Auf Mark Twain geht der Spruch zurück: »Als Gott den Menschen erschuf, war er bereits müde; das erklärt manches.« Aber erklärt es auch, dass die Landsleute des US-Präsidenten und hier besonders die Chefs der Demokratischen Partei, der US-Geheimdienste und der Monopolmedien, nach mehr als einem Jahr von Donald Trumps Einzug ins Weiße Haus nicht müde werden, Russland der Einmischung in die Präsidentschaftswahlen vom 8. November 2016 zu bezichtigen?
Grundlage aller Anschuldigungen ist bekanntlich der am 6. Januar 2017 veröffentlichte Bericht mehrerer US-Geheimdienste, wonach angeblich russische Hacker rund 60.000 E-Mails aus dem Wahlkampfteam von Hillary Clinton an die Enthüllungsplattform WikiLeaks weitergeleitet und damit der demokratischen Kandidatin schweren Schaden zugefügt hatten. Darin hieß es wörtlich: »Russlands Präsident Putin hat 2016 eine Kampagne zur Einflussnahme auf die US-Wahlen befohlen.« Ihr Ziel sei es gewesen, »das Vertrauen der Öffentlichkeit in den demokratischen Prozess zu schwächen, Hillary Clinton zu verleumden und ihre Chancen auf die Präsidentschaft zu verringern«.
Obama blies in das gleiche Horn und beschuldigte die Republikaner, zu viel Nachsicht und Verständnis für Russlands Präsidenten Putin zu haben – der dem Bericht zufolge die Kampagne zur Einflussnahme auf die US-Wahl direkt angeordnet habe. Doch weder die Geheimdienste noch der Ex-Präsident konnten für diese Behauptungen auch nur einen einzigen Beweis anführen.
So war es nicht verwunderlich, dass der Kremlsprecher Dmitri Peskow kurz nach Veröffentlichung des Berichtes erklärte, dass die Vorwürfe jeder Grundlage entbehrten, »amateurhaft« und »der professionellen Arbeit von Weltklasse-Geheimdiensten nicht würdig« seien. Putin selbst bekräftigte in einem Interview mit dem Fernsehsender NBC News, dass sich Russland nicht in die US-Präsidentenwahl eingemischt habe. Seine Frage: »Haben Sie da drüben alle ihren Verstand verloren?« blieb bislang ohne Antwort.
Doch nicht nur die Russen wiesen die im Geheimdienstbericht aufgestellten Behauptungen zurück. Auch WikiLeaks-Gründer Julian Assange meldete sich zu Wort und stellte fest: »Nirgendwo in dem Bericht wird ein Beweis für irgendetwas geliefert.« Zugleich betonte er, dass die Enthüllungsplattform die Dokumente nicht von der russischen Regierung erhalten habe. Nach Angaben von WikiLeaks seien sie von einem Insider geleakt worden.
Diese Aussagen wurden auch vom ehemaligen technischen Direktor der National Security Agency (NSA), William Binney, bestätigt. Er bezeichnete die Einlassungen der US-Geheimdienste als »irreführende Aussagen«. Gemeinsam mit anderen ehemaligen hochrangigen US-Geheimdienstveteranen veröffentlichte er im Juli 2017 eine Untersuchung, wonach es sich bei den 60.000 Dokumenten gar nicht um einen Hackerangriff gehandelt habe. Gemeinsam mit anderen Ex-Geheimdienstlern wies er darauf hin, dass der Datensatz mit einem Umfang von knapp zwei Gigabyte in nur 87 Sekunden auf einen externen Speicher kopiert worden sei. Das aber sei zu schnell für einen Transfer über das Internet, weshalb es sich nicht um einen Hackerangriff gehandelt haben könne.
Eine überzeugendere Widerlegung der Behauptung, russische Hacker hätten auf Weisung Putins gehandelt, ist schwerlich denkbar. Trotz alledem bleiben die Autoren und Auftraggeber des Berichtes vom Januar 2017 bei ihren Aussagen, schüren eine antirussische Hysterie, bringen Trump in eine Zwangslage und vergiften das russisch-US-amerikanische Verhältnis. Sie haben auch bis heute nicht die geringsten Beweise für ihre Unterstellungen, aber produzieren einen zweiteiligen angeblichen Dokumentarfilm »Putin vs. USA«, Teil 1: »Russland und die US-Wahlen«, Teil 2: »Angriff auf die amerikanische Demokratie«. Es ist von Anfang bis Ende ein gelungenes propagandistisches Machwerk. Putin, in dem Farbfilm meist in Schwarz-Weiß mit hinterhältiger, tückischer Miene gezeigt, ist das Böse schlechthin. Der Film ist eine Zumutung an den politischen Verstand eines Normalbürgers. Aber dessen ungeachtet wurde der kulturlose Dokumentarstreifen in der demokratischen, friedliebenden Bundesrepublik ausgerechnet vom Kulturkanal Arte zur besten Sendezeit ausgestrahlt.
Zur Beweisführung für eine russische Einmischung in die US-Wahlen hat der Film kein Jota beigetragen. Aber noch ist nicht alle Hoffnung verloren, denn in der Causa arbeitet ja noch ein Sonderermittler für die »Russland-Affäre«, der frühere FBI-Chef Robert Mueller. Glücklicherweise hat sich nun auch Präsident Trump bereiterklärt, unter Eid zur Russland-Affäre auszusagen. Gewiss wird er eingestehen, dass er nur dank Kreml ins Weiße Haus einziehen konnte. Aber noch ist es nicht so weit. Im Gegenteil. Nun ist zum Entsetzen der Spitzenleute der Demokratischen Partei ein Bericht des Geheimdienstausschusses bekannt geworden, wonach noch zu Zeiten der Präsidentschaft Obamas mit Hilfe einer frei erfundenen Geschichte über eine geheime Zusammenarbeit der Republikaner mit den Russen (»Russia-Gate«) die Wahl Trumps verhindert oder zumindest später ein Amtsenthebungsverfahren ermöglicht werden sollte. Die Veröffentlichung des Berichtes hat inzwischen in Washington ein politisches Erdbeben ausgelöst, dessen weitreichende Folgen noch nicht abzusehen sind.
In Russland dagegen braucht man keinen Sonderermittler. Dass sich die USA in aller Herren Länder in Wahlen einmischen, ist allgemein bekannt. Aber sie tun es natürlich in allerbester Absicht, um die Demokratie nach US-Muster voranzubringen. So auch 1996, als sie ein komplettes Wahlkampfteam nach Moskau schickten, um dem in ein Umfragetief abgestürzten russischen Präsidenten Boris Jelzin aus der Patsche zu helfen. Das Team konzipierte für den Trunkenbold und Verschleuderer des sowjetischen Volksvermögens eine neue Kampagne, und parallel dazu verschaffte ihm Washington kurzfristig eine Anleihe des Internationalen Währungsfonds von zehn Milliarden Dollar. Und siehe da, das Wunder geschah, Jelzin schlug den Chef der russischen Kommunisten Gennadi Sjuganow, blieb der Herrscher im Kreml und die Demokratie war gerettet. Jetzt, mehr als zwei Jahrzehnte später, würden die US-Gegner jeglicher ausländischer Einmischung in innere Angelegenheiten souveräner Staaten für die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in der Russischen Föderation gern einem aussichtsreichen Gegenkandidaten für Putin in den Sattel helfen. Aber es fällt ihnen kein anderer ein als der Kremlkritiker Alexej Nawalny. Der allerdings ist leider wegen erwiesener Unterschlagung vorbestraft und darf nach allgemeinem Recht und Gesetz nicht kandidieren. Das allerdings hindert das State Department nicht daran, darüber seine Besorgnis auszudrücken.
Wer, wenn nicht der Hort der Demokratie hat das Recht, über demokratiefeindliche Entwicklungen in anderen Staaten, vor allem in Russland, besorgt zu sein? Schließlich haben sich die US-amerikanischen Demokratiewächter auch nach dem Jelzin-Coup immer wieder redlich bemüht, Russland auf den Pfad der Tugend zurückzuführen. So auch gegenwärtig, so dass sich der russische Außenminister Sergej Lawrow genötigt sah, den USA eine wiederholte Einmischung in den Wahlkampf für die russische Präsidentenwahl im kommenden März vorzuwerfen. Zwar gehöre es zur Arbeit von Diplomaten, sich ein Bild von der Lage im Land zu machen, »doch die Teilnahme am politischen Leben in Form von Versammlungen und der Anleitung Oppositioneller widerspricht allen Wiener Übereinkommen über die diplomatischen Beziehungen«.
Auch die Sprecherin des Moskauer Außenministeriums, Maria Sacharowa, hat Washington bereits Ende des Vorjahres eine grobe Einmischung in den Präsidentschaftswahlkampf und die inneren Angelegenheiten Russlands zur Last gelegt. Washington mische sich direkt in russische Angelegenheiten ein. Es handele sich um systematische und langjährige Versuche, die Entwicklungen in Russland zu beeinflussen. Laut der Sprecherin ist dem US-Botschafter in Russland, Jon Huntsman, ein Dokument übergeben worden, das die gegenseitige Nichteinmischung verankern soll. Auch hier steht eine Antwort aus.
Doch das muss man verstehen. Die Damen und Herren in Washington DC sind eben argwöhnisch. Sie trauen den Russen nicht. Denn: Was ich denk‘ und tu‘, trau‘ ich auch andern zu.