Bei der Wahl vom 25. Januar hat die griechische Bevölkerung Mut bewiesen: Trotz der prophezeiten Katastrophenszenarien und der plumpen Erpressungs- und Einschüchterungsversuche aus Berlin, haben die WählerInnen Syriza zur stärksten Partei gemacht; die Partei, die angetreten ist, das neoliberale Programm der sogenannten Troika abzuschaffen. Jahrelang haben vor allem die unteren und mittleren Einkommensschichten enorme Einschnitte hinnehmen müssen mit der Begründung, nur so könne sich das Land Zugang zu den Finanzmärkten verschaffen. Diverse Kredite und Hilfsprogramme waren zu gut 90 Prozent oder mehr dafür vorgesehen, die privaten Banken (griechische und ausländische) vor allzu heftigen Verlusten zu retten. Die Schulden wuchsen gleichwohl weiter, wie vorherzusehen war, vor allem im Vergleich zur drastisch reduzierten Wirtschaftsleistung. Weitere Ergebnisse der bereits im Ansatz verfehlten Politik: massive Arbeitslosigkeit, Zusammenbruch der medizinischen Versorgung, eine Armutsrate von mehr als 30 Prozent, steigende Auswanderung und höhere Selbstmordraten. Angesichts dieser für das Land höchst destruktiven Politik, die gleichwohl auch von den jeweiligen Regierungen mitgetragen wurde, blieb nur der Versuch, von »unten« her, eine gesellschaftspolitische Alternative anzubahnen. Tatsächlich scheint die Wahl der Linkspartei einen Neuanfang zu ermöglichen, zumal ihre Politiker nicht zur alteingesessenen Politikerkaste gehören, die es jahrzehntelang verstanden hat, Profite und Korruptionsgelder zu kassieren und selbst noch in Krisenzeiten ihre eigenen Interessen und die ihrer Klientel zu wahren.
Die negative Reaktion aus Berlin
Die Reaktion aus Berlin war freilich denkbar negativ, und sie wird es wohl auch bleiben. Hier ist man nicht gewillt, die Erfolglosigkeit der kapitalfreundlichen Politik einzusehen, statt dessen spricht man von einem »guten Weg«, eine zynische Formulierung. Die deutsche Verantwortung und die europäische Dimension werden geleugnet – es handle sich um ein »hausgemachtes« Problem. Die humanitäre Notlage wird schlichtweg ignoriert – »Reformen« seien nun einmal »schmerzhaft«. Der neuen griechischen Regierung, die auf das Destruktive der neoliberalen Politik und die Ausweglosigkeit der Lage hinweist, wird bedeutet, daß man »Verträge« einhalten und »Verantwortung« zeigen müsse; nur so würden einem die Märkte wieder Vertrauen schenken. In Wahrheit tritt Berlin brutal erpresserisch auf: Entweder ihr zahlt wie vereinbart, das heißt bedient eure Schulden, oder wir sperren euch den Geldhahn zu. Immer deutlicher wird: Bei dieser deutschen Position handelt es sich nicht, wie manch gutmütiger Kritiker vermutet hat, um Sturheit und Einfallslosigkeit, nein: Ganz bewußt nutzt die bundesdeutsche Regierung die Notlage Griechenlands aus, um dort eine »innere Abwertung« vorzunehmen und die Eigentumsverhältnisse im Sinne eigener Interessen neu zu ordnen, indem man etwa einfache Hausbesitzer exorbitant besteuert, um sie in den Ruin zu treiben und dann den Besitz billig zu versteigern. Dabei dürfte allen klar sein, daß Griechenland die angehäuften Schulden, die übrigens in ihrer Zusammensetzung zu analysieren wären, nicht zurückzahlen kann. Es ist auch klar, daß sich das Land ohne einen Kurswechsel nicht erholen kann. Warum setzt also Berlin den sinnlosen Kurs fort und übt auch noch Druck auf andere Nationen in seinem Schlepptau aus? Es bleibt nur das Motiv der eigenen Hegemonie um jeden Preis, die wirtschaftsnationalistische Vertretung der eigenen Interessen und das Gefügigmachen eines »Pleitestaats« an der Peripherie, den man bislang durch Exporte, Kredite und Waffenverkäufe ausgesaugt hat und in dem man nun eine weitgehende »Neuordnung« vornimmt, nicht zuletzt um andere »subalterne« Länder oder Gruppierungen unter Druck zu setzen.
Wann immer von »Reformen« die Rede ist, meint die Berliner Regierung damit lediglich Einschnitte, die das Land verarmen und die Wirtschaft ruinieren. Strukturreformen, wie Griechenland sie im Zuge einer nachholenden Modernisierung tatsächlich benötigt und wie sie die neue Regierung anpacken kann und will, etwa eine effiziente Steuergesetzgebung, die Eindämmung der Steuerflucht oder der Kampf gegen Korruption, werden von Berlin ausdrücklich nicht ins Auge gefaßt: Reiche sollen nicht adäquat besteuert werden, auch nicht in Griechenland. Vor allem die Korruption kann (und will) man in Berlin ausdrücklich nicht angehen, denn dann würde auch das Ausmaß der Korruption auf deutscher Seite sichtbar – man denke an die Vielzahl großer deutscher Firmen, die in Griechenland tätig waren und sind. Gleichzeitig käme man so einem wichtigen Faktor der griechischen Verschuldung auf die Spur.
Die Rolle der Presse
Besonders bedauerlich ist, daß Berlin bei seiner verlogenen, die wahren Zusammenhänge überspielenden Politik auf die fast uneingeschränkte Mitwirkung der bundesdeutschen Presse rechnen kann. Bezeichnend, daß Angela Merkels Erpressungsversuch vor der Wahl über den Spiegel vermittelt wurde, der dann gleich in altbekannter Manier tagelang über den irren Euro-Schreck oder »Geisterfahrer« Tsipras herzog. Andere Zeitungen und Zeitschriften verfahren ähnlich – längst ist es nicht mehr nur die Bild-Zeitung, die auf dem Niveau billiger Vorurteile, herablassender Bemitleidung oder aggressiver Schmähung operiert. Der Unterschied zu der Phase der unsäglichen Stereotypisierung gleich nach Ausbruch der Krise im Jahre 2010 besteht darin, daß man jetzt einen oder mehrere markante Politiker ins Visier nehmen kann, die die »Dreistigkeit« besitzen, die Schulden nicht zurückzahlen zu wollen, und obendrein noch viel mehr »von unseren Steuergeldern verprassen« wollen. Daß dies gar nicht zutrifft, wird nur gelegentlich angedeutet. Anstatt das Neuartige der Situation – die vielleicht einmalige Chance einer strukturellen Reform in Griechenland – zu analysieren, bleiben die Leitmedien bei den gängigen Klischees, liefern kaum sachliche Berichte und beten bereitwillig das deutsche Regierungsmantra nach. Tatsächlich hat sich eine fatale Allianz zwischen der sogenannten Mainstream-Presse und der Politik herausgebildet: Die Politik kann sich auf ständigen Flankenschutz der Presse verlassen und gleichzeitig auf die freundlich gesonnene Presse verweisen. Geradezu wilhelminische oder sagen wir: postdemokratische Zustände! Zugegeben, es gibt Ausnahmen: So erschien, mitten in der auch im Spiegel geführten Kampagne gegen Tsipras ebenfalls im Spiegel ein kritischer Artikel darüber, wie die Presse auf breiter Front eine »Allianz mit der Macht« bildet. Auffallend ist, daß bis auf ganz wenige Ausnahmen – ich denke an eine Reportage im ARD-Weltspiegel vom 25. Januar – die humanitäre Notlage in Griechenland nicht angesprochen oder gezeigt wird. Dies ist eine Selbstverständlichkeit etwa in den sonst oft geschmähten angelsächsischen Medien. Die Logik der deutschen Praxis liegt auf der Hand: Redet man nur allgemein über »die« Griechen, ist es leichter, sie zu verteufeln, ja leiden zu lassen und die wirklichen Gegebenheiten zu ignorieren, womit man der Regierung in die Hände spielt. Pflicht der Presse und der Medien sollte es dagegen sein, Fakten und Zusammenhänge so detailliert und kritisch wie möglich zu analysieren. Es geht in Griechenland um Millionen von Menschen, die es nicht verdient haben, daß ihr Land, ihre Rechte und ihre Arbeitsmöglichkeiten gering geschätzt, ja verachtet werden. Die jüngste Wahlentscheidung könnte deshalb ein Weckruf, ein Signal an alle sein, sich der wirklichen Situation in Griechenland (und Europa) bewußt zu werden. Es ist an der Zeit, der Berliner Regierung, die gern von »Verantwortung« schwadroniert, in Wahrheit aber andere Nationen unbeirrt ökonomisch unter Druck setzt und drangsaliert, Paroli zu bieten.