Der Satz, den der US-Präsident Barack Obama im Gespräch mit dem Journalisten und Moderator Fareed Zakaria am 1. Februar auf CNN äußerte, hätte eigentlich die Welt erschüttern müssen. Doch er erregte kaum Aufmerksamkeit. In seinen Bemerkungen zur Ukrainekrise bekannte Obama, daß der Regimewechsel in der Ukraine durch direkte Einmischung der USA (»we had brokered a deal to transition power in Ukraine«) zustande gebracht wurde.
Obwohl das jeder ahnte, war ein solch offenes Bekenntnis aus dem Munde Obamas nicht zu erwarten. Vielleicht war ihm dieser Satz einfach so entschlüpft. Oder aber er hat ihn im Bewußtsein der unangreifbaren Stärke seines Landes und voller Selbstbewußtsein gesagt. Vielleicht dachte er, soll jeder wissen, daß es für das wichtigste Land der Erde keinerlei Hemmschwelle gibt, wenn es gilt, die eigenen Interessen durchzusetzen.
Nun also hat der Yes-we-can-Hoffnungs- und Friedensnobelpreisträger ganz offen verkündet, daß es für die US-amerikanische Politik weder völkerrechtliche Bedenken noch andere Gründe gibt, imperiale Ziele nicht durchzusetzen. Immerhin war dieses We-had-brokered-a-deal-to-transition-power-in-Ukraine das Geständnis eines Eingriffs in die Souveränität und Integrität eines anderen Landes, mit verheerenden Folgen.
Ich frage mich, was sie tun werden, unsere Politiker, angesichts der doch verblüffenden Eröffnung aus »allerhöchstem« Munde. Werden sie den einstigen Hoffnungsträger zur Einhaltung völkerrechtlicher Normen drängen? Werden sie auf Distanz gehen zum großen Hegemon? Werden sie Sanktionen beschließen, wie sie es im Falle Rußlands getan haben, als der Westen die die US-Inszenierung störende Krim-Sezession als einen unzulässigen Eingriff in die Autonomie der Ukraine verurteilte? Und werden sie aufgrund des zugegebenen, von den USA initiierten Putsches die Zusammenarbeit mit den installierten Politiker-Marionetten der Ukraine beenden?
Das historische Bekenntnis hat in Politik und Medienöffentlichkeit kaum eine Reaktion ausgelöst. Völlig unbeeindruckt werden weiterhin die unterstellten imperialen Gelüste Rußlands und Putins gegeißelt, weitere Verschärfungen der Sanktionen und nun mit erhöhtem Nachdruck Waffenlieferungen an die Kiewer Putschregierung gefordert.
Waffenlieferungen allerdings gibt es schon länger. Längst schon haben mehrere NATO-Staaten nach Angaben des früheren ukrainischen Verteidigungsministers Walerij Geletej begonnen, die Regierungstruppen mit Waffen zu beliefern. »Der Prozeß der Übergabe läuft«, sagte er dem Fernsehsender Kanal 5, der dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko gehört (Spiegel online, 14.9.2014). Bereits vor einiger Zeit hatte der ukrainische Generalstab dem US-Vizepräsidenten Joe Biden eine Wunschliste für mögliches Kriegsgerät übergeben. Aber die von den USA gewünschte Verschärfung der Krise wird mit bedrückender Beharrlichkeit stets Rußland angelastet. Neben Maßnahmen zur Destabilisierung Rußlands wie Sanktionen, den Manipulationen der Finanzmärkte und des Ölpreises, gab es aber auch relativ zeitig Bemühungen von europäischer Seite, die Situation zu befrieden. Mit der Kiewer-Vereinbarung vom 21. Februar 2014 gelang es, den damaligen Präsidenten der Ukraine Wiktor Janukowitsch und auf Seiten der Opposition Vitali Klitschko von der Partei UDAR, Oleh Tjahnybok von der Partei Allukrainische Vereinigung »Swoboda« sowie Arsenij Jazenjuk von der Partei Allukrainische Vereinigung »Vaterland« zu veranlassen, einen Vertrag zu unterzeichnen, der eine friedliche Lösung der Krise ermöglichen sollte. Der polnische Außenministers Radosław Sikorski, der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Eric Fournier, Direktor im Außenministerium Frankreichs, unterzeichneten als Zeugen.
Mit der markanten Bemerkung »Fuck the EU!« wischte die im US-Außenministerium für Europa und Eurasien-Angelegenheiten zuständige Abteilungsleiterin, Victoria Nuland im Auftrag der Mächtigen in Washington diese Bemühungen vom Tisch. Damit war der Vertrag nur noch Makulatur. So wurde »Jaz« Regierungschef in der von den USA initiierten Putschregierung und nicht »Klitsch«, der die Unterstützung der Westeuropäer hatte.
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»Moscow Bullshit«
nannte Victoria Nuland (im US-Außenministerium zuständig für Europa und Eurasien) die Bemühungen der deutschen Kanzlerin und ihres Außenministers, die Kämpfe in der Ukraine »einzufrieren«. Die geopolitischen Interessen der USA und etlicher EU-Länder (vor allem der Bundesrepublik und Frankreichs) im Osteuropakonflikt stimmen nicht überein. Die Machteliten in den USA stört es keineswegs, wenn der Krieg in der Ukraine eskaliert und Rußland in ihn direkt einbezogen wird – sie wünschen sich ja, daß die russische Staatlichkeit zerfällt. Die dabei entstehenden sozialen und wirtschaftlichen Zerstörungen und die Opfer der »militärischen Option« sind ihnen gleichgültig. Die Bundesrepublik hingegen gerät mit dieser Entwicklung auf die ökonomische Verliererseite. Angela Merkel hat realistischerweise die Sorge, irgendwann demnächst könnte ein solches Desaster auch den Bürgerinnen und Bürgern hierzulande zu Bewußtsein kommen. Und sie weiß nun, auch wenn sie das nicht offen ausspricht: Auf der »Atlantikbrücke« regeln die USA den politischen Verkehr.
A. K.
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Auch das am 5. September 2014 unterzeichnete »Protokoll von Minsk«, dessen erster Absatz einen sofortigen Waffenstillstand vorsah, war das Papier nicht wert, auf das es geschrieben wurde. Die Schuld dafür wies die westliche Lesart einzig den Separatisten zu und selbstverständlich Putin, der sie stützte und stärkte. Doch nie ließ die Kiewer Führung einen Zweifel daran, daß sie trotz der getroffenen Friedensvereinbarungen ihren Militäreinsatz ungebremst fortsetzen würde. In den sogar in den Medien verlautbarten Großoffensiven versuchen nun die ukrainischen Truppen immer wieder, die Ostukraine unter Kontrolle zu bekommen. Allerdings sieht der Kiewer Militärsprecher Andrej Lyssenko in diesen massiven Einsätzen »keinen Verstoß gegen das Minsker Abkommen« (Spiegel online, 18.1.2015). Und Kiew forciert die Rekrutierung Zehntausender und baut an der Grenze zu Rußland gigantische Sperranlagen.
An der ausweglosen Situation ist auch der Internationale Währungsfonds (IWF) Schuld. Laut veröffentlichtem Strategiepapier fordert er von Kiew, die aufbegehrenden Regionen im Osten und Süden des Landes wieder unter politische und militärische Kontrolle zu bekommen – zur Sicherung und zum Erhalt der mit dem IWF vereinbarten Bailout-Tranchen in Höhe von 17 Milliarden US-Dollar. »Andernfalls dürfte diese Bailout-Zusage im Angesicht einer immer stärker abstürzenden Hrywna sowie einer explodierenden Auslandsverschuldung, die zuletzt die Marke von 140 Milliarden US-Dollar erreichte, auf der Kippe stehen.« Das meldete heise online am 26. August 2014 unter Berufung auf das Council on Foreign Relations, einen privaten nordamerikanischen Thinktank.
Im Moment sind die Truppen der Kiewer Machthaber aber nicht sehr erfolgreich. Zwar will man die Soldaten mit Bonuszahlungen zum Kampf gegen die Separatisten motivieren, jedoch laufen sie massenweise davon. Präsident Poroschenko hat deshalb angewiesen, die Ausreisebedingungen für wehrfähige Männer zu verschärfen, und Premier Jazenjuk fordert dringend vom Westen mehr Waffen. Auch deutsche Journalisten plädieren für weitere Aufrüstung. Die USA müssen handeln, verlangt Marcus Pindur am 4. Februar auf deutschlandfunk.de. Sie müßten die Führung übernehmen und auch andere NATO-Länder von diesem Kurs überzeugen. Genau das ist das Anliegen der Scharfmacher in Washington, in vorderster Linie John McCain, Joe Biden, hohe US-Generäle und selbstverständlich der NATO-Oberkommandierende Philip M. Breedlove, der auf der diesjährigen Münchner »Sicherheitskonferenz« gerade erklärte, die Möglichkeit einer militärischen Option nicht auszuschließen. Die Vorschläge des russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Beendigung des Konflikts in der Ostukraine lehnt er als »vollkommen inakzeptabel« ab.
Noch aber meint Obama vorgaukeln zu können, daß er eine friedliche Lösung des Ukrainekonfliktes verfolge. Wäre er daran interessiert, hätte es von Anfang an ganz andere Möglichkeiten gegeben. Der von ihm gewählte »deal to transition power in Ukraine« sagt etwas völlig anderes. Und wenn nun eintritt, was von den offenen, jetzt immer konkreter und dringender werdenden Kriegsforderungen wichtiger US-Politiker und Militärs zu erwarten ist, dann gnade uns Gott!
Das gesamte Obama-Interview in englischer Sprache kann nachgelesen werden unter: http://cnnpressroom.blogs.cnn.com/2015/02/01/pres-obama-on-fareed-zakaria-gps-cnn-exclusive