Die oberfränkische Stadt Coburg durfte vom 23. Juni 1939 an offiziell den Titel »Erste nationalsozialistische Stadt Deutschlands« führen. So bekundete das Regime seinen Dank dafür, daß die NSDAP hier bei den Wahlen am 23. Juni 1929 mit 43,1 Prozent der Wählerstimmen erstmals in Deutschland die Mehrheit erreicht hatte.
Im Herbst 2009 erhielt ein Mitglied des »Coburger Aktionsbündnisses gegen rechtsradikale Aktivitäten« (CARA) eine Morddrohung; Absender waren offenbar örtliche Faschisten. Vertreter des Stadtjugendrings, der Industriegewerkschaft Metall, der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft, der Grünen, der SPD, der Partei Die Linke und anderer Organisationen setzten sich daraufhin zusammen, um zu überlegen, was gegen neofaschistischen Gefahren gemeinsam zu tun ist. Auch die örtliche Presse war eingeladen. Die in der Region dominierende Neue Presse (sie erscheint im selben Konzern wie die Süddeutsche Zeitung) zog dann in ihrem Bericht das folgende erstaunliche Resümee: »Wenn das antifaschistische Tam-Tam so weitergeht, braucht sich niemand zu wundern, wenn Coburg über kurz oder lang ein Naziproblem hat.« Man müsse »nur lange genug schreien und es wird sich schon irgendwo ein Häufchen verlorener Rechtsextremisten finden lassen. Fertig ist der Beweis.«
Damit waren die wirklichen Gefährder des örtlichen Friedens ausgemacht. Verantwortlich für neofaschistische Umtriebe waren nach dieser Lesart die von den Neofaschisten Bedrohten bei der örtlichen CARA und die sich mit ihnen Solidarisierenden, kurz die Linken. Und mit diesem Salto landete der fixe Autor ganz nah bei der neuen Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU), die erklärtermaßen dem Kampf gegen Links mehr Aufmerksamkeit schenken und dafür entsprechend dem Koalitionsvertrag die Gelder aus den ursprünglich zum Kampf gegen Rechts gedachten Fonds umverteilen will.
Der Coburger Schreiber erwies sich auch als gelehriger Schüler jener herrschenden Lehre, derzufolge wir nicht immer in der faschistischen Vergangenheit herumstochern sollen, zumal doch die ostdeutschen Brüder und Schwestern bis 1989 die »zweite deutsche Diktatur« erdulden mußten. An die »politisch gemäßigten Kräfte« appellierte er: »Mit Würde an die Machtergreifung der NSDAP vor 80 Jahren zu erinnern, stünde dieser Stadt gut an. Auch vor dem Hintergrund von 20 Jahre Mauerfall. Extremismus droht nicht nur von Rechts.«
Mit diesem preisverdächtigen Entwurf für ein »würdevolles Erinnern« tun sich – auch im Hinblick auf den bevorstehenden 65. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus – neue Möglichkeiten auf. Heutige Neofaschisten lassen wir getrost ihre Morddrohungen in die Welt verschicken. Und in Coburg, um am Ort zu bleiben, amnestieren wir »mit Würde« die Taten der Vorfahren: Am 18. Januar 1931 wehte in Coburg, erstmals in Deutschland, auf einem öffentlichen Gebäude, dem Rathaus, die Hakenkreuzfahne. Am 26. Februar 1932 verlieh Coburg als erste deutsche Stadt an Hitler die Ehrenbürgerschaft. Bei der Reichstagswahl am 31. Juli 1932 erhielt die NSDAP 58,6 Prozent der Stimmen. Unmittelbar nach der Reichstagwahl vom 5. März 1933 zogen faschistische Kohorten durch die Stadt und nahmen 152 Regimegegner und Juden fest. 83 Personen wurden in »Schutzhaft« genommen und gefoltert, 31 in das KZ Dachau überführt. Am 27. November 1941 gingen die ersten 26 Coburger Juden mit einem Sammeltransport aus Franken zur Vernichtung nach Riga. Am 19. November 1942 meldete Oberbürgermeister August Greim Coburg als »judenfrei«.