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Titel418

Bis es quietscht – aber bei wem?  (Marcus Schwarzbach)

Der Koalitionsvertrag von SPD und Union umfasst knapp 177 Seiten. Ein paar Stichpunkte sollen zeigen, wie das Verhandlungsergebnis vielleicht fernab der Verhandlungssäle der Parteizentralen gesehen wird. Etwa aus Sicht eines abhängig Beschäftigten – heute wird das vielleicht als »linkspopulistisch« bezeichnet –, aber Ziel der SPD war in ihrer Gründungsphase einmal, die Lage der Arbeitenden zu verbessern.

 

Die neue Regierung will »einen Rahmen schaffen, in dem Unternehmen, Beschäftigte und die Tarifpartner den vielfältigen Wünschen und Anforderungen in der Arbeitszeitgestaltung gerecht werden können«. Beruf und Familie sollen vereinbar sein. »Wir werden dazu Modelle entwickeln, mit denen mehr Spielraum für Familienzeit geschaffen werden kann.« Das klingt wie ein offener Prozess, bei dem alle das Gute wollen. Von unterschiedlichen Interessen im Betrieb keine Rede. Bereits heute dringt die Arbeit immer mehr in die Freizeit ein. Dem DGB zufolge müssen 27 Prozent der Beschäftigten bereits jetzt häufig oder sehr häufig nach Dienstschluss erreichbar sein. Knapp ein Viertel der Beschäftigten arbeitet »ständig oder regelmäßig« am Wochenende, knapp 14 Prozent an Sonn- und Feiertagen, knapp jeder Vierte abends und knapp neun Prozent nachts. Schichtarbeit gehört für 15,6 Prozent zum Alltag.

 

Diese Entwicklung ist keine Folge eines fehlenden »Rahmens« oder fehlender Modelle, sondern wird von Unternehmen so durchgesetzt. Das zuständige SPD-geführte Arbeitsministerium hat hier in keiner Weise gegengesteuert.

 

Ein Satz zeigt den Zynismus der angehenden Regierungskoalition auf: »Arbeit auf Abruf nimmt zu. Wir wollen jedoch sicherstellen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausreichend Planungs- und Einkommenssicherheit in dieser Arbeitsform haben.« Diese auch KAPOVAZ, kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit, genannte Vertragsgestaltung ist zum Beispiel im Einzelhandel weit verbreitet. Dabei wird vom Unternehmen der Umfang der zu leistenden Arbeitszeit im Einzelfall festgelegt. Der Beschäftigte weiß also erst kurzfristig, wann er zu arbeiten hat. Oft schwankt das Einkommen je nach Umfang der geleisteten Stunden.

 

Wie sollen die Beschäftigten »Planungssicherheit« erhalten bei der Logik der Arbeit auf Abruf? Der Anteil »abzurufender und zu vergütender Zusatzarbeit« soll die vereinbarte Mindestarbeitszeit »um höchsten 20 Prozent unterschreiten und 25 Prozent überschreiten«, so die Koalitionäre in spe.

 

Eine gesetzliche Regelung dazu gibt es aber bereits. Denn das Teilzeit- und Befristungsgesetz lässt diese Form der Verlagerung des unternehmerischen Risikos auf die Belegschaften zu – und sagt gleichzeitig im § 12 Abs. 2: »Der Arbeitnehmer ist nur zur Arbeitsleistung verpflichtet, wenn der Arbeitgeber ihm die Lage seiner Arbeitszeit jeweils mindestens vier Tage im Voraus mitteilt.«

 

Die Praxis zeigt aber, dass die Arbeitenden häufig von Unternehmern unter Druck gesetzt werden, auch kurzfristiger zu arbeiten, etwa nach Anruf frühmorgens, ab 10 Uhr bereitzustehen. Viele sagen dies auch zu, da andernfalls der Lohn geringer ausfällt, wenn diese Stunden fehlen. Ein Gespräch mit Betriebsräten aus betroffenen Betrieben hätte deutlich gemacht: Diese Arbeitsform kann nicht im Sinne der Beschäftigten reguliert werden, vielmehr ist sie ein ideales Herrschaftsinstrument für Unternehmen. Nur ein Verbot sichert Belegschaftsinteressen.

 

Die neue Hoffnungsträgerin der SPD, Andrea Nahles, kündigte Verhandlungen an, »bis es quietscht« – gemeint hat sie ganz offensichtlich die abhängig Beschäftigten, die quietschen.