Kürzlich entschied das Schweizerische Bundesgericht über die 4,6 Millionen Dollar, die dem haitianischen Ex-Diktator Baby Doc Duvalier gehören. Sie liegen seit über 20 Jahren auf Schweizer Konten. Das Geld stammt zwar aus Unterschlagung, stellte das Gericht fest, aber diese Straftat ist laut helvetischem Recht nach 15 Jahren verjährt. Die von Duvaliers Schlägertruppen verübten Morde würden zwar erst nach 30 Jahren verjähren, aber es sei nicht nachgewiesen, daß das in die Schweiz transferierte Geld auch auf Mord zurückzuführen sei. Der Antrag der Republik Haitis auf Auszahlung sei deshalb abzuweisen, so das oberste Gericht der Alpenrepublik.
Diese differenzierte Urteilsfindung zeigt, daß man Unrecht oder Beihilfe zu Unrecht auch in strenge rechtsstaatliche Formen kleiden kann. Schweizer Bankgeheimnis, anonyme Nummernkonten und Liechtensteiner Stiftungen – an all diese Konstrukte haben Rechtsgelehrte ihren professionellen Schweiß vergossen, und nationale Parlamente haben das mit demokratischen Mehrheiten in Gesetzesform gebracht.
Doch die moralisch-kritische Abarbeitung an der Finanzoase Schweiz hat auch etwas Anachronistisches. Während an der Grenze vor Zürich der mittelständische Metzgermeister aus dem Badischen erwischt wird, der seine Geldbündel im Radkasten seines Mercedes versteckt hat, spielt die Musik der globalisierten Finanzwelt längst woanders. Nach dem Muster der Schweiz und Liechtensteins haben sich inzwischen etwa fünf Dutzend moderne Finanzoasen entwickelt: zwischen den Bahamas in der Karibik und den englischen Kanalinseln und Vanuatu im Pazifik.
Die wichtigste ist der kleine US-Bundesstaat Delaware. In der Hauptstadt Wilmington werden hunderttausende von Briefkastenfirmen verwaltet. Sie sind so zahlreich, daß an den Büros der professionellen Treuhänder gar kein Platz ist, um für jede der Firmen überhaupt einen Briefkasten anzubringen. Die Briefkastenfirmen heißen auch gar nicht mehr so, sondern Special Purpose Entities. Und eine solche, wie sie auf deutsch heißt, Einzweckgesellschaft braucht sowieso nichts weiter als einen unsichtbaren Speicherplatz auf einem Laptop.
In Delaware sitzen – juristisch jedenfalls – die meisten Käufer und Verkäufer der gebündelten Hypothekenkredite, Derivate, Collateralized Debt Obligations und so weiter, die heute den Großteil der steuerfreien Finanzgeschäfte ausmachen und denen wir die größte Wirtschaftskrise zu verdanken haben. Ich habe mit dem Zählen aufgehört, als ich beispielsweise im Verzeichnis der Deutschen Bank beim hundertfünfzigsten Rechtskonstrukt angelangt war, das Deutschlands einflußreichste Bank in Wilmington/Delaware unterhält. Übrigens, falls Sie es noch nicht gemerkt haben: Die Deutsche Bank ist gar keine deutsche Bank mehr.
Vor einigen Wochen erklärte die Bundesregierung, der Kampf gegen Steueroasen sei beendet. Die »schwarze Liste« der OECD ist leer, erklärte der deutsche Finanzminister. Denn all die Steueroasen, die mal dafür gehalten wurden, haben inzwischen erklärt, daß sie gar keine Steueroasen mehr sind. Mag das glauben, wer will. Aber während die Schweiz und Deutschland auf beiden Seiten mit vollem Personal und mit Pauken und Trompeten das vorletzte Gefecht für und gegen vermögende Steuerhinterzieher austragen, machen die Krisenverursacher weltweit weiter wie bisher. Delaware, das nie auf der OECD-Liste gestanden hat, läßt grüßen. Hier muß ansetzen, wer Steuerflucht und Finanzkrisen wirksam bekämpfen will.