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Titel415

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Margot Käßmann, Ex-Landesbischöfin in Hannover. – Als »Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017« haben Sie verkündet: »Die Glaubens- und Meinungsfreiheit in Europa entspringt dem Freiheitsgedanken der Reformation.« Diese Auffassung hat sich zwar in den Köpfen vieler geschichtsvergessener Menschen festgesetzt, die reale Geschichte lehrt allerdings etwas anderes: Schon lange vor Luther gab es nämlich etliche Bewegungen, die für Glaubens- und Gewissensfreiheit eintraten, so zum Beispiel die des tschechischen Predigers Johannes Hus, der dafür vor genau 600 Jahren während des Konzils in Konstanz verbrannt wurde. Bei Luther hingegen blieb von seiner anfänglichen Lehre »Von der Freiheit eines Christenmenschen« später nichts übrig. Gegen die aufständischen Bauern, die eine andere Auffassung von Gerechtigkeit als ihre Unterdrücker hatten, forderte er von den Landesherren: »Darum, liebe Herren, ... steche, schlage, würge hier, ... bleibst du darüber tot, wohl dir, einen besseren Tod kannst du nimmermehr erhalten.« Gegen die friedensliebenden »Täufer« schleuderte er Verfluchungsworte. Zu den »Weibern« heißt es in Luthers zahllosen frauenfeindlichen Bemerkungen, es »mangelt ihnen an Stärke und Kräften des Leibes und am Verstande.« Gegen die Juden verfaßte er zahlreiche Kampfschriften, zu denen der Philosoph Karl Jaspers 1962 zu Recht feststellte: »Luthers Ratschläge gegen die Juden hat Hitler genau ausgeführt.« Durch Luther und seine Reformation wurde als unverbrüchlicher Wert der Gehorsam gegen die Obrigkeit festgelegt – mit verheerenden Folgen. Es gibt bis 2017 noch viel zu tun, Luthers Ruf als Begründer des Freiheitsgedankens zu »entmythologisieren«, besser: zu entlarven.


Ralf Stegner, zweizüngig. – Bei der SPD haben Sie ein festes Engagement für die Rolle als Sprecher der »Parteilinken«. Da lag es nahe, daß Ihr Name auch unter den Unterzeichnern einer Erklärung der »Initiative Europa neu begründen« zu finden war, in Gemeinsamkeit mit Wissenschaftlern und Gewerkschaftsführern; gefordert wird darin, der neuen griechischen Regierung »eine wirtschaftliche und soziale Perspektive jenseits der gescheiterten Austeritätspolitik zu eröffnen«. Der »politische Erdrutsch« in Hellas, so heißt es dort weiter, sei »eine Chance nicht nur für das krisengeschüttelte Land, sondern auch dafür, die Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU grundsätzlich zu überdenken und zu korrigieren«. So weit, so wohltuend für die Syriza-Regierung. Wenige Tage nach dieser von Ihnen mitgetragenen Deklaration gaben Sie Zeit online ein Interview; »Syriza beschädigt fortschrittliche Ideen und die Linke in Europa« stand da als Überschrift. Ihr Schlagargument: Tsipras habe sich mit »Antisemiten und Menschenfeinden« verbündet (gemeint war die Kleinpartei ANEL). Auf diese Weise, behaupten Sie, werde von links her der extremen Rechten im gesamten europäischen Terrain Auftrieb verschafft. Einen Seitenhieb versetzen Sie der hiesigen Linkspartei; ihr dürfe die deutsche Öffentlichkeit »nicht durchgehen lassen, daß sie ein Bündnis mit Antisemiten und Rechtspopulisten bejubelt«. Originell war Ihre Polemik nicht; dasselbe war zuvor überall in jenen deutschen Medien zu lesen und zu hören, die unbedingt möchten, daß es in Griechenland beim Troika-Diktat bleibt und die Tsipras der Brandstifterei beschuldigen. In Ihrer Rolle brauchen Sie zwei Zungen. Eine um den Eindruck zu erwecken, die SPD stünde auch im Blick nach Griechenland auf der Seite der sozial Bedrängten. Die andere um klarzustellen, daß selbst die SPD-»Linke« vom rechten Weg der europäischen Finanzherren nicht abweichen wird – und daß in sozialdemokratischen Augen jede Partei europaschädlich erscheint, die gegen Armut schaffende »Reformen« aufmuckt. Übrigens: Daß auch von Ihnen bei diesem propagandistischen Manöver der Antisemitismusvorwurf eingesetzt wird, finden wir schäbig.