Wie beschreibt man, wenn man schriftstellerisch genial sein will, die Atmosphäre einer Bahnhofstoilette? »Das Gewölbe, blaue Kacheln, der Ammoniakgeruch schnitt wie ein Diskus durch den Atem der Eindrängenden.« Nichts schneidet ja bekanntlich so scharf wie ein Diskus, vor allem wenn so Schneidbares wie der Atem zu schneiden ist. Das könnte aus dem »Axolotl Roadkill« sein, wo ja auch grandios vermurkste Metaphern prunken: »Eine über meiner Existenz thronende Aufnahmefähigkeit, die nicht ausgeschaltet werden kann und mein komplettes Innenleben in verknotete Wurstbindfäden verwandelt hat.« Den atemschneidenden Diskus hat sich aber nicht Helene Hegemann ausgedacht, das Schmuddelwunderkind mit der kalkulierten Kotzbrockenattitüde und dem unverkrampften Verhältnis zu Urheberrechten, das Deutschlands literarische Auguren der Mißbrauchbarkeit durch Minderjährige überführt hat. Er stammt aus einem anderen, schon ein wenig älteren und noch immer vielbejubelten Kultbuch, dem DDR-Entsorgungsroman »Der Turm« von Uwe Tellkamp.
Der kann aber noch mehr. »Die Elbe hatte ihre kielzerkratzten, windhechelgerauhten Kleider abgelegt und sonnte ihren Metalleib, den er so glatt und nackt noch nie gesehen hatte. Die Sonne aber, durchzittert von Saaten elektrisch hin- und hermagnetisierter Vögel, stand im Zenit; Mikroimpulse klopften unablässig an der quecksilbrigen, zugleich angespannten Haut des Flusses, auf dem, fein wie von Zirkeln gerissen, Kreisringe mit der abrupten Noblesse sichtbar wurden, mit der die gelben Blüten der Nachtkerze in einer bestimmten Dämmersekunde aufbrechen.« Solch verbales Imponiergehabe einer permanent sich selbst überbieten wollende Ehrgeizprosa nennt man normalerweise Kitsch. Daß man es bei Tellkamp nicht Kitsch, sondern sprachmächtige Meisterschaft nennt, ist wohl nicht allein dadurch zu erklären, daß es sich sozusagen um promovierten Kitsch, um Exzellenzkitsch, um Hochleistungskitsch handelt, dessen Chuzpe des Übertrumpfens eine beachtliche Blendwirkung entfaltet.
Es steckt noch etwas mehr dahinter. Die Überspanntheitsexzesse einer permanent von verbalen Adrenalinschüben aufgeputschten Überwältigungsprosa stehen in einem Verhältnis wechselseitiger Legitimierung mit dem Anspruch, die Geschichte der DDR durch Schilderung ihrer kläglichen Agonie endgültig auf die Müllkippe zu befördern. Wenn es um das edle Anliegen geht, die verhaßte DDR auf Verwesungsgestank zu reduzieren, dann sind die überanstrengten stilistischen Kraftgebärden eben nicht spätpubertärer Krampf, sondern erlesene Wirkungsmittel einer elaborierten Ästhetik. Und umgekehrt: Wenn ein so stilsicherer literarischer Großmeister am Werk ist, dann muß es auch mit der Pauschal-Erledigung der DDR seine Richtigkeit haben – mag Tellkamp auch Klischee auf Klischee häufen, seine Erzählfäden immer wieder willkürlich kappen, wenn er nicht weiter weiß, und unfähig sein, glaubhafte menschliche Charaktere zu formen.
Literarischer Ruhm hat manchmal faulige Wurzeln. Und eines hat Tellkamp, bei aller Unvergleichbarkeit des intellektuellen Niveaus, mit Helene Hegemann immerhin gemein: das Mißverhältnis zwischen Ambition und Substanz.