Versammlungen von NPD, Kameradschaften und »autonomen Nationalisten« machen Gegendemonstrationen notwendig. In Magdeburg instrumentalisieren rechte Gruppen das Gedenken an die Bombardierung der Stadt im Januar 1945 seit Jahren für ihre nationalistischen und rassistischen »Trauermärsche«. Der Oberbürgermeister und so manche Honoratioren der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts meinen, es reiche, in der Fußgängerzone eine »Meile der Demokratie« zu errichten und ansonsten die Stadt den Nationalisten zu überlassen. Den Bündnissen »Magdeburg nazifrei« und »block md« reicht das nicht, sie haben in diesem Jahr verstärkt und vernetzt zu Blockaden aufgerufen. In den letzten Jahren war solchen Protesten mit massiver polizeilicher Gewalt begegnet worden.
Kennzeichnend für den Umgang der Polizei mit den Protesten in Magdeburg ist, daß im Vorfeld nicht bekannt wird, wo der nationalistische »Trauermarsch« stattfindet. Dem Rechtsaußen-Bündnis scheint jeder Ort in der Stadt recht zu sein. Die Polizei ist nur darauf konzentriert, einen Versammlungsort zu finden, der frei von Gegendemonstrierenden gehalten werden kann. So findet alljährlich ein Katz- und Mausspiel statt.
Am Samstag, 18. Januar 2014, war die Stadt Magdeburg zunächst von den Gegendemonstrierenden geprägt: Ausgehend von der »Meile der Demokratie« waren diesmal auch »Meilensteine der Demokratie« und weitere Versammlungen über die Stadt verteilt angemeldet worden.
Die Nationalisten hatten ebenfalls acht Demonstrationen angemeldet – sie mobilisierten vorrangig für 12 Uhr zum Bahnhof Neustadt im Nordwesten. Dort, in der Nähe der von den Nazis zerstörten Synagoge und gegenüber dem Gemeindezentrum der jüdischen Gemeinde, hielten die Gegendemonstrierenden den Platz vor dem Bahnhof und die Ausgänge des Bahnhofs besetzt. Für Antisemiten und Rassisten sei kein Platz in Magdeburg.
Mittags hieß es dann, die Nationalisten strebten nun den Bahnhof Herrenkrug auf der anderen Elbseite im Nordosten an. Viele Gegendemonstrierende begaben sich in Richtung Elbbrücken. Einige gelangten kurzzeitig auf die Bahnbrücke, so daß ein Zug anhalten und der Zugverkehr unterbrochen werden mußte. Das betraf auch den Zug mit den circa 700 Nationalisten. Er blieb auf dem Gleis am Bahnhof Neustadt in Richtung Herrenkrug stehen, um dann wieder zurückzufahren. Eine kleine Gruppe von über 100 Nationalisten blieb beim Bahnhof Herrenkrug, während die Polizei sich mit der Regionalbahn auf die Suche nach einem neuen Versammlungsort für die Kameradschaften begab. Der SKET-Industrie-Bahnhof im Südwesten wurde zum Ziel auserkoren. Die Polizei konnte hoffen, daß die vielen Kilometer bis dorthin von den meisten Gegendemonstrierenden nicht so schnell zu überwinden seien. Der öffentliche Nahverkehr in der Stadt war eingestellt worden. Die Region um den SKET-Bahnhof wurde weiträumig abgesperrt. Mit vier Stunden Verspätung setzte sich der braune »Gedenkmarsch« in Bewegung.
Die Gegendemonstrierenden wurden samt Lautsprecherwagen weit entfernt polizeilich gestoppt. Von den im Süden angemeldeten und stattfindenden Versammlungen behauptete die Polizei, es gäbe sie nicht (mehr). Gruppen, die in dieses Areal vorgedrungen waren und von der Polizei den Gegendemonstrierenden zugerechnet wurden, drängte die Polizei heraus. Dennoch waren einige Demokraten auch bis in die Nähe dieses nationalistischen Marsches vorgedrungen. Mit ihrem friedvoll-protestierenden Verhalten, mit Pfeifen, Rufen und Megaphonen konnten sie den Aufmarsch immerhin symbolisch stören.
Versammlungsrecht für alle
Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ist unteilbar. Auch Bürger_innen, die unerträgliche und geschichtsverfälschende Meinungen vertreten, haben ein Recht, dies zu tun, solange sie eben nur eine Meinung vertreten und keine Gewalt gegen andere Menschen anwenden oder zu dieser anstiften. Die Gegendemonstrierenden haben aber nicht nur das Recht, in Magdeburg ihren Protest gegen die Antisemiten und Rassisten vorzubringen, sie haben auch das Recht, dies in Sicht- und Hörweite zu tun. In vielen Städten ist das inzwischen möglich. In Magdeburg aber ist das politisch nicht gewollt.
Zwar stand die Stadt zunächst den Demokraten für ihren Protest zur Verfügung, aber das Katz- und Mausspiel führte zur Zersplitterung des Protestes. Die Nationalisten waren vor allem auf eine Regionalbahn und den Hauptbahnhof als Umstiegsort verwiesen, aber letztlich wurde ihre Versammlung mit Lügen und polizeilichen Gewaltmitteln durchgesetzt.
Schon vormittags gab es in der Innenstadt Richtung Stadtfeld einen polizeilichen Angriff auf eine Spontandemonstration. Ohne polizeiliche Vorwarnung, ohne vorhergehende Aufforderung stürmte eine Berliner Hundertschaft in die Demonstration, teilte Faustschläge und Fußtritte aus, um ein Transparent zu beschlagnahmen, das kurze Zeit später zurückgegeben wurde. Einige Zeit später drangen Polizeieinheiten in diese Versammlung ein, um einzelne herauszuzerren, ihre Personalien festzustellen und die Betreffenden in Gewahrsam zu nehmen. Eine potentiell eskalierende und unverhältnismäßige Maßnahme.
Immer wieder wurden Bürger nicht zu angemeldeten Demonstrationspunkten durchgelassen oder wurde gar lügend behauptet, dort gäbe es keine Versammlungen. Auch die Demonstrationsbeobachter des Komitees für Grundrechte und Demokratie erhielten an einer polizeilichen Absperrung die falsche Auskunft, jenseits der Absperrung in Richtung Demonstrationszug der Nationalisten befänden sich keine Gegendemonstrierenden. Sie konnten sich schnell vom Gegenteil überzeugen.
36 Fest- oder Ingewahrsamnahmen machen deutlich, daß unverhältnismäßig gegen einzelne vorgegangen wurde. Die Sanitätszentrale meldete fünf Kopfverletzungen, die meisten davon Nasenbrüche und Platzwunden, außerdem Brüche an den Armen, alle verursacht durch Schläge mit Schlagstöcken und Polizeihandschuhen. Ein weiteres Zeichen für den Ausnahmezustand: Der Hauptbahnhof war fast den ganzen Tag weitgehend abgeriegelt. Lange Zeit ließ die Polizei Personen, die sie relativ willkürlich den Demonstrierenden zurechnete, nicht in den Bahnhof hinein.
Erschreckend bleibt die Meldung, daß es spätnachmittags und abends tätliche Angriffe von Nationalisten auf Antifaschisten in und um Magdeburg gab.
Protest in Sicht- und Hörweite muß auch in Magdeburg möglich werden. Ziel der Demokraten ist es vor allem, nationalistische Umzüge unattraktiv zu machen, was in Magdeburg wieder ein gutes Stück gelungen ist. Über Stunden in Bahn-zügen eingesperrt zu sein, nur »irgendwo« in der Stadt demonstrieren zu dürfen und dann nicht alle an diesen Ort gelangen zu können – das macht solche Aufzüge für die Nationalisten erfreulich unerfreulich.
Elke Steven arbeitet beim Komitee für Grundrechte und Demokratie und ist Mitherausgeberin des alljährlich erscheinenden »Grundrechte-Reports«