Auf die »Bayern-Chronik« wurde ich durch eine Sendung des Magazins »Capriccio« im Bayerischen Fernsehen Anfang Dezember aufmerksam. Im dem Beitrag wurden Auszüge aus den zwei, zusammen sieben Kilogramm schweren Bänden vorgestellt. Darin dokumentiert der Autor Diedrich Schulze-Marmeling die Geschichte des FC Bayern München von seinen Anfängen bis in die Gegenwart in aller Breite.
Neben vielen anderen Kapiteln sind die Fotos und Dokumente über die Jahre 1933 bis 1945 sicher von großem Interesse. Hatte sich hierzu der Verein doch eher in Schweigen gehüllt. Der Autor belegt, dass und wie der FC Bayern München mit den Nationalsozialisten kooperierte. Sehr früh zeigte sich München, später dann »Hauptstadt der [NS-]Bewegung« genannt, für die faschistische Propaganda empfänglich. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg merkten vor allem die Juden in der Stadt an der Isar rasch, wie sich die Stimmung radikalisierte. Wie überall in Deutschland so war auch die bayerische Staatsregierung auf dem rechten Auge blind. Als ihren Nachbarn mussten die Juden Hitler und andere Nazifunktionäre ertragen. In der Bayern-Heimat Maxvorstadt wie auch in Schwabing war das NS-Gedankengut anzutreffen. Bereits Mitte der 1920er Jahre hatte die NSDAP in Schwabing ihre stärkste Formation in der Stadt. Nicht von ungefähr wurde von Hitler hier die Parteizentrale – das Braune Haus – eröffnet. Davor befand sich das NS-Quartier in der Maxvorstadt. Eine Hochburg war die Universität. Bereits Mitte der 1920er Jahre war an der Universität die Präsenz von Juden, ob als Studenten oder Professoren, in Frage gestellt.
Bayerns erster Meistermacher, der Österreicher Richard Domi, war Jude. Er arbeitete ab 1928 in Deutschland als Trainer. In der Spielzeit 1930/31 wurde der Wiener Coach der Bayern und führte die Mannschaft am 12. Juni 1932 im Stadion von Nürnberg zu ihrer ersten deutschen Meisterschaft. Bereits im Sommer 1933 musste Meistermacher Domi Nazi-Deutschland verlassen, ging in die Schweiz. Spätere Stationen seiner Odyssee waren Spanien und die Niederlande. Nach dem Ende des Nazireichs kam er noch einmal im Juli 1951 kurz nach München zurück, besucht seine alten Bayern.
Der langjährige Vereinspräsident Kurt Landauer tritt am 22. März 1933 zurück. In den Clubnachrichten des Fußballclubs wird der Rücktritt mitgeteilt. Hier heißt es: »In einem unter dem 22. März an die Vorstandschaft gerichteten Schreiben legte Herr Landauer mit sofortiger Wirkung sein Amt als 1. Vorsitzender nieder. Im Interesse des Clubs, dessen Wohlergehen ihm nach wie vor am Herzen liege, glaubte er diesen Schritt unbedingt machen zu müssen. Die Vorstandschaft verschloss sich im Hinblick auf die Neugestaltung der Verhältnisse in Deutschland dieses Rücktritts nicht.« Erst im Mai 1939 gelingt es Kurt Landauer mit seinem Pass, der ein in Rot eingestempeltes »J« sowie den zweiten Vornamen »Israel« – eine von den Nazis verordnete Namensergänzung in amtlichen Dokumenten – enthält, nach zahlreichen Repressalien der Nazis endlich Deutschland zu verlassen. Er geht in die Schweiz ins Exil.
Ab dem 9. Juni 1934 hat der FC Bayern eine neue Satzung. Wie von den Nazis gefordert. ist sofort das »Führerprinzip« Bestandteil der Satzung. Auch ein »Ältestenrat«, der dem Vereinsführer beratend zur Seite stehen soll, kommt hinzu. Bei internen Streitfällen soll er schlichten. Ab September 1935 muss jedes Mitglied des Fußballklub Bayern e. V. folgende Erklärung unterschreiben: »Ich erkläre hiermit ehrenwörtlich und an Eides statt, dass ich rein arischer Abstammung bin. [Es ist mir bekannt, dass als arisch nur gilt, wer von arischen (deutschen) Eltern und Großeltern abstammt.]«
Bereits 1933 wurde beim Sport im Deutschen Reich die Gauliga eingeführt, die aus 16 Gauen bestand. Im Gau 16 spielten die Bayern. Auch in den NS-Jahren zählten Bayern-Spieler zum Aufgebot der Nationalelf. Im Spiel 1938 gegen Portugal prangte nicht mehr der »Adler«, sondern das Hakenkreuz auf dem Trikot der Spieler. Bis 1945 war der Fußball – auch die Bayern – nur noch Mittelmaß im Reich unter dem Hakenkreuz.
Für die NS-Ideologie im FC Bayern war seit 1933 Theodor Slipek zuständig. Der Mann, Mitglied der NSDAP seit 1928, wurde 1936 SS-Standartenführer. Slipeks Aufgabe: den Fußballverein vom Ruf eines »Judenklubs« zu befreien. Dafür war er der richtige Mann. Später erhielt er als Auszeichnungen das goldene Parteiabzeichen der NSDAP, den von Reichsführer-SS Heinrich Himmler verliehenen Ehrendegen und den SS-Totenkopfring.
Opfer des Nazi-Regimes waren auch Mitglieder des FC Bayern. Das erste Opfer war der jüdische Jurist Alfred Strauß, der am 11. Mai 1933 ins Konzentrationslager Dachau verschleppt wurde. Der SS-Mann Johann Kanntschuster ermordete Strauß 13 Tage später mit zwei Pistolenschüssen in den Hinterkopf. In diesen Jahren wurden weitere 28 Mitglieder des FC Bayern ermordet, davon 27 Juden. Vier weitere jüdische Vereinsmitglieder begingen angesichts der Repressionen Suizid. Überlebt haben die Nazi-Barbarei 38 jüdische Vereinsmitglieder durch Emigration.
Als Widerstandskämpfer gegen den Faschismus wurde das Vereinsmitglied Wilhelm »Willy« Buisson 1938 in Linz verhaftet. Er hatte ab August 1933 im Auftrag der Sopade, der Exil-SPD, im tschechischen Grenzgebiet im Widerstand gearbeitet. Der Volksgerichtshof in Berlin verurteilte Buisson am 27. April 1940 wegen »Landesverrat« und »Vorbereitung zum Hochverrat«. Am 6. September 1940 wurde in Berlin-Plötzensee das Urteil gegen den Apotheker und Widerstandskämpfer vollstreckt.
Eine bewegende Chronik über den FC Bayern München.
Dietrich Schulze-Marmeling: »Die Bayern-Chronik«, mit Beiträgen von E. Angermair, B.-M. Beyer, H. Grüne, F. Kohnke, D. Kämper, A. Löffelmeier und A. Wittner, Verlag Die Werkstatt, nummerierte Erstauflage in zwei Bänden – Band I 461 Seiten, Band II 493 Seiten, 99 €