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Titel318

Der nächste Krieg  (Manfred Sohn)

Der in London erscheinende The Economist ist das wohl wichtigste in englischer Sprache veröffentlichte Selbstverständigungsorgan der kapitalistischen Eliten wenigstens in Großbritannien, der EU und den USA. Normalerweise drehen sich seine Schwerpunktthemen um Währungen, Weltmarkt und Wechselkurse. In der Ausgabe vom 27. Januar aber prangten auf seinem Titelblatt ohne weiteres schmückendes Beiwerk – außer einem in einen Buchstaben integrierten radar-abweisenden US-amerikanischen Bomber – die drei in Großbuchstaben gesetzten Wörter »THE NEXT WAR« mit dem Untertitel: »Die wachsende Gefahr eines Konflikts zwischen den großen Mächten« (diese und alle weiteren Übers.: M. S.).

 

In einer 16-seitigen Extrabeilage werden aus der Sicht dieses Organs die Gründe für diese wachsende Gefahr analysiert. Drei weitere Seiten befassen sich mit den Gefahren, die aus der jüngsten Konfrontation der USA mit Nordkorea erwachsen. Die Klammer bildet ein Leitartikel, aus dessen Eingangsabsatz ein paar Sätze genügen, um Grundgedanken und Gefahreinschätzung deutlich zu machen: »Die letzten 25 Jahre haben zu viele Menschenleben gekostet. Aber obwohl Bürger- und Religionskriege in Syrien, Zentralafrika, Afghanistan und dem Irak wüten, ist nach wie vor ein alles zerstörender Zusammenstoß zwischen den größten Mächten der Welt fast unvorstellbar geblieben. Das gilt nicht länger. In der letzten Woche veröffentliche das Pentagon eine neue Verteidigungsstrategie, die China und Russland noch vor dem Dschihadismus als die größte Bedrohung Amerikas identifiziert … Lang wirkende Veränderungen in der Geopolitik und der Verbreitung neuer Technologien untergraben die herausragende militärische Macht, die Amerika und seine Alliierten bislang genossen haben. Ein Konflikt in einer Größenordnung und einer Intensität, wie er seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr vorgekommen ist, ist wieder möglich geworden. Die Welt aber ist darauf nicht vorbereitet.«

 

Das, so The Economist, müsse sich ändern – mental, aber vor allem materiell.

 

Das Szenarium, das die Autoren aufschlagen, ist erschreckend plausibel: Sowohl Russland als auch China seien zwar im Umfang ihrer Militärausgaben den USA mit ihren Verbündeten weit unterlegen – aber die immer größere Abhängigkeit aller Militärtechnik von elektronischen Bauteilen versetze beide Mächte in die Lage, die bislang unangefochtene Überlegenheit vor allem der USA im Konfliktfall zu annullieren. So sei es beispielsweise möglich, auch bewegliche Ziele auf See – im Klartext also die bislang so unverwundbar erscheinende Flugzeugträgerflotte der USA – in kürzester Zeit genauso sicher auszuschalten wie Raketenabwehrsysteme, von denen sich die USA bislang eine Unverwundbarkeit nach einem eigenen Erstschlag erhofft hatten.

 

Amerika, so die Schlussfolgerung, »verliert mit großer Geschwindigkeit seine technologische Überlegenheit, die bisher Vertrauen bei den Alliierten und Angst bei seinen Feinden hervorgerufen hat«. Die Schlussfolgerung der Kreise, die sich über solche Zeitschriften wie The Economist verständigen, erzeugt noch mehr Gänsehaut als die Lageanalyse. Um dem zu begegnen, so heißt es dort, sei es nämlich nötig, »in neue Systeme zu investieren, die sich auf Roboter, künstliche Intelligenz, Verarbeitung großer Datenmengen und ›directed energy weapons‹ [Richtenergiewaffen] stützen.« In dieser Richtung müssten die Anstrengungen der USA und ihrer Verbündeten verstärkt werden.

 

Zur Abwendung der drohenden Gefahr eines »alles zerstörenden« dritten Weltkrieges – denn das wäre das Ergebnis eines solchen Krieges, der hier für immer wahrscheinlicher gehalten wird – wird also nach beschleunigter Aufrüstung vor allem auf technologischem Gebiet gerufen. Was vor 1914 das Wettrüsten zwischen den Mächten mit damals hochmodernen Panzerschiffen und vor 1939 das Wettrüsten um die Herrschaft in der Luft und die Perfektionierung der im Ersten Weltkrieg erfundenen Panzerwaffe war, ist heute das vom Economist befürwortete Wettrüsten im Bereich der elektronischen Kriegsführung. Das Ergebnis würde dasselbe sein – kombiniert mit der zivilisationsvernichtenden Wirkung der Atomwaffen, die sich in Hiroshima erstmals gezeigt hat.

 

Die in Deutschland weitgehend unbeachtet gebliebene Warnung des UNO-Generalsekretärs, dass die Gefahr eines großen Krieges besorgniserregend schnell wächst, wird angesichts solcher Entwicklungen, vor allem aber angesichts der Schlussfolgerungen, die die Mächtigen der Welt aus ihnen ziehen, immer gewichtiger.