Es gibt kleinteilige Sprachlandschaften, aus denen kommt große Literatur. In zwei deutschsprachigen Exklaven in Rumänien, dem Banat und Siebenbürgen, entwickelte sich im 20. Jahrhundert Weltliteratur: Ein Oskar Pastior gehört zu den bedeutenden Sprach-Experimentatoren und Laut-Poeten Europas. Franz Hodjak, Horst Samson, Werner Söllner, William Totok, Richard Wagner, Ernest Wichner wurden mit Preisen geehrt. Selbst der Nobelpreis ging an Herta Müller, verbunden mit jener »Gruppe Banat«, die nur zum Teil im Banat wurzelt. Allesamt holten sie sich erste literarische Meriten in Rumänien; der Exodus nach Deutschland aber war schon vor dem Fall Ceaușescus nicht mehr aufzuhalten.
Umso erstaunlicher, dass auch heute und hierzulande das rumäniendeutsche Erbe nachwirkt. Zwei Bücher künden davon, mit Autoren, Jahrgang 1964 und 1966, die ihre gesamte – deutsche – Bildung noch in oder bei Temeswar (Timișoara) – vom Kindergarten über das Lenau-Lyzeum, gar bis zur Universität erhielten. Darüber hinaus beherrschte man selbstverständlich Rumänisch, in hohem Maße Französisch und zum Teil Ungarisch.
Der Verlag, der sich dieses Phänomens annimmt, wird von einem in Ludwigsburg lebenden Rumänen geleitet: Traian Pop. Die Segnungen der Mehrsprachigkeit und die Bedrängungen in einem Willkür-Regime kann lesen, wer zu lesen versteht.
Edith Ottschofski, Jahrgang 1964, war in Rumänien Lehrerin und Übersetzerin, kam 1990 nach Deutschland, arbeitete als Dolmetscherin in einer Bundesbehörde, studierte erneut in Freiburg, war Radiojournalistin und arbeitet jetzt an der Humboldt-Universität. Ihre »Luftwurzeln« nennt sie »Roman«; eher ein großer Sprach-Exkurs auf den Spuren ihres Landsmannes Pastior. Vor allem aber eine genaue Beschreibung der Innen- und der Außensicht von Schizophrenie, die sie, ihrem Sprachspielverständnis »și Zoff Renaud Gen« oder »Schiff Zoff« oder »Paran oid« nennt.
Die Ich-Erzählerin Noe-Mi (auch ungespalten Noemi) erlebt in Rom den Überwachungswahn. In jedem Bewegungsmelder sieht sie eine Kamera, jede zufällige Bemerkung, Zeitungsschlagzeile, jede Speisefolge (es kommt viele Speisen in diesem Buch vor) und jede zufällige Zahlenfolge bezieht sie auf sich. Die Übersetzungen eigene Doppel-Sicht bekommt hier Funktion. Fast schon nervend ist eine gekoppelte Dreisprachigkeit: »Mahlzeit-poftă mare-bon appétit«. Was hingegen den Rezensenten durchaus jubeln lässt, ist die Vielzahl an Reimen und Zitaten, an Anspielungen, Verdrehungen und Reihungen einer Glossolalie, psychische Krankheitsbilder aufnehmend und persiflierend. Die Sprache führt Höhen und Tiefen vor, als Hörbuch gewiss reizvoll, der ungeduldige, auf Story und Report gierende Leser könnte das Buch auch in die Ecke pfeffern. Apropos: Umgangssprachliche und dialektale Wendungen gibt es zuhauf, vom Banatschwäbischen bis zum Sächsischen der Nichtsiebenbürger. Kleine Übersetzungen am Fuß jeder Seite erklären vor allem rumänische und französische Zitate. Die verwendeten, gelegentlich auch verwursteten Autoren aus dem Banat und der Welt reihen sich zum Schluss, nach Vor- und Nachnamen geordnet. So findet man denn heraus, dass es sich beim ständig zitierten Hans-Eckardt um Hans-Eckardt Wenzel handelt. Der Taugenichts des Eichendorff, selbstverständlich Heine, aber auch Harald Gerlach mit seinen »Windstimmen« grummeln fröhlich zwischen den Zeilen. Um ein Beispiel für wunderschön Unkorrektes zu geben: »Das Fidschiklein« singsäuselt und »der deutsche Fleiß splitzt ihm aus den Öhlchen, aus Nase und Mund, aus dem Schlund, Schlamm, Schludelwein, el ist allein in del Flemde.«
Zu allem Überfluss ist die Erzählerin auch noch doppelt liiert, verliebt, gelybbet, um ihren Duktus aufzunehmen; die Zweigleisigkeit wird zum Mehrspur-Verfahren, Liebhaber heran- und wieder abzuschaffen. Was kommentiert wird: »Tristesse, maladresse, bonjour, bonsoir, so traurig ist’s mir zumute. Zwei Liebchen und von beiden zuviel.«
Gewiss, manchmal ist es zu viel Sprachkünstelei, die Albernheit ist nicht immer ersprießlich, gereimte Rondos runden sich nicht. Doch wer wissen will, wozu eine europäische Sprachgesamtheit fähig ist, der schnuppere mal in dieses luftige und doch auch erdschwere Buch.
Marius Koity wurde 1966 in Großsanktnikolaus im Banat geboren. In seiner Biografie steht neben der deutschsprachigen Schulbildung in Temeșwar ein prägender Wehrdienst. Nach einem Fernstudium in Bukarest war er von 1988 bis 1992 Redakteur deutschsprachiger Zeitungen, errang in Rumänien erste Literaturpreise und kam 1992 nach Thüringen. Er lebt jetzt in Gera, wurde für Reportagen ausgezeichnet und ist Lokalchef einer Tageszeitung.
»Eine unvermeidliche Collage«, untertitelt »Gedichte, meine alten Tagebücher und andere Papiere« ist dennoch seine erste Buchveröffentlichung. Zwischen allerlei Gedrucktem Ende der 1980er in Rumänien und diesem durch Grafiken opulent ausgestattetem Band liegen Jahrzehnte. Man merkt den – alten und neuen – Texten durchaus den Einfluss der frühen Jahre an: Die ernsthaft schreibenden Rumäniendeutschen wollten seit den 70ern weg von der blümeligen Heimatliteratur, orientierten sich gleichermaßen an der damaligen bundesdeutschen wie der DDR-Moderne. Ein Gedicht wie dieses verkürzt und besticht gleichermaßen: »Irakkrieg. Tragik eines beliebigen Tages VII // Der Sieg ist unser / Lohn / und Angst«
Koity, aufgewachsen zwischen Floskeln einer Parteisprache und hohem Literaturanspruch, schreibt in einer »Tagebuchaufzeichnung vom 7. Dezember 1989«: »… Matsch ist die süße Frucht, / verlernt ist das Verlangen danach. / Hohnsamen wird ausgestreut …« Fügungen wie »brüllende Stille«, »großes Versteckspiel halbblind« oder »die glocke schreit« zeigen den VerDichter. Wer im Sozialismus, zumal in der rumänischen Variante, gelebt hat, achtet aufs Wort und kann schwer ohne Ironie leben. Koity nutzt dazu Texte wie »Der Dichter und sein Werk« oder »Die Freunde«, zeigt es in Versen: »Erinnerungen halten Kurs / wie Lastkähne« oder »Meine Wahrheit / deine Wahrheit / alles eingeklemmt / in Glaubenssuche / Begriffe werden / fahnenflüchtig«.
Wer kaum etwas von Rumänien weiß und jener erstaunlichen Literaturblüte aus dessen mehrsprachigen Räumen, lese den Anhang dieses Bändchens. Koity zitiert aus Tagebüchern, beschwört Begegnungen mit Securitate-Militärs herauf, schildert, wie Geheimdienste und Literatur zusammenprallen. Nein, er sieht sich nicht als Held, ihm geht völlig jene Selbstgerechtigkeit ab, mit der hiesige, oft beamtete Aufarbeiter eine Vergangenheit sich zurechtbasteln. Der Dichter beschreibt »An der Grenze« so: »Als der Himmel fortflog / blieben die Vögel allein / Mit den Wachtürmen. / Woran festhalten?«
Marius Koity: »Eine unvermeidliche Collage«, Gedichte, mit Bildern von Dietrich Beck, 88 Seiten, 15,50 €; Edith Ottschofski: »Luftwurzeln«, Roman, 276 Seiten 16,90 €; beide Pop Verlag