Seit die Bundestagswahlen vorbei sind, ist in den deutsch-türkischen Beziehungen wieder »Normalisierung« angesagt. Die Rüstungsausfuhren in das NATO-Land Türkei, in dem seit eineinhalb Jahren Ausnahmezustand herrscht, Oppositionelle verfolgt, kritische Journalisten eingesperrt und die Kurden niederkartätscht werden, gehen wieder steil nach oben, allen gegenteiligen Beteuerungen der einschlägig Verdächtigen zum Trotz. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel empfängt am Dreikönigstag seinen türkischen Amtskollegen in Goslar in der prächtigen Kaiserpfalz, serviert servil türkischen Tee, die Zusage zur Aufrüstung deutscher Leopard-II-Panzer, mit denen die Türkei zwei Wochen später ihre Offensive gegen die Kurden in Nordsyrien beginnen wird, gibt’s obendrauf. Im Gegenzug könnte ja – endlich, nach bald einem Jahr, ein schöner Erfolg für Gabriel – Welt-Korrespondent Deniz Yücel aus türkischer Haft freikommen, auch wenn der, stur, stolz und stark wie ein Hesse aus Flörsheim nun mal ist, ein solch schäbiges Tauschgeschäft mit dem Tod rundweg ablehnt. Er stehe für »schmutzige Deals« nicht zur Verfügung und wolle seine Freilassung nicht mit Panzergeschäften von Rheinmetall oder dem Treiben irgendwelcher anderen Waffenbrüder befleckt wissen, lässt die prominente Geisel Erdoğans aus seiner Zelle den einstigen SPD-Vorsitzenden und Nochvizekanzler wissen.
Ebenso klare Worte hat Meşale Tolu für den miesen Militärdeal mit der türkischen Regierung beim politischen Jahresauftakt der Fraktion Die Linke gefunden. Die in Ulm geborene und aufgewachsene Journalistin war im April 2017 in Istanbul verhaftet worden – wegen »Terrorpropaganda« und »Mitgliedschaft in einer Terrororganisation«, wie ihr Kollege Deniz Yücel und rund 150 weitere Journalisten. Erst kurz vor Weihnachten war sie aus der Untersuchungshaft freigekommen, am 26. April ist nächster Prozesstag, bis dahin darf die deutsche Staatsbürgerin die Türkei nicht verlassen. Und so drängte Meşale Tolu in einer Videobotschaft aus Istanbul, selbstbewusst und unter großem Applaus der Anwesenden im Berliner KOSMOS, die an diesem zweiten Sonntag im Januar gerade von der traditionellen Luxemburg-Liebknecht-Ehrung gekommen waren, im Druck für die Freilassung der politischen Gefangenen in der Türkei nicht nachzulassen. Einem Tauschgeschäft Pressevertreter gegen Panzermodernisierung erteilte auch sie eine Absage.
Und der ins Exil gezwungene ehemalige Chefredakteur der türkischen Zeitung Cumhuriyet, Can Dündar, gibt der amtierenden Bundesregierung einen Schuss vor den Bug: »Die deutschen Inhaftierten sind Geiseln. Kauft Deutschland Geiseln mit schmutzigen Deals frei, fühlt sich Erdoğan ermutigt, gleich die nächsten Journalisten einzukerkern.«
Der Journalist gehört ohne Zweifel zu den international prominentesten Kritikern des türkischen Präsidenten. Seit eineinhalb Jahren lebt er – zwangsweise – in Berlin, wegen unzähliger Anfeindungen und Morddrohungen steht er unter Polizeischutz. Nach seiner mutigen Berichterstattung über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an islamistische Terrorgruppen in Syrien saß er auf Betreiben des türkischen Staatschefs drei Monate in türkischer Untersuchungshaft. Er wurde zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt und ist nur knapp einem Mordanschlag entkommen. In »Lebenslang für die Wahrheit. Aufzeichnungen aus dem Gefängnis« (Hoffmann und Campe 2016) hat Can Dündar packend die ganze Perversion dieses politischen Schauprozesses niedergeschrieben und die Stärke internationaler Solidarität hervorgehoben. Wäre er während des Putschversuchs im Juli 2016 nicht zufällig im Ausland gewesen, sondern in der Türkei, säße er heute sicher wieder im Gefängnis. Vom erzwungenen Exil aus setzt er seinen Kampf für eine demokratische Türkei fort. In der gilt er als »Vaterlandsverräter«, ihm droht in einem neuen Verfahren eine weitere mehrjährige Haftstrafe.
»Für Journalisten war die Türkei schon immer ein gefährliches Land – das war vor 100 Jahren und auch vor zehn Jahren so«, so Can Dündar kürzlich in einem Interview mit dem Evangelischen Pressedienst. »Unser Kampf besteht darin, diese Tatsache in den kommenden zehn Jahren zu ändern. Doch leider haben die Menschen Angst. Und das lähmende Gefühl der Angst ist noch viel gefährlicher, als es jede Regierung sein kann.« Seine persönliche Lage sieht er nüchtern. »Wenn du eine Regierung wie die türkische herausforderst, dann bist du nirgendwo auf der Welt sicher. Sie versuchen, ihre Gegner zu bestrafen, und wenn sie das nicht können, drohen sie. Und für diese Praxis haben sie insbesondere in Deutschland genügend Unterstützer. Die Polarisierung in der türkischen Gesellschaft ist inzwischen auch bei den in Deutschland lebenden Menschen mit türkischem Hintergrund angekommen.«
Sein neues Buch »Verräter: Von Istanbul nach Berlin. Aufzeichnungen im deutschen Exil« ist eine messerscharfe Abrechnung mit dem autoritären Regime Erdoğans und seiner islamistischen AKP – sowie der deutschen und europäischen Politik, die den Ausbau des Unterdrückungsstaats nicht nur tatenlos hinnimmt, sondern mit EU-Millionen und Militärhilfen wissentlich unterstützt. »Dieses Buch hätte ich schreiben können, wenn irgendwann die Wunden des Exils verheilt und vernarbt sind, doch ich wollte, dass man weiß, um welchen Preis wir Widerstand leisten, dass man sieht, wie wir innerlich bluten, und dass bekannt wird, wer der eigentliche Landesverräter ist.«
In einer bezeichnenden Stelle des Buches bringt Dündar die Willkürjustiz am Bosporus auf den Punkt: »Schon am Morgen nach dem Putschversuch setzte die große Hexenjagd ein. Die ersten, die aus dem Haus geholt wurden, waren die Richter, die mit ihrer Unterschrift unsere dreimonatige Haft beendet hatten [...] Gegen 140 Mitglieder dieses Gerichts wurden Ermittlungen eingeleitet, elf wurden festgenommen [...] Der Staatsanwalt aber, der den Haftbefehl beantragt und für meinen Prozess die Anklageschrift mit zweimal lebenslänglich verfasst hatte, wurde zum Generalstaatsanwalt nach Istanbul befördert.«
Sehr persönlich und offen schildert Can Dündar das Leben und Durchhalten im Exil, was es heißt, »eines Morgens mutterseelenallein in Berlin aufzuwachen«. Seine Heimat Türkei kann er auf absehbare Zeit nicht mehr besuchen und damit auch seine Frau Dilek nicht, die von der türkischen Regierung als Faustpfand in Sippenhaft genommen wurde und das Land nicht verlassen darf. Das gemeinsame Haus, in dem das Ersparte eines ganzen Lebens stecke, sei von der Konfiszierung bedroht, und es gebe das Bestreben, ihm die türkische Staatsbürgerschaft zu entziehen. »All dies ist der Preis dafür, dass wir unser Land lieben.« Can Dündar: »Als meine Mutter am Telefon sagte: ›Mach dir keine Sorgen um mich, mein Platz ist bereit‹, wusste ich, dass sie den Platz neben dem Grab meines Vaters meinte. Dass ich sie vielleicht nie mehr wiedersehen werde, ist der Preis dafür, dass wir unser Land gegen Repression, Diebstahl und Plünderei verteidigen.«
Es ist ein Preis, der nicht mit Panzerdeals aufgewogen werden kann.
Can Dündar: »Verräter: Von Istanbul nach Berlin. Aufzeichnungen im deutschen Exil«, übersetzt von Sabine Adatepe, Verlag Hoffmann und Campe, 192 Seiten, 20 €