Hirne unnötig zu belasten oder zu verwirren. Warum sollten die FAZ oder Die Welt den Berichten der Journalistin Karin Leukefeld, die als eine der wenigen Journalisten unmittelbar aus dem syrischen Kriegsgebiet berichtet, Platz bieten? Es würde nur Verwirrung stiften, wenn die Leser erfahren, dass die auf syrischem Boden gegen Assads Regierungstruppen kämpfenden großen und kleinen Gruppen zumeist keine Staatsbürger Syriens sind, »sondern gut bezahlte und gut bewaffnete sunnitische Terror- und Söldnerbanden aus dem arabischen und türkischen und nordafrikanischen Ausland« (www.was-die-massenmedien-verschweigen.de/syrien-1.html), die unter anderem von Saudi-Arabien und Katar finanziert und mit Waffen aus den USA, Frankreich und Deutschland ausgerüstet sind. Nein und nochmals nein! Vor solchen Informationen muss die deutsche Öffentlichkeit geschützt werden, damit das schöne Bild vom Kampf der syrischen »Rebellen« gegen die schreckliche »Assad-Diktatur« erhalten bleibt. Wie glaubhaft wäre das deutsche Bekenntnis zum weltweiten Kampf gegen den Terrorismus, wenn man eingestehen würde, in Syrien de facto auf der Seite der Terrorarmeen zu stehen, »die die Strukturen der Daseinsfürsorge systematisch zerstören, Tausende von Menschen, Zivilisten wie auch syrische Soldaten auf bestialische Weise ermorden, Ölfelder besetzen und Öl in großen Mengen stehlen, Fabriken demontieren, Kraftwerke und Wasserressourcen sabotieren, archäologische Ausgrabungsstätten plündern und zerstören«? (www.was-die-massenmedien-verschweigen.de/syrien-1.html) Überdies würde das Feindbild – Assad und seine russischen Unterstützer – Schaden nehmen. Dank der selektiven Berichterstattung bleibt es erhalten, und das ist selbstverständlich gut so.

 

Ausgewogene, übergeordneten Zielen dienende Berichterstattung bedeutet auch, auf die Meldung oder gar Kommentierung irritierender Tatsachen zu verzichten, so auf die Verhaftung von 14 Militär- und Geheimdienstoffizieren aus der Türkei, den USA, aus Israel, Marokko, Jordanien, Katar und Saudi-Arabien nach der Befreiung Ost-Aleppos. Aus dem gleichen Grund war es auch nicht erwähnenswert, dass nach der Einnahme des Ostteils der zweitgrößten syrischen Stadt dort Waffenlager voller Mörser- und Handgranaten sowie Raketen für Mehrfachraketenwerfer und Granaten für Haubitzen aus den USA, Deutschland und Bulgarien gefunden wurden.

 

Auch in der Berichterstattung über andere Krisenherde werden zu Recht strenge Regeln eingehalten. In der über die Ukraine zum Beispiel wird sorgfältig darauf geachtet, dass auf die Kiewer Machthaber kein Schatten fällt. Schließlich steht die Bundesrepublik auf deren Seite, und es würde die bundesdeutsche Öffentlichkeit nur verstören, wenn zum Beispiel das Massenblatt, das mit dem Spruch »BILD dir deine Meinung« wirbt, darüber berichten würde, dass mehr als 1000 Anhänger der nationalistischen Partei Swoboda anlässlich des 108. Geburtstages des ukrainischen Kriegsverbrechers Stepan Bandera mit Fackeln durch die ukrainische Hauptstadt Kiew marschierten. Nein, vor solchen Berichten müssen die Bundesbürger geschützt werden, sie könnten sie nur desorientieren, was letztlich dem Kremlherrscher Putin in die Hände spielen würde.

 

Über Kriege und Konflikte, an denen nicht die Russen, jedoch unsere Freunde beteiligt sind, berichten die Mainstreammedien aus Rücksicht auf die so schon strapazierte deutsche Öffentlichkeit nicht oder nur selten. Das gilt auch für den Krieg und die humanitäre Katastrophe im Jemen, bei denen dem Kreml beim besten Willen keine Schuld zugeschoben werden kann. Was kümmern uns die Kriegsverbrechen, die die von Saudi-Arabien geführte Allianz mit Unterstützung der USA in dem bitterarmen Land verübt? Immerhin ist Saudi-Arabien ein zuverlässiger Abnehmer deutscher Rüstungsgüter und »einer der wichtigsten Anker der Stabilität in der Region« (Thomas de Maizière). Es ist gut und dankenswert, dass uns unsere Leitmedien nicht auch noch mit ständigen Berichten über die Folgen dieses Krieges – Abertausende Tote, Hundertausende auf der Flucht, 75 Prozent der geschätzten 26 Millionen Einwohner ohne Zugang zu sauberem Wasser, 1,3 Millionen hungernde Kinder – belästigen. Anderenfalls könnte sich das nur negativ auf das Glücksgefühl der Deutschen auswirken.

 

Im Falle Jemens wie auch bei anderen Krisen und Kriegen handeln die Drahtzieher und Chefs unserer Leitmedien offenkundig nach der in Johann Strauss‘ Operette »Die Fledermaus« gesungenen, von Arthur Schopenhauer entliehenen Devise: »Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist!«