Diese Lyrik: »Eine von Vögeln umringte Frau betrachtet den Sternenaufgang«. Es ist der Titel eines Bildes von Joan Miró – jetzt im Bucerius Kunst Forum: »Miró. Malerei als Poesie« (in Hamburg bis zum 25. Mai, danach vom 13. Juni bis 27. September in Düsseldorf). Die Aquarell-Gouache entstand am 26. August 1942. Da war der Maler aus Paris, wo der Vormarsch der deutschen Truppen ihn vertrieben hatte, wieder nach Spanien zurückgekehrt, 1942 nach Barcelona, in sein Geburtshaus. Nicht die Realität, die Gefühle will er darstellen. Ein glühend rotes Gesicht schaut nur, mit vielen Augen, umschwirrt von Vögeln. Ein Stern erst ist aufgegangen.
Viele zarte, eher kleinformatige Aquarelle malte Miró während des Krieges. Ein besonderer Effekt: auf Leinen, das wie eine grobe Wand wirkt. Die schwarzen Strichmännchen und Sterne, wie von Kinderhand dorthin getuscht. Januar 1945, ein ähnliches Motiv, groß auf Leinwand: Nun ist der Nachthimmel weiß und kalt, ein einsamer Stern. Ein verschlungenes Wesen schwebt bedrohlich wie eine schwarze Axt über der Frau. »Ich mache keinen Unterschied zwischen Malerei und Dichtkunst« hatte Miró 1936 in einem Interview verraten. Zu seinem Bekanntenkreis gehörten viele Lyriker, Dadaisten, Surrealisten. So entstanden die wunderbaren Künstlerbücher – viele ausgestellt in Hamburg – in Zusammenarbeit mit Paul Éluard, Tristan Tzara, Michel Leiris, Pablo Neruda. Mit André Breton entwickelte Miró die »Konstellationen«, Aquatinta-Radierungen, zu denen Breton erst die lyrischen Texte schuf, nach den Bildern. Diese Künstlerbücher – immer wieder völlig anders. Zu René Chars Texten entwarf Miró eine Kunst-Schrift, sie kann – soll – nicht verstanden, mit dem Verstand erfaßt werden. Ein Kapitel im Katalog (224 Seiten, 28 Euro) behandelt Mirós persönliche Bibliothek, vorgestellt von seinem Enkel.
Sozialkritisch? Wenn Miró ein altes Ölbild aus dem 19. Jahrhundert, eine pittoreske Landschaft, mit dicken schwarzen Linien übermalt, ein Gesicht mit rot, schwarz und gelb, eine grüne Mondsichel darüber? Eine »sozialkritische Botschaft«, wie es im Kapitel »Poesie und Protest« heißt. »Schockierend, nicht naiv, sondern politisch« wollte Mirós Kunst sein. Nun, 1965 ist das nicht revolutionär neu. Aber, so sieht es die Autorin Laetitia Rimpau: »Ist es die Fratze General Francos, die aus dem Bild herausschaut?« Vielleicht hat sie Recht. Erst die Anmerkung verrät es: »Im Februar 1965 hatte in Madrid ein Schweigemarsch von Studenten für demokratische Wahlen des Studentensyndikats stattgefunden. Im März lenkte General Franco ein.« So etwas hatte es in der Geschichte des Franco-Regimes bis dahin noch nicht gegeben.
Die in den 1960/70er Jahren entstandenen Bilder sind wild mit viel Schwarz, selbst was er »Poem« nennt, ist Aufruhr. Zwei sind datiert auf den 4. November 1966: ein schwarzes Rieseninsekt, das wohl am Hals getroffen wurde, da klafft es rot. Dünne schwarze Rinnsale laufen aus ihm heraus. Die Auflösung im Katalog, Miró engagierte sich für Regimegegner. »Als die Polizei 1966 die Gründungsveranstaltung der Demokratischen Studentenunion der Universität von Barcelona stürmte und die Teilnehmer vor Gericht gestellt wurden, spendeten zahlreiche Künstler Werke zur Begleichung der verhängten Geldstrafen.« Neben Miró stifteten Picasso, Alexander Calder, Max Ernst und andere. Sartre und de Beauvoir steuerten Manuskripte bei. Auch an einem zweitägigen Sit-In nahm Miró teil. Für Amnesty und für die Unesco gestaltete er Plakate für Menschenrechte (in verschiedenen Sprachen). Und ein Plakat zum 1. Mai 1968 – ein Aufruf in katalanischer Sprache (die damals in der Öffentlichkeit verboten war) zur Teilnahme an der Feier in Barcelona. Es wurde in 15.000 Exemplaren plakatiert und verteilt. Viele Plakataufrufe Mirós waren zur Unterstützung der katalanischen Kultur in der verbotenen Sprache abgefaßt – nicht in einer unverständlichen Phantasie-Schrift. In der Ausstellung ist leider kein einziges Exemplar zu sehen.
Irritierend der Titel des Bildes vom 17. Mai 1968: »Stille«. Ausgerechnet zum Mai 68? Das Bild (173 x 242 cm) drückt das Gegenteil aus: ein fast die gesamte Fläche bedeckendes ausuferndes Rot, wie Flammen, mit dicken schwarzen Tropfen und Buchstaben durchsetzt. Am Rand ein paar Sterne, Hoffnungssymbole? 1979 sagte Miró zur Verleihung der Ehrendoktorwürde: »Ich verstehe den Künstler als jemanden, der inmitten des Schweigens der anderen seine Stimme gebraucht.« Er ließ sich vom Franco-Regime nicht vereinnahmen. 1966 lehnte Miró seine Wahl in die Königliche Akademie der Schönen Künste ab – solange nicht Picasso Mitglied geworden sei. Das aber war unmöglich: Picasso, der Kommunist. Mit seinem Künstlerbuch zu Alfred Jarrys »König Ubu« (1966) schuf Miró eine Parodie auf Franco in schreiend bunten Farben. Und 1971 als Fortsetzung »Ubu auf den Balearen«.
Ein Rückblick auf den spanischen Bürgerkrieg. 1937 erhält Miró den Auftrag, für den spanischen Pavillon bei der Weltausstellung in Paris ein Wandgemälde zu erstellen. Picassos Gemälde zu »Guernica« wird weltberühmt – Mirós Bild »Der Schnitter« verschwindet nach der Ausstellung auf ungeklärte Weise. Miró entwirft danach ein kleines Plakat, das einen »katalanischen Bauern in Aufruhr« zeigt. Das 1937 in Paris entstandene Plakat mit dem Aufruf: »Helft Spanien« wurde für einen Franc verkauft. Mit dem Erlös sollte die republikanische Regierung im Kampf gegen das Franco-Regime unterstützt werden. Der Bauer, mit zornig geöffnetem Mund, hebt seine riesige Rechte gegen den Himmel, eine Faust wie ein Hammer. Doch Hammer und Faust gehören wohl nicht in eine Ausstellung, die sich »Malerei als Poesie« nennt. In Hamburg gibt es das Plakat leider nicht. Ein Dichter, der alte Majakowski, wußte dagegen: »Kunst ist ein Hammer, mit dem man die Welt trifft – und nicht ein Spiegel, der sie reflektiert.«