Bei der II. Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz am 26. und 27. August 1910 in Kopenhagen brachte Clara Zetkin gemeinsam mit Käte Duncker (1871–1953) und Gertrud Hanna (1876–1944), damals Leiterin des Frauensekretariats bei der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands, die Durchführung eines Frauentags zur Abstimmung, »der in erster Linie der Agitation für das Frauenwahlrecht« dienen sollte. Der Antrag wurde einstimmig angenommen.
Am 19. März 1911 gingen unter dem Kampfruf »Heraus mit dem Frauenwahlrecht« in Deutschland mehr als eine Million Frauen auf die Straße und forderten das Wahlrecht, soziale und politische Gleichberechtigung, die Einführung des Acht-Stunden-Arbeitstages, ausreichenden Mutter- und Kinderschutz, die Festsetzung von Mindestlöhnen und gleichen Lohn bei gleicher Arbeitsleistung für alle Frauen. »Eine wuchtige, sozialdemokratische Kundgebung für das Frauenwahlrecht«, so geht es aus einem Bericht des SPD-Parteivorstandes hervor. Die Gleichheit berichtete einige Tage später: »Zahlreiche Polizeimannschaften in der Nachbarschaft der Versammlungslokale bewahrten revolvergerüstet die Stadt vor dem Umsturz der Frauen.« In vielen Orten des Reiches fanden Versammlungen statt, auf denen Resolutionen zum Frauenstimmrecht beschlossen wurden. Bürgerliche Depeschenbüros schätzten die Zahl der Teilnehmerinnen auf 30.000 – »höchstwahrscheinlich gut über die Hälfte zu niedrig«, vermutete Die Gleichheit. Nicht nur in Deutschland, auch in Dänemark, Österreich, der Schweiz und den USA beteiligten sich Millionen von Frauen. 1912 schlossen sich die Frauen in Frankreich, den Niederlanden und Schweden an, 1913 auch die russischen Frauen.
Zunächst fand der Internationale Frauentag an unterschiedlichen Tagen statt. Der 19. März wurde gewählt, um an Ereignisse während der Revolution von 1848 in Berlin zu erinnern. Erst im Jahr 1921 wurde bei einer großen sozialistischen Frauenkonferenz als festes Datum der 8. März festgelegt. Damit sollte an den Textilarbeiterinnen-Streik in Petersburg erinnert werden, der auf andere Sektoren übergegriffen und eine große Demonstration ausgelöst hatte.
Der Beginn des Ersten Weltkriegs führte zu einem tiefen Riss innerhalb der Sozialistischen Frauenbewegung. Internationale Zusammenschlüsse waren nicht mehr möglich. Das aktive und passive allgemeine Wahlrecht konnten die Frauen im Zuge der Revolution von 1918 in Deutschland und in einigen anderen euro-päischen Ländern nach langem Kampf erringen, die soziale und politische Gleichberechtigung lässt noch heute viele Wünsche offen, auch wenn sie in Deutschland seit 1919 »grundsätzlich« und seit 1949 zu den Grundrechten gehört.
Der 8. März ist kein Muttertag und kein Gedenktag, sondern sollte auch heute, nachdem er in Berlin zum Feiertag geworden ist, weiter ein Internationaler Kampftag für die Rechte der Frauen, für eine humane Gesellschaft und für den Frieden auf der Welt bleiben. Der Internationale Frauentag ist für Feministinnen ein Tag, an dem sie die Megaphone in der Hand halten als ein Symbol für den ständigen Auftrag, die Ungehörigkeit der sozialen und geschlechterspezifischen Ungleichheit, die Verweigerung der sexuellen Selbstbestimmung und die Gewalt gegen Frauen* und Kinder anzuprangern und Handlungsstrategien einzufordern.
Der Internationale Frauentag erlebte im Lauf der Geschichte Höhen und Niederlagen. Zunächst wurde er von den Sozialistinnen als großes Ereignis gefeiert, während des Ersten Weltkriegs – bereits verboten – heimlich begangen, dann vergessen. Seit etlichen Jahren wird wieder auf der ganzen Welt an diesem Tag an die Solidarität der Feministinnen appelliert. Auch in Berlin und in vielen anderen Städten tragen sie ihre Wut auf die Straße und kämpfen gegen den Rechtsruck, gegen die Neoliberalisierung, Prekarisierung und nach wie vor bestehende Ungleichbehandlung.
De facto ging die »Frauenfrage« während der 108 Jahre Internationaler Frauentag nur langsam voran. Dennoch sind Frauen nicht mehr zurückzupfeifen. Der Fortschritt der letzten Jahrzehnte besteht darin, dass sich immer öfter Frauen trauen, öffentlich gegen das ungeheure Unrecht der patriarchalen Ordnung anzukämpfen. Frauen sind heute ebenso gut oder gar besser ausgebildet als Männer, sie wollen keine Niedriglöhne, keine Minijobs, keine prekäre und ungeschützte Arbeit und auch keine Freiwilligendienste für Arbeiten, die tariflich bezahlt werden müssen. Sie wollen keine demütigenden Hartz-IV-Gesetze, keinen Arbeitszwang und keine Sanktionen, die sie in Abhängigkeit von anderen Personen bringen und auch keine »Herdprämien«. Sie fordern existenzsichernde Mindestlöhne, Verkürzung der Arbeitszeit im Bereich der Vollerwerbsarbeit, die Umverteilung aller (jetzt) bezahlt und (jetzt) unbezahlt geleisteten gesellschaftlich nützlichen und existenzsichernden Arbeiten auf alle Menschen und Umverteilung des Reichtums. Gesellschaftlich nützliche Arbeiten, haben nichts mit Naturzerstörung, Rüstungsproduktion und Kriegseinsätzen zu tun.
Für den Internationale Frauentag 2019 wurde von einer großen Anzahl von vorwiegend jungen Frauen zum Frauen*Streik aufgerufen. Sie stellen sich in die Tradition des FrauenStreikTages von 1994, zu dem nach der »Wiederherstellung eines großen Deutschlands auf Kosten von Frauen« von Frauen aus Ost und West aufgerufen worden war und bei dem sich mehr als eine Million Frauen bundesweit gegen Diskriminierung engagierten. Sie schließen auch an den großen Streik der spanischen Frauen vom 8. März 2018 an. Bei beiden Streiks wurde sowohl Lohn- als auch Sorgearbeit niedergelegt. Die Spanierinnen haben es geschafft, das Land teilweise lahmzulegen. Frauen* werden also keine Ruhe geben, sondern weiterhin streiten. Denn die Antwort auf die »ganze Frauenfrage«, mit der die Forderung zum ersten Internationalen Frauentag verbunden werden sollte, steht auch heute noch aus. Ebenso wie das Ziel, das Clara Zetkin 1911 im Vorfeld zum Internationalen Frauentag formulierte: »Sein Ziel ist Frauenrecht als Menschenrecht, als Recht der Persönlichkeit, losgelöst von jedem sozialen Besitztitel.« Dieses Ziel sei »erst erreicht, wenn die politische Knebelung des gesamten weiblichen Geschlechts […] ein Ende nimmt.« Um darauf hinzuarbeiten, brauchte es vor hundert Jahren und braucht es auch heute breite Bündnisse von allen Menschen, die mit den Verhältnissen so, wie sie sind, nicht einverstanden sind. Egal wo sie herkommen, wie sie aussehen, wie sie zusammenleben und wo sie hingehen. Das hieße, dass wir weiter für eine von Gewalt, Ausbeutung, Unterdrückung und Kriegen freie Gesellschaft streiten werden, in der alle Menschen selbstbestimmt leben, arbeiten und mitgestalten können. Darauf hinzuweisen, dass eine Demokratie, ihren Namen nicht verdient, solange die soziale Ungleichheit fortbesteht und solange die Ebenbürtigkeit zwischen den verschiedenen Geschlechtern nicht auch de facto in allen Bereichen des menschlichen Lebens und Arbeitens erreicht ist, war und ist die Aufgabe feministischer Politik.
Zum Frauen*Streik 8. März 2019: https://www.frauenstreik.org. Zum Weiterlesen: Gisela Notz: »Der Internationale Frauentag und die Gewerkschaften: Geschichte(n). Tradition und Aktualität«, Berlin, ver.di 2011. Auch im Internet: https://frauen.verdi.de/++file++52256c22890e9b5b05000163/download/Frauentagbroschuere_Web.pdf.
Gisela Notz, Sozialwissenschaftlerin und Historikerin, lebt und arbeitet in Berlin zu historischen und aktueller Frauen- und Geschlechterthemen. Soeben ist von ihr erschienen: Gisela Notz (Hg.): »Wegbereiterinnen. Berühmte, bekannte und zu Unrecht vergessene Frauen aus der Geschichte«, AG SPAK Bücher, 450 Seiten, 24 €.