Goethe schrieb in dem Eingangsgedicht zu seiner Farbenlehre: »Wär nicht das Auge sonnenhaft, / Wie könnten wir das Licht erblicken; / Lebt nicht in uns des Gottes eigne Kraft, / Wie könnt uns Göttliches entzücken?« In der Einheit von Auge, Licht und Göttlichem trifft im Auge die Welt auf den Menschen, verbindet sich Materie und Beseeltes. »Am farbigen Abglanz haben wir das Leben«, lässt Goethe den Faust ein Grundmuster für alle Künstler aussprechen.
Von Goethe ausgehend, im Sinne bürgerlich-humanistischer Kunst und des befreundeten Anthroposophen Rudolf Steiner, schwebte dem Maler Franz Markau die Einheit von Mensch und Kosmos, von Materie, Geist und Religiösem vor. Zeichen der anthroposophischen Geisteswelt sind die ideale Form und die pastellhaft warme Farbe, das »Pfirsichblüt« Steiners für die menschliche Körperfarbe und das Umstrahlen der Figuren, der Äther als leuchtende Himmelsluft, eine religiöse Aura der vollkommenen »Geschlossenheit und Harmonie« (Markau), welche eine heilende Wirkung hervorrufen sollte.
Dem Wahlthüringer Franz Markau (1881–1968) hat das Angermuseum Erfurt zum 50. Todestag eine große Personalausstellung ausgerichtet, ein vom Enkel Anselm Räder vorangebrachtes und von über 300 Besuchern der Vernissage gefeiertes Ereignis. Ein Buch widmet sich den »Aspekten seines Lebenswerkes« (herausgegeben von Kai Uwe Schierz/Thomas von Taschitzki, Mitteldeutscher Verlag, 176 Seiten, 30 €).
Franz Markau erhielt nach einer Anstreicherlehre an der Unterrichtsanstalt des Königlichen Kunstgewerbemuseums Berlin bei Max Friedrich Koch seine Ausbildung. Den Ersten Weltkrieg machte er als Soldat durch; herausragende Zeichnungen, Radierungen und das Bild »Selbstporträt mit Patrone« entstanden 1916 (Gerhard Schneider). Wenn er in den Jahren 1917 und 1918 zur Betreuung von Kriegsversehrten abkommandiert war, spricht das dafür, dass ihm zugetraut worden ist, mit künstlerischen Möglichkeiten so etwas wie therapeutische Hilfe zu leisten. In der mazedonischen Landschaft von Usküb, dem heutigen Skopje, berührt das Mediterrane der Bilder die Seele; so wirken die Bilder noch heute, die Markau dort gemalt hat.
An der Kunstgewerbeschule Erfurt leitete er von 1926 bis Juni1945 die Fachabteilung Dekorationsmalerei und Wandmalerei. Einer seiner bekanntesten Schüler war Otto Knöpfer, der Markau als einen »eigenartigen und einzigartigen Farbenkünstler« würdigte.
Der Katalog verschweigt nicht, dass der »Sturmmann und Professor Markau« sich aktiv in die »NS Kulturgemeinde« eingebracht hatte (Cornelia Nowak), das Expressiv-Realistische ablegte und seinen Malstil anpasste. Zur Stilentwicklung stellt der Kurator Thomas von Taschitzki im Buch fest, wie im späten Werk »eine spirituelle Dimension« bei dem »Feuer von Hochöfen und Gießereien und [den] Laternen des Martinsfestes bis zur religiösen Lichtsymbolik« im »Eigenlicht des Bildes« wirkt. Zum Aspekt der Zeichenkunst untersucht Kai Uwe Schierz, wie es Markau souverän gelang, in den Porträts, die zahlreich zu sehen sind, »die emotionale Gestimmtheit seines Gegenübers [zu] erfassen«. Bildvarianten zum Domhügel beeindrucken, gleichfalls die schönen Kinderbilder, wie »Kleine Wäsche« (1922), die die Nacktheit als ein wunderbares Geschmeide der Natur erleben lassen.
Auch nachdem Markau 1945 am »Hügel«, wie die Erfurter Kunstschule genannt wird, seine Lehrtätigkeit beenden musste, wirkte die Anthroposophie dort und in der Stadt weiter. Im Grafikkabinett wird dazu eine Parallelausstellung gezeigt.
Der Aspekt »lost art«, wie die Ausstellung anfangs heißen sollte (dazu allgemein Herbert Schirmer), verbindet sich mit dem verschwundenen Wandbild »Musik«, dem ich nachgeforscht habe (Beitrag im Katalog): das Wandbild mit zwei mal sechs Meter Größe, das auf Leinwand gemalt und mit einem Holzrahmen an einer Wand des Musiksaals des einstigen Pädagogischen Instituts Erfurt angebracht war (Preis 10.000 DM der Deutschen Notenbank). Das Bild ist für die neuere Thüringer Kunstgeschichte bedeutsam. Erstens hinsichtlich der Stellung, die das Bild im Werk des Künstlers einnimmt, zweitens wegen des allegorischen Bildgehaltes und der geistigen Beziehung zur Anthroposophie und drittens, gerade deswegen, in Bezug auf sein Schicksal als kunstpolitischer Ausdruck.
Das Sujet des Wandbildes »Musik« verknüpft musizierende Kinder mit einem tänzerischen Reigen von drei Männern in »heroischer« Nacktheit mit einem schönen weiblichen Rückenakt, eine Allegorie der Musik und ihren froh und nachdenklich stimmenden Wirkungen, die Tänzerisches weckt. Zwei Entwurfs-Fassungen und eine originalgetreue Probeachse zeigt die Ausstellung. Wer das Bild »Musik« des 77 Jahre alten Künstlers aus den späten 1950er Jahren, aus der Zeit des abbildhaften unmittelbaren Realismus, heraus betrachtet, dürfte sich wundern. Von der »Transmissions«-Mechanik zwischen Ideologie und Praxis keine Spur, nichts von jener direkten Lebensnähe, die von der Bitterfelder Konferenz 1957 gefordert wurde. Das Wandbild wurde ein »Fall« für die »Formalismus«-Debatte und die Überspannung des Bildes veranlasst. Gegen Mitte der 70er Jahre, in der Zeit der kunstpolitischen Öffnung zu »Weite und Vielfalt«, fiel die Hülle zur Freude der Betrachter. Doch mit den Umbauarbeiten 1999 verschwand das Wandbild und wurde ein Kriminalfall. Der Leiter der Abteilung Innere Verwaltung, Bau, Liegenschaften, Beschaffung gab vor, von einem Bild im Musiksaal nichts zu wissen. Die Staatsanwaltschaft Erfurt ermittelte ergebnislos. Die Verjährungsfrist ergibt sich, wie mich der Jurist und Ossietzky-Autor Ralph Dobrawa aufklärte, aus dem § 78 Abs. 3 Ziffer 3 StGB und beträgt zehn Jahre, also heute kein zu ahndendes Verbrechen mehr.
Fatal bleibt das Resümee: In der DDR mit idealer Gesinnung in Auftrag gegeben; dann mit kunstpolitischem Formalismus-Vorwurf verdeckt und kaltgestellt; in toleranten Zeiten der 70er Jahre wieder zur Wirkung gebracht; und im vereinten Deutschland ignoriert, beseitigt, vermutlich privat angeeignet. Ein ostdeutsches Bilderschicksal.
Franz Markau. Aspekte seines Lebenswerks, Angermuseum, Anger 18, Erfurt, bis 8. April, Di-So sowie an Feiertagen 10-18 Uhr. Empfehlung: Geist und Farbe. Winifred Zielonka, eine anthroposophische Künstlerin in der DDR, bis 1. Mai, am aufgeführten Ort und zur selben Öffnungszeit