Ansehen wollte ich mir die neueröffnete Buddhismus-Ausstellung. Angetroffen habe ich auf dem Weg dorthin Müll. Und das im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, das sonst nur schöne Dinge zeigt. Was da den Gang ausfüllt, uns entgegenquillt, dieser quietschbunte Berg: Plastikmüll. Eine Installation aus Schwemmgut von den Meeren der Welt, vor allem von Hawaii, auch aus Nord- und Ostsee. Die Ausstellung: »Endstation Meer«, ursprünglich ein Projekt des Museums für Gestaltung Zürich, stößt den Besucher hautnah auf das Problem. Im Spiegel sieht er sich selbst vor – oder hinter – dem Müllgebirge stehen: Flaschenkästen, Schutzhelme, PET-Flaschen, Schwämme, Abflußrohre, Plastiksessel, Tische, Koffer, Eimer, Leitern, Netze, manches abgebrochen, angefressen von Meeresbewohnern. Und unendlich viele Kleinteile, Tüten sowieso. Oben thront ein rosa Tretboot – aus Hawaii? Rechts und links die Ausstellungsstücke, auf hölzernen Seekisten präsentiert. Alles, was an Kunststoffen heute zum Alltag gehört, was wir kaum noch als Plastik wahrnehmen. Dazu Informationen, auch Videos. Viel Spielzeug und das Design der »mobilen Eßkultur«. Eine Umhüllung mit der Aufschrift: »Was für ein Bauchgefühl – McChicken«. Und alles, was zu einer Plastik-Party gehört. Dagegen die Alternative, sehr schöne Teller und Becher aus Palmblatt- oder Zuckerrohrfasern, cremeweiß, in unregelmäßiger Form, von japanischen Designern. Zum Wegwerfen zu schade.
Eine Schulklasse kommt, nicht besonders laut – aufmerksam. Jasmin findet es »cool« – die Riesenwände von aufgetürmten Abfallstoffen im Recyclinghof – auf dem Video. Immer wieder Hinweise, wie Dinge wiederverwendet werden können.
Links vom Müllberg: »Plastik im Meer«. Auf dem Bildschirm erschreckende Bilder von Küsten, plastikverseucht. Strömungssysteme in den Meeren führen zu Wirbeln und lassen den Müll oft über Jahrzehnte hinweg rotieren und langsam zerfallen. Die Zonen der Stille innerhalb der Wirbel werden »Garbage Patches« genannt. Dort konzentrieren sich die Plastikteile. Meeresströmungen führen den Plastikabfall immer wieder zu den Stränden Hawaiis, auch Plastik von Japans Küsten, Tsunami-Müll. Einiges sinkt auf den Meeresboden, anderes wird von den Vögeln oder Meerestieren gefressen. Sie sind verdammt zu verhungern, obwohl ihr Magen gefüllt ist – mit Plastik. So hat beinahe jeder Eissturmvogel in der Nordsee Müllteile im Magen. Und Meeresschildkröten scheinen Plastiktüten zu lieben. In Frankreich, Indien und – ausgerechnet – in China sind Plastiktüten verboten, mit Ausnahmen.
Eine Video-Animation von Gaia Codoni verfolgt den Weg einer Plastikflasche, die ins Meer gelangt, dort von Fischen angenagt wird, die von größeren Fischen gefressen werden und auf dem Teller des Menschen landen, der sie ißt samt Plastikteilchen. Etwas plakativ, aber wahr. Bei der Installation »The Mermaid´s Tears« (Die Tränen der Meerjungfrau) fällt der Blick auf einen Tisch mit Sand, Großaufnahmen von Sand. Sand? Dort sind auch »Nurdles« zu sehen, etwas, das wie winzige Perlen aussieht, kaum größer als Sandkörner: Mikroplastikkügelchen. Ich kenne sie, habe vor drei Jahrzehnten an einem Strand der Seychellen diese Plastik-»Tränen« gesammelt, ohne zu wissen, was das ist. Nun erfahre ich ihr Geheimnis, abgeschliffene Plastikteilchen, die Tiere verwechseln mit Nahrung. Auch jene Tiere, die wir essen: Fisch ist so gesund.
Eine Bildergeschichte an der Wand, »Polymeer« von Alexandra Klobouk, führt ins Jahr 2043. Die Pole sind abgeschmolzen, und alles ist überflutet. Nur die Schweizer Berge ragen noch aus der Flut. Es wird ein siebter Kontinent geschaffen aus Plastikmüll, der überall umhertreibt. Dieses »Neuholland« wird urbar gemacht und besiedelt. Schon kommen Flüchtlinge aus der ganzen Welt mit Booten. Das Museum nennt es einen »düster-vergnüglichen Ausblick in die Zukunft«.
Der Buddhismus bleibt als Dauerausstellung, der Plastikmüll ist nur noch bis Ende März zu besichtigen, im Museum. Der Mensch- und Tierwelt wird er noch Jahrhunderte erhalten bleiben.