Das definiert Gregor Gysi als Motto in seiner im Aufbau Verlag erschienenen Autobiographie »Ein Leben ist zu wenig«. Mit Buch und Leitspruch hat er sich allerlei vorgenommen. Kurz nach dem Mauerfall zum Beispiel fragt ihn am Telefon der Staatsbankpräsident, ob er Seuchen in der DDR verursachen wolle. Die Frage verblüffte den frischgekürten maximo lider. Der östliche Finanzfachmann erklärt ihm, dass die gesamte Reserve des DDR-Papiergeldes im Keller des ZK-Gebäudes verwahrt würde. Gysi hatte nach seiner Wahl mit Recht verboten, irgendwelche Unterlagen aus dem Haus zu schaffen; würden jedoch Scheine und Münzen nicht regelmäßig ausgetauscht, siedelten sich Bakterien auf den Zahlungsmitteln an, was bei den Nutzern Krankheiten hervorrufen könnte. Also, sage ich mir, hätte man dann eine spezielle Variante von schmutzigem Geld, von den Riesensummen aus Bestechung und Korruption gar nicht zu reden und dem Zweimeterstaatsmann, der zu Nutz und Frommen der CDU aus der BRD sehr früh eine Bimbesrepublik gemacht hatte. Die letzten sechs Zeilen gehen auf meine Kappe, zu diesem Kohl-Meisterstück äußert sich Gysi nicht.
Zurück zur Seuchengefahr – der Mensch ist wahrhaftig eine Fehlkonstruktion und sich selbst der gefährlichste Schädling. Nicht nur Natur und Umwelt richten wir täglich mehr zugrunde, auch einzelne Ressorts gehen in die Binsen. Exempel für derart wahnwitzige Folgen von korrekten politischen Maßnahmen erlebt Gysi, gelernter Rinderzüchter und ausgebildeter Rechtsanwalt, in seiner neuen Rolle als Plötzlich-Politiker immer mal wieder. Ödnis muss man bei der Lektüre der von ihm geschriebenen 581 Seiten nicht befürchten, ganz im Gegenteil. Während viele Zeitgenossen auf der Suche nach künstlichen oder außerirdischen Intelligenzen sind, schaut man besser nach bei Gregor Gysi, ein ähnlicher Charakter und Typ wie Kurt Tucholsky, beide tüchtige Juristen, sprachmächtig, geborene jüdische Berliner, ausgestattet mit unnachahmlicher Ironie, kongruentem Witz und hochtourigem Humor. Differenzen sehe ich bei ihrem Urteil über Frauen, da hat Tucho mal absolut einen Fehlgriff getan, als er formulierte: »Die Menschheit zerfällt in zwei Teile, einen männlichen, der nicht denken will, und einen weiblichen, der nicht denken kann.« Hier bleibt einem etwas die Luft weg, und es tröstet auch nicht, dass er an anderer Stelle schrieb: »Es gibt keinen Erfolg ohne Frauen.« Der erste Satz käme Gysi wohl nie in den Sinn, der zweite schon eher. Nachdrücklich bedankt er sich bei seiner älteren Schwester Gabriele für ihre Arbeit an der Genealogie, hochinteressant und kompliziert mit den international verwurzelten Familien Lessing und Gysi – bitte nachlesen, es lohnt sich.
Bewährungsproben hatte Gysi bereits als Kind durchzustehen, zwei Wochen verbrachte er in der Klinik Berlin-Buch und sechs Monate in der Charité. Zweimal pro Woche war Besuchszeit, und der Viertklässler wollte offensichtlich unbedingt schon üben, was er bis heute gern betreibt: Entertainment. Ein so entzückendes wie rührendes, aber hirnrissiges Ziel: Unbedingt wünschte er sich, die Menschen rings um sein Bett angemessen zu unterhalten. Nicht nur bei Mutter und Schwester bedankt sich der Biograph, auch bei verschiedenen Berufskolleginnen und Lebensgefährtinnen. Dennoch fehlt es nicht an Attacken aus dem weiblichen Lager. Allen voran Margot Honecker. Sie und ihr Ehemann sahen in Gysi den »Verderber ihrer Partei«, das zieht einem ja nun die Schuhe aus, erst den Staat in die Grütze fahren und dann Leute beschimpfen, die aus den Trümmern noch etwas zu retten versuchen. Im Allgemeinen hat Gysi bei den Damen einen Stein im Brett, Ausnahme in einer »Riverboot«-Sendung im MDR vor einigen Wochen, dort plazierte man die Schauspielerin Ulrike Krumbiegel neben dem Linkspolitiker. Sie erzählte, dass sie seit dem Mauerfall gern reise und im Westen gefragt wurde, warum so spät? Darauf habe sie erwidert: »Ich war ja im Gefängnis!« Bis dahin hatte ich diese Actrice für recht intelligent gehalten, das muss ich korrigieren. Die Antwort mit dem bildlichen Vergleich vom Gefängnis zeigt einen Grad von Unverschämtheit, der seinesgleichen sucht. Frau Krumbiegel genoss in der DDR die bestmögliche Ausbildung an der Ernst-Busch-Schauspielschule, hatte dort Arbeit sowie Erfolg – und wagt es, in Ihrem Lebenslauf von Gefangenschaft zu schwafeln, ungeachtet der vielen aus politischen Gründen zu Unrecht tatsächlich Eingesperrten wie Walter Janka, Wolfgang Harich, Heinz Zöger, Gustav Just, Erich Loest … Große Enttäuschung auch im Freundeskreis über diese bisher geschätzte Frau.
Damit mein Gemecker nicht einseitig anti-weiblich wird, merke ich an: Der PDS-Vorsitzende traf in den neunziger Jahren auch auf unerträglich artikulierende Herren – unter anderem in einem kleinen BRD-Ort auf den dortigen Polizeichef, er war beauftragt, sich um Gysis Sicherheit zu kümmern und klärte die Fronten: »Übrigens, Herr Gysi, damit wir uns nicht missverstehen: Meinetwegen können Sie erschossen werden, aber nicht in meiner Stadt.«
Gregor Gysi: »Ein Leben ist zu wenig. Die Autobiografie«, Aufbau Verlag, 581 Seiten, 24 €