Lange schien es, dass malende Frauen in der frühen Moderne kaum eine Rolle gespielt hätten. Und wenn – dann eine marginale, weil ihre Arbeiten nur vereinzelt in den Überblicksausstellungen zu sehen waren. Einzelausstellungen in renommierten Museen sind bis heute meist männlichen Vertretern der Malerzunft vorbehalten. Diese dominieren auch im Kunstbuchmarkt und sogar in der Kunstkritik. Gabriele Münter blieb lange ein Geheimtipp. Von Paula Moderson-Becker wurden meist nur eine kleine Palette Selbstporträts reproduziert. Was das für eine große, vielseitige Künstlerin mit tatsächlich weiblichen Themen war, konnte ein größeres Publikum erst vor zwei Jahren im Hamburger Bucerius Kunstforum (s. Ossietzky 4/2017) begreifen. Noch weniger bekannt war das Werk der vorwiegend als Illustratorin tätigen, scharf blickenden Jeanne Mammen, der vor einem Jahr in der Berlinischen Galerie eine grandiose Ausstellung gewidmet war. Und das Frankfurter Städel zeigt jetzt Lotte Laserstein (1891–1993), die zu den ersten Frauen gehörte, die an den Berliner Vereinigten Staatsschulen für Freie und angewandte Kunst ein Vollstudium aufnehmen konnten. Wie es für eine erste, aus systematischer Diskriminierung befreite Gruppe typisch ist, nahm die hochtalentierte Frau das Bildungsangebot sehr ernst und eignete sich die ganze Bandbreite der bis dahin entwickelten Maltechniken an. Das frühe Porträt ihrer Großmutter verweist auf ihr erstes großes Vorbild: Wilhelm Leibl.
Trotz zahlreicher Zitate aus der Geschichte der Malerei steht Laserstein ganz in ihrer Zeit. Die Neue Frau der zwanziger und beginnenden dreißiger Jahre ist ihr bevorzugtes Sujet: die Cafégängerin, die Sportlerin und immer wieder sie selbst im Malerkittel. Mit dem Porträt einer Frau mit Bubikopf, die ihr Aussehen im Spiegel der Puderdose überprüft, nahm sie an einem Wettbewerb teil und konnte das Bild in der Galerie Gurlitt ausstellen. Von da an erfreute sich Laserstein zunehmender öffentlicher Anerkennung.
Dass ihr Werk besonders lange auf Wiederentdeckung warten musste, lag auch an ihrem hyperrealistischen Stil, der nicht in die westliche Geschmackswelt der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts passte. Sie hatte nichts mit dem bis heute populären Expressionismus zu tun und begab sich auch nicht in die Gefilde der Abstraktion. Eher war sie noch ein wenig dem Jugendstil verhaftet, viel mehr aber der Neuen Sachlichkeit. Von kühlglatten Oberflächen hielt sie jedoch nicht viel, sondern grundierte ihre Ölmalerei oft mit kräftigem Pinselstrich, was den Bildern schon auf technischer Ebene Lebendigkeit verleiht. Laserstein überzeugt aber vor allem durch die tiefe Durchpsychologisierung ihrer Figuren, vor allem wenn sie Gruppen darstellte. Das lässt auf umfassende inhaltliche Vorarbeit schließen und sucht in der Geschichte der Malerei ihresgleichen. Keine vorherigen Künstler des traditionsreichen Sujets »Der Maler und sein Modell« haben mir so vielsagende Erzählungen suggeriert wie Lasersteins Varianten, die ihr Lieblingsmodell Traute Rose und sie selbst zeigen, mit der Palette in der Hand oder an der Staffelei. Das Fehlen des männlichen Blicks schafft eine neue Perspektive. Es gibt hier kein Subjekt-Objekt-Verhältnis, sondern entspannte Vertrautheit zweier Komplizinnen, die das Ziel eint, dass sich das Modell vor allem dem Betrachter präsentiert.
Die meisten der Bilder kannte ich aus einem Kunstbuch und hätte sie für wesentlich größer gehalten. Dass Laserstein auch das ganz große Format beherrschte, beweist ihr im Städel ebenfalls präsentiertes Hauptwerk »Abend über Potsdam« von 1930. Vor dem Stadtpanorama sind fünf nachdenklich-melancholische junge Leute an einer langen Tafel mit Resten eines frugalen Imbisses gruppiert. Zu erkennen ist ein Abendmahl in moderner Szenerie. Aber an Jesu Stelle sitzt in lässiger Haltung, skeptisch blickend: eine Frau. Die erschöpften Menschen haben nicht gefeiert, sondern sich mit erdrückenden Problemen befasst. Obwohl Laserstein keine explizit politische Künstlerin war, steht das Gemälde emblematisch für die Krisen seiner Entstehungszeit. Begrüßenswert ist, dass es künftig in exponierter Position die Ausstellung zur Moderne in der Berliner Neuen Nationalgalerie einleiten soll.
Als sogenannte Halbjüdin erfuhr Lotte Laserstein im »Dritten Reich« Diskriminierung und wurde aus dem Kunstbetrieb ausgeschlossen. 1937 konnte sie ein Ausstellungsangebot in Schweden nutzen, um unter Mitnahme vieler ihrer Werke zu emigrieren. Im dortigen, ruhig und konservativ gebliebenen künstlerischen Leben konnte sie sich nur als Porträt- und Landschaftsmalerin etablieren. Obwohl den Bildern anzusehen ist, dass sie auch auf Wünsche der Käufer eingehen musste, handelt es sich um differenzierte und stets eigenwillig ausgeführte Arbeiten. Ihre Bedeutung sollte auch deshalb nicht unterschätzt werden, weil sie die künstlerischen Einschränkungen des Exils ebenso wie deren kraftvolle Bewältigung dokumentieren. Dass Lotte Laserstein den Verlust ihrer engen gesellschaftlichen Bindung aus dem widerspruchsvollen Berlin niemals verwunden hatte, zeigt ihr berührendes, in Schweden entstandenes Selbstporträt »Abend über Potsdam«, das den Hintergrund bildet.
Ab 5. April zeigt die Berlinische Galerie die um einige Bilder erweiterte Ausstellung des Städel, die in Frankfurt noch bis zum 17. März läuft.