In Zeiten wie diesen, da eine deutsche Verteidigungsministerin es für richtig hält, an Russlands Grenze militärische Stärke zu demonstrieren, braucht Deutschland einen Bundespräsidenten, der – anders als sie und Joachim Gauck – ein ungestörtes Verhältnis zu diesem Land hat und gegenüber den USA vor einem offenen Wort nicht zurückschreckt. Dass Frank-Walter Steinmeier als Außenminister den Mut hatte, Donald Trump als »Hassprediger« zu bezeichnen, dass er die NATO-Verbündeten, allen voran die USA, vor »Säbelrasseln und Kriegsgeheul« gegenüber Russland gewarnt hat, das unterscheidet ihn von anderen deutschen Politikern.
Wenn andere verlangten, den russischen Präsidenten Putin mit Sanktionen zu bestrafen, hat er zur Mäßigung aufgerufen. Wenn andere »die Russen« dafür verantwortlich machten, dass der syrische Präsident Assad noch an der Macht ist, hat Steinmeier darauf hingewiesen, dass eine Lösung nur mit und nicht gegen Russland zu erreichen sein wird. Das ist es wahrscheinlich, was Angela Merkel mit dem Außenminister verbindet. Deshalb war ihr Steinmeier als Bundespräsident lieber als einer aus den Reihen der CDU, obwohl sie damit das Risiko einging, Wähler an die Alternative für Deutschland oder an die Freien Demokraten zu verlieren, wobei Letztere neben den Grünen als mögliche Koalitionspartner für sie die letzte Rettung darstellen könnten.
Die Wahl Steinmeiers zum Bundespräsidenten ist nicht das Vorspiel zu einem Regierungswechsel, auch wenn manche angesichts gestiegener Umfragewerte für den neuen Mann an der Spitze der SPD diese Illusion hegen. Als 1969 der Sozialdemokrat Gustav Heinemann Staatsoberhaupt wurde, konnte er zu Recht von einem »Stück Machtwechsel« sprechen. Nach Jahren des Kalten Krieges bahnte sich eine Zeitenwende an. Noch im selben Jahr zog mit Willy Brandt erstmals ein Sozialdemokrat in das Bundeskanzleramt ein, der mit seiner neuen Ostpolitik Weltgeschichte schrieb. Von Martin Schulz ist Ähnliches nicht zu erwarten. Von den bisher elf Bundespräsidenten gehörten sechs der CDU an und zwei der FDP. Frank-Walter Steinmeier ist der dritte Sozialdemokrat an der Spitze des Staates. Joachim Gauck war der einzige parteilose, aber der am meisten parteiische aller Bundespräsidenten.
Seine sozialen Wurzeln hat Frank-Walter Steinmeier im Arbeitermilieu. Der Vater war Tischler, seine Mutter Forstarbeiterin. Dass er seiner Frau eine Niere spendete und damit ihr Leben rettete, zeugt von menschlicher Größe. Aber er hob auch zusammen mit seinem Parteifreund Gerhard Schröder die Agenda 2010 mit ihren sozialen Nachteilen für Millionen Menschen aus der Taufe. Das ist die Kehrseite. Willy Brandt hat sich mit seiner Entspannungspolitik einen Namen gemacht, aber er hat auch den Radikalenerlass zu verantworten, der eine ganze Generation politisch unter Generalverdacht stellte. Der erste Bundespräsident, Theodor Heuss, hat sich vehement dagegen gewandt, die von den Nazis begangenen Verbrechen mit der Schuld anderer zu verrechnen, aber 1933 hatte er dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt, das Adolf Hitler uneingeschränkte Vollmachten übertrug.
Anders als viele andere hat Frank-Walter Steinmeier dem Republikaner Donald Trump nicht zum Sieg im Präsidentschaftswahlkampf gratuliert. Das Ergebnis sei anders, »als die meisten in Deutschland sich das gewünscht haben«, sagte er. Für einen Außenminister ein gewaltiges, ein außerordentlich mutiges Wort. Dasselbe gilt für seine Äußerung: »Wer glaubt, mit symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze des Bündnisses mehr Sicherheit zu schaffen, der irrt. Wir sind gut beraten, keine Vorwände für eine neue, alte Konfrontation frei Haus zu liefern.« Für den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), war das ein »ungeheuerlicher Vorwurf«. Wer aus dieser Ecke so angegriffen wird, ist unter den gegebenen Umständen als Bundespräsident der rechte Mann am rechten Ort.