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Titel042013

Es lebe die Pressemeldung  (Ralph Dobrawa)

Auf die Bild-Zeitung ist immer wieder Verlaß, vor allem wenn es um die »Enthüllung« von Ereignissen in der DDR geht. Die zurückliegenden Jahre haben gezeigt, daß auch geringe Anlässe zu Schlagzeilen führten, die im krassen Widerspruch zum Inhalt der Darstellung standen. So auch vor einigen Wochen, als die Überschrift lautete »So vertuschte die DDR einen Mädchen-Mord«. Im Untertitel legte man nach: »1965 brachte ein Leichenschänder die Schülerin Roswitha (11) in Görlitz um. Die Staatsorgane haben den Fall totgeschwiegen.« Der besorgte Leser fragt sich, was hier geschehen sein mag. In dem Artikel erfährt man dann, daß »ein Mann, der Sex mit Leichen pflegte, 1965 in Görlitz ein 11jähriges Mädchen« erwürgte. Die Schülerin war durch die Eltern als vermißt gemeldet worden, als sie nicht nach Hause kam. »Zwei Wochen später entdeckten Ermittler mit Hilfe von Spürhunden ihre Leiche.« Der Täter war ein Nekrophiler. Vorgänge dieser Art hat es gegeben, sowohl heute als auch in der DDR. Das ist ernsthaft nie bestritten worden. Der Fall ist in einem jetzt erschienenen Buch von Eveline Schulze dargestellt. Dort heißt es im Ergebnis: »Das Bezirksgericht Dresden sprach ihn (den Täter; R. D.) am 11. Juli 1966 wegen Unzurechnungsfähigkeit frei, wies ihn in die Heilanstalt Weitzschen ein.« Dort hat man ihn 1991 entlassen, im Folgejahr verstarb er. Auch das erfährt man in dem Bild-Artikel. Damit endet jedoch die Darstellung.

Der Leser fragt sich, weshalb hier etwas vertuscht worden sein soll. Auch heute wird ein nicht schuldfähiger Angeklagter, dem aber die vorgeworfene Tat nachgewiesen werden kann, nicht zu einer Strafe verurteilt, sondern in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen.

Als ich vor vielen Jahren den Geschäftsführer der Nachfolgefirma einer früheren landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft wegen des Vorwurfs des Betruges verteidigte, lautete auch hier die Überschrift der Bild: »Der Öko-Doktor von der SED«. Die Tathandlungen waren alle in den 1990er Jahren begangen worden und hatten mit der SED nicht das Geringste zu tun. Aus der Biographie des Angeklagten ergab sich lediglich, daß dieser in den 1970er Jahren kurzzeitig in einer Einrichtung gearbeitet hatte, die dem Zentralkomitee der SED unterstellt war. Auf diese Weise wurde für den Leser der Eindruck erweckt, die SED sei für die Begehung von strafrechtlich relevanten Handlungen durch Personen nach 1990 verantwortlich.

Momentan sucht man im Thüringer Landeskriminalamt per Video nach einem Dieb im eigenen Haus, bisher vergeblich. Gestohlen wurden nicht etwa Computer oder brisante Daten. Nein, es handelt sich um mehrere Rollen Toilettenpapier. Der regionalen Presse war dies schon einige größere Artikel wert. Das ist letztlich der Unterschied: In der DDR hat man über den Mord an der Schülerin Roswitha in der Presse nicht lang und breit berichtet, aber dennoch den Täter ermittelt und vor Gericht gestellt. In der Bundesrepublik berichtet man ausgiebig über den Toilettenpapierdiebstahl und die Jagd nach dem Täter mit technischer Ausrüstung. Sage da keiner, man interessiere sich nicht für jede Sch ...