erstellt mit easyCMS
Titel0412

Sozialabbau 2012, Folge 2  (Franziska Walt und Tilo Gräser)

31. Januar: Immer mehr angehende Lehrer in Mecklenburg-Vorpommern haben zu wenig Geld für ihren Lebensunterhalt, schreibt die Ostseezeitung. Besonders unverheiratete Referendarinnen müssen als »Aufstockerinnen« zusätzlich »Hartz IV«-Leistungen beantragen.

– In Bochum lebt jedes vierte Kind unter 15 Jahren in Armut. Das sind mehr arme Kinder als im bundesweiten Durchschnitt, meldet die WAZ. Die Kinderarmut ist zwischen 2006 und 2011 im Bundesdurchschnitt um 13,5 Prozent gesunken. Für Bochum verzeichnet das Jobcenter im gleichen Zeitraum einen Rückgang armer Kinder von nur 3,2 Prozent. Werner Marquis, Sprecher der Regionaldirektion NRW der Agentur für Arbeit, erklärt der WAZ eine Ursache: »… der Strukturwandel von der Montanregion hin zur Dienstleistungsgesellschaft« bedeutet mehr Arbeitslose und Langzeitarbeitslose und auch mehr arme Kinder.

1. Februar: Ein Viertel aller Personen, die im Landkreis Gießen »Hartz IV«-Leistungen beziehen, sind Menschen, die arbeiten, ohne daß dies für sie zum Existenzminimum reichen würde: 24,7 Prozent oder 3.442 Personen. Das berichtet der Lauterbacher Anzeiger online.

3. Februar: Die »Hartz IV«-Fälle steigen auch beim Sozialgericht in Konstanz. Mit 1.433 Fällen im letzten Jahr verzeichneten die Konstanzer Richter »einen kleinen Rekord«, schreibt der Südkurier. Ursache sei, daß das Gesetz »relativ kompliziert ist«, zitiert die Zeitung die Richter. Eine umfassende Reform im vergangenen Jahr habe die Unsicherheit in den Jobcentern ebenso wie bei den Unterstützungsempfängern noch gesteigert. Die Richter in Konstanz widersprachen der Zeitung gegenüber dem immer wieder geäußerten Verdacht, »Hartz IV«-Empfänger würden sich auf Staatskosten durchs Leben mogeln. Kaum jemand trickse, so Gerichtsdirektorin Franziska Hammer. Die Betrugsversuche seien »an zwei Händen« abzuzählen. Die meisten Menschen würden sich im Paragrafen-Dickicht nicht zurechtfinden.

4. Februar: Thomas R. aus Kappeln in Schleswig-Holstein, der seit Anfang des Jahres »Hartz IV« bezieht, wollte mit einem 30-Euro-Gutschein des Arbeitsamtes bei Lidl einkaufen. »Ich bin extra nach Süderbrarup gefahren, um mich nicht in einem Kappelner Geschäft diesem Gefühl aussetzen zu müssen, nicht selber für meinen Einkauf aufkommen zu können«, zitiert ihn der Schlei-Bote online. Dort angekommen, fragte er die Kassiererin, ob sie den Gutschein als Zahlungsmittel akzeptieren würde. Die Angestellte erkundigte sich beim Filialleiter. Als sie zurückkam, habe sie ihn wissen lassen, daß er mit seinem Gutschein zwar einkaufen könne – allerdings keine Markenprodukte. Der Hinweis der Kassiererin war eindeutig: Erlaubt seien ihm nur Lidl-eigene Artikel, so die Zeitung. »Daß man mich so eingeschränkt hat, war das eine«, erinnert sich Thomas R. »Das andere war, daß sie das auch noch quer durch den Laden gerufen hat.« Am meisten aber stößt ihm Folgendes auf: »Es kann doch nicht sein, daß Lidl bestimmt, was ich esse und was nicht.« Der Discounter hat sich in der Zwischenzeit bei Thomas R. entschuldigt.

5. Februar: Der Konzern IBM will in Deutschland bis zu 8.000 Stellen streichen. Der Stellenabbau ist laut Spiegel Teil eines radikal neuen Jobkonzepts. Danach soll das Unternehmen künftig nur noch eine kleine Kernbelegschaft haben – die meisten Aufgaben würden dann externe Kräfte erledigen, die von Fall zu Fall eingekauft werden. Spezialisten und Fachkräfte will IBM dem Bericht zufolge auf einer eigens gegründeten Internetplattform anwerben. Dort sollen sich freie Mitarbeiter aus der ganzen Welt präsentieren und nach bestimmten, von IBM entworfenen Qualitätsmerkmalen zertifiziert werden. Die Arbeitskräfte, heißt es laut Spiegel in dem IBM-Papier, würden internationale Arbeitsverträge erhalten, um restriktive Vorschriften in den jeweiligen Heimatländern zu umgehen. Außerdem sollen sie auch nur für die Dauer der jeweiligen Projekte beschäftigt werden. »Ein solches System, in dem weltweit Arbeitskräfte um befristete Jobs auf Internetplattformen konkurrieren, würde Konzernen wie IBM gewaltige Einsparungen bringen und die Effizienz erheblich steigern«, stellt das Nachrichtenmagazin fest.

6. Februar: Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit waren in Wiesbaden im vergangenen Jahr 2.451 Senioren als Mini-Jobber beschäftigt, 590 mehr als noch im Jahr 2003. Das ist laut Wiesbadener Kurier ein Anstieg von mehr als 30 Prozent in nur acht Jahren. »Immer weniger Menschen in Wiesbaden schaffen es, sich nach einem langen Berufsleben tatsächlich zur Ruhe zu setzen«, so der Bezirksvorsitzende der IG Bau Wiesbaden-Limburg, Karl-Heinz Michel, gegenüber der Zeitung. Schuld seien die niedrigen Renten. Teils liegen die Renten nach Angaben des Amts für soziale Arbeit in Wiesbaden zwischen lediglich 450 und 500 Euro netto im Monat.

7. Februar: Wer als erwerbsfähiger »Hartz IV«-Empfänger seinen Pflichten bei der Arbeitssuche nicht nachkommt, muß nach einem Bericht der Saarbrücker Zeitung verstärkt mit einer Kürzung des Regelsatzes rechnen. Im Vorjahr wurden zwischen Januar und September von den Jobcentern 667.499 Sanktionen verhängt. Das waren neun Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Jahres 2010. Häufigster Anlaß, um »Hartz IV«-Empfängern die Stütze zu kürzen, waren Meldeversäumnisse. Sie wurden knapp 421.000 Mal registriert.

8. Februar: Nur ein kleiner Teil der 190.000 anspruchsberechtigten Kinder und Jugendlichen in Hessen beantrage die ihnen zustehenden Leistungen aus dem »Bildungs- und Teilhabepaket«, stellt der Sozialverband VdK Hessen-Thüringen fest. Im Schwalm-Eder-Kreis hatten den Angaben des Hessischen Landkreistages zufolge bis Ende September 2011 nur ein Prozent der Berechtigten Lernförderung erhalten. Der Landkreis Marburg-Biedenkopf erreichte demnach mit fünf Prozent den Höchstwert.

9. Februar: »Erst war ich zu teuer. Dann zu alt. Dann überqualifiziert. Und jetzt bin ich zu lange raus«, stellt der »Hartz IV«-Bezieher Georg B. aus Dortmund resigniert fest. Er ist 54 Jahre alt, hat zwei abgeschlossene Ausbildungen, ist seit 2001 arbeitslos. Die knapp 1.000 Bewerbungen und dazugehörigen Absagen füllen vier Aktenordner, schreibt Der Westen online. Aber aufgeben will und kann er nicht. Er habe auf dem Arbeitsamt drei Fallmanager und sieben Sachbearbeiter überlebt, zitiert ihn die Zeitung. »Im Amt ist man nur eine Nummer. Ich habe dem Sachbearbeiter gesagt, daß ich gern mal mit ihm tauschen würde. Nur damit er mal das Gefühl kennenlernt ...« Das Gefühl, zweiter oder dritter Klasse zu sein.

– Gegen den Trend auf Landes- und Bundesebene steigt in Leverkusen die Zahl der Langzeitarbeitslosen, berichtete der Kölner Stadtanzeiger. Wie Sozialdezernent Frank Stein bei seiner Jahresbilanz für 2011 berichtete, sind in Leverkusen derzeit rund 8.000 »Hartz IV«-Bedarfsgemeinschaften registriert. Das entspreche rund 16.000 Erwachsenen. Das für 2011 gesetzte Ziel, mehr Kunden des Jobcenters in eine Beschäftigung zu integrieren, konnte nicht erreicht werden. »Mit den momentan vorhandenen Instrumenten ist eine Reduzierung der Zahl der Langzeitarbeitslosen nicht zu realisieren«, so Stein.

10. Februar: 5.487 Kinder im Kreis Heinsberg (jedes sechste Kind) sind laut einer Studie von Armut betroffen, berichtet die Rheinische Post. »Das ist eine extrem große Zahl, die man auf der Straße nicht wahrnimmt«, sagte Wolf Krämer-Mandeau von der Projektgruppe Bildung und Region Bonn laut Zeitung bei der Präsentation des Armutsberichts. Krämer-Mandeau wies die Behauptung zurück, daß Kinderarmut rückläufig sei. Zwar gebe es – in absoluten Zahlen ausgedrückt – tatsächlich weniger arme Kinder als früher. Allerdings sank zugleich auch die Anzahl der Kinder insgesamt deutlich, so daß sich prozentual nichts verändert habe.