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Titel318

DB AG und Bundesregierung versus Nachtzüge  (Bernhard Knierim)

Seit gut einem Jahr betreibt die Deutsche Bahn AG (DB AG) keine Nachtzüge mehr, nachdem sie das Segment zuvor viele Jahre stiefmütterlich behandelt und immer mehr Linien stillgelegt hatte. Auf vielen Strecken in unsere Nachbarländer gibt es seitdem keine brauchbaren Bahnverbindungen mehr, weil Reisen dieser Entfernung mit normalen Zügen und mehrfachen Umstiegen den meisten Menschen zu lange dauern. Der Markt für Reisen um die 1000 Kilometer wird ganz dem um ein Vielfaches klimaschädlicheren Luftverkehr überlassen, der überdies auch noch massiv subventioniert wird – unter anderem durch den Verzicht auf die Kerosinsteuer und die Mehrwertsteuer (im grenzüberschreitenden Verkehr).

 

Mit dem Ausstieg der DB AG hatten die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) einen Teil der noch verbliebenen Strecken und Züge übernommen. Sie haben das Angebot seitdem sogar schon wieder etwas ausgeweitet und denken langfristig über die Wiederinbetriebnahme weiterer Linien nach. Die ÖBB sind mit dem wirtschaftlichen Ergebnis der Nachtzüge, die sie unter der Marke »NightJet« betreiben, offensichtlich zufrieden. Damit strafen sie die DB AG Lügen, die jahrelang erst behauptet hatte, dass es keinen Markt mehr für Nachtzüge gebe und die Züge nicht mehr gebucht würden. Nachdem dies als Unwahrheit entlarvt war und die DB AG zugeben musste, dass die Buchungszahlen sich sogar bis zur Abschaffung der Züge und trotz des kontinuierlich abnehmenden Service nach oben entwickelt hatten, hielt sie dennoch an dem schon damals ebenso umstrittenen Argument fest, dass die Züge unwirtschaftlich seien. Dass die ÖBB auch dieses Argument nun mit wehenden Fahnen widerlegen, dürfte der DB AG ein Dorn im Auge sein.

 

Am Anfang beschworen DB AG und ÖBB ihre Zusammenarbeit, und die DB AG schmückte sich ein bisschen mit den fremden Federn des »NightJet«, den die Österreicher aus nicht näher benannten Gründen »günstiger produzieren« könnten als sie selbst. Zu dieser Zusammenarbeit gehörte auch die Tarifanerkennung. Das bedeutet, dass durchgehende Tickets für den »NightJet« und die Zubringerzüge innerhalb Deutschlands buchbar waren – denn oft halten die Nachtzüge ja nicht genau dort, wo man herkommt oder hinwill. Die deutschen BahnCards wurden auch für Rabatte in den »NightJets« anerkannt, und mit den durchgehenden Tickets galten auch die Fahrgastrechte: Ist der »NightJet« verspätet, können die Fahrgäste gegebenenfalls andere Anschlusszüge verwenden und bekommen bei größeren Verspätungen eine Rückerstattung – und ebenso umgekehrt.

 

Damit ist nun aber ab Juni Schluss: Dann läuft die Übergangsregelung aus – ohne eine Nachfolgevereinbarung. Durchgehende Tickets gehören dann voraussichtlich der Vergangenheit an; wer in verspäteten Zügen des anderen Unternehmens sitzt, hat schlichtweg Pech gehabt. Damit die ÖBB die deutschen Rabattkarten weiter anerkennen, müsste die DB AG sie konsequenterweise auch an den Einnahmen beteiligen – was diese jedoch verweigert. Ähnliche Konflikte gibt es übrigens auch zwischen der DB AG und den Nahverkehrsverbünden, die ebenso wenig an den Einnahmen beteiligt werden und daher oft keine entsprechenden Rabatte gewähren – oder nur aus purem guten Willen. Dies ist ein Grund dafür, dass es anders als beispielsweise in der Schweiz keine einheitlichen Regelungen für Vielnutzende des öffentlichen Verkehrs gibt – was diesen auch in Deutschland sehr viel attraktiver machen könnte.

 

Die Bundesregierung selbst steht aber in der Pflicht, für kundenfreundliche Regelungen zur Nutzung der Züge zu sorgen – so hat es der Bundestag im Juni 2017 beschlossen, um wenigstens die noch bestehenden Nachtzüge zu retten. Und als Vertreterin des Bundes, der immerhin 100-Prozent-Eigentümer der DB AG ist, hat die Regierung auch alle Möglichkeiten, genau dies durchzusetzen und der DB AG entsprechende Vorgaben zu machen. Ihre Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag zeigt aber die leider völlig alltägliche Untätigkeit: »Die Bundesregierung plant keine derartigen Maßnahmen.« Im Klartext bedeutet das: Der Beschluss des Bundestages interessiert uns nicht, der freie Markt wird es schon richten.

 

Das Ergebnis dieser Art von freiem Markt ist aber der beschriebene Mangel an Kooperation, der übrigens ebenso zwischen den meisten anderen europäischen Bahnen herrscht, die sich zunehmend in Konkurrenz zueinander sehen. Solche kundenfeindlichen Regelungen sind nicht nur ärgerlich für die Fahrgäste, sondern können auch dazu führen, dass die ÖBB-»NightJets« schlechter gebucht werden und letztendlich doch wieder vom Markt verschwinden. Das käme der DB AG am Ende vermutlich ganz gelegen, denn dann hätte sie mit ihrer Nachtzug-Skepsis doch Recht gehabt. Und der Wegfall der letzten echten Nachtzüge würde ihr zudem noch einmal einen Schub an Fahrgästen für ihre nächtlich verkehrenden ICs und ICEs bringen, in denen man auf vielen Strecken ohne Schlaf über Nacht reisen kann. Dazu vermerkt die Bundesregierung nur lapidar: »Dies fördert den von der Bundesregierung gewünschten Wettbewerb.«

 

Genau dieser Wettbewerb wird auf Betreiben der EU nun seit 25 Jahren mit zu vier »Eisenbahnpaketen« zusammengefassten Regelungen immer weiter intensiviert. Das Ergebnis ist bis auf wenige erfreuliche Ausnahmestrecken eine massive Abnahme des grenzüberschreitenden Bahnverkehrs und vor allem des Nachtzugverkehrs. Höchste Zeit für einen grundlegenden Strategiewechsel. Tatsächlich verschreiben EU und Bundesregierung aber immer nur noch höhere Dosen der gleichen Medizin namens »Wettbewerb«.

 

 

Bernhard Knierim kämpft seit Jahren für den Erhalt der Nachtzüge, auch auf europäischer Ebene im Netzwerk »Back on Track«. Seit 2005 hat er das Netzwerk »Bahn für Alle« gegen den Bahnbörsengang mit aufgebaut, engagiert sich für eine bessere Bahn in öffentlicher Hand und ist Autor mehrerer Bücher.