Ossietzky hat eine Autorin verloren: Urte Sperling, eine kluge, starke und warmherzige Frau, ist am 31. Dezember 2019 in Marburg gestorben.
Ihre Artikel zum deutschen Gesundheitswesen, das wohl eher ein Krankheitswesen zu nennen ist, basierten auf ihren langjährigen Erfahrungen als Krankenschwester und waren, frei von der auf diesem Gebiet so häufig anzutreffenden Sentimentalität, der Sache wie den beteiligten Personen gewidmet, denen im Krankenbett und denen davor. Sie betrachtete kritisch die Zustände, die, nicht nur in Marburg, durch Privatisierung und Kommerzialisierung in den Kliniken entstanden waren, wie auch die gewerkschaftlichen Aktivitäten, an denen sie über viele Jahre beteiligt war.
Es war kein geradliniger Weg, den sie genommen hat. 1947 im niedersächsischen Uelzen geboren – die Mutter hatte es aus Westpreußen dorthin verschlagen, der Vater kam aus tschechischer Kriegsgefangenschaft –, wurde sie evangelisch und relativ unpolitisch erzogen. Relativ, denn der Vater, ein kleiner Gewerbetreibender, brachte ihr frühzeitig bei, dass die Russen friedlich seien, die Deutschen die Kriege angefangen hätten und an der neuen Ordnung in Polen nicht gerüttelt werden solle.
Ihre eigene Politisierung begann mit dem Studium (Anglistik und Germanistik) in Tübingen und Westberlin. Es war die Zeit der »Studentenunruhen«, sie mittendrin. Für ihre eigene Person jegliche Gewaltanwendung ausschließend, schloss sie sich nicht einer der radikaleren Gruppierungen an, sondern der Sozialistischen Einheitspartei Westberlin (SEW). Allerdings bekam sie, als sie stellvertretende Kreisvorsitzende von Charlottenburg geworden war, ziemlich schnell mit, dass die SEW ein Anhängsel der SED und von demselben »bürokratischen Zentralismus« beherrscht war. Da sie aber ihren Überzeugungen keinesfalls »abschwören« wollte, dauerte es eine Weile, ehe sie Mittel und Wege fand, sich von dieser Partei zu lösen. Später gehörte sie in der DKP zu denen, die 1989/90 die Partei erneuern wollten und stellte nach dem gescheiterten Versuch die Beitragszahlung ein.
Seit 1974 hatte sie sich für die »Nelkenrevolution« in Portugal begeistert, besuchte das Land im Urlaub, lernte Portugiesisch, knüpfte vielfältige Kontakte und verfolgte den weiteren Verlauf der Revolution. Sie begann, über dieses Thema zu arbeiten, ließ sich aber nicht darauf ein, dazu in der DDR zu promovieren, sondern ging auf Anraten ihres Freundes und Genossen Robert Katzenstein nach Marburg. Sie ließ sich zur Bürokauffrau umschulen, belegte gleichzeitig Soziologieseminare an der Universität und verteidigte 1987 ihre Dissertation über »Portugal – von Salazar bis Soares«. Auch der bei PapyRossa 2014 erschienene kritische Rückblick auf die Resultate der Nelkenrevolution (3. Auflage 2018) bezeugt ihre nie nachlassende Zuneigung zu dem Land.
Gemeinsam mit ihrem Ehepartner Georg Fülberth-Sperling lebte sie fortan in Marburg, und mit der nachfolgenden Ausbildung zur Krankenschwester begann sie auch einen neuen Abschnitt in ihrem Berufsleben, der sie nach ihrer Berentung zu der geschätzten Ossietzky-Autorin werden ließ, deren Beiträge wir in Zukunft vermissen müssen.