»Vielleicht nur Chance von 1:10«, hatte CIA-Chef Richard Helms die Wünsche Präsident Nixons auf einem Zettel festgehalten, »doch Chile retten! – Ausgaben lohnen sich – keine Rücksicht auf Risiko – keine Beteiligung der Botschaft – 10 Millionen Dollar zur Verfügung, wenn nötig mehr – Vollzeit-Job für die besten Männer, die wir haben – Ablaufplan – die Wirtschaft aufschreien lassen – in 48 Stunden Aktionsplan vorlegen.« (Ähnlichkeiten in diesem oder anderen Zitaten mit aktuellen Vorkommnissen in Venezuela ergeben sich nicht etwa zufällig, sondern sind systembedingt.)
Die Runde, die am 15. September 1970 – etwa fünf Wochen vor der Wahl Salvador Allendes zum Präsidenten Chiles – im Weißen Haus sitzt, ist exklusiv. US-Präsident Richard Nixon hat außer seinem Sicherheitsberater Henry Kissinger nur noch Justizminister John Mitchell und CIA-Direktor Helms zum Rapport beordert.
Die Stichworte, die der CIA-Chef während der Beratung in sein Notizbuch schreibt und die ein Untersuchungsausschuss des US-Senats in seinem Abschlussbericht zitiert, sind eine brutale und aufschlussreiche Anleitung für Terrorismus. Der Senatsausschuss tagte 1975/76 unter Vorsitz des Demokraten Frank Church und des Republikaners John Tower in Washington.
Bei seiner Vernehmung durch den Ausschuss am 15. Juli 1975 gab Helms zu: »Das war ein Befehl, der so ziemlich alles einschloss [...] Wenn ich jemals einen Marschallstab im Tornister aus dem Oval Office [des Weißen Hauses] getragen habe, dann an jenem Tag.«
Einen Tag später trommelt Helms den CIA-Planungsstab zusammen. Im Protokoll heißt es dazu: »Der Direktor teilt der Gruppe die Entscheidung Präsident Nixons mit, dass ein Allende-Regime für die Vereinigten Staaten nicht akzeptabel sei. Der Präsident verlange von der CIA, die Amtseinsetzung Allendes zu verhindern oder aber, ihn wieder zu stürzen. Der Präsident stelle dafür 10 Millionen Dollar zur Verfügung.« Für den CIA-Putsch in Guatemala hatten 1954 noch drei Millionen Dollar gereicht.
In zwei aufeinanderfolgenden Telegrammen vom 21. September 1970 an den CIA-Chef in Santiago gibt die Geheimdienstzentrale dann das Startzeichen, die Anordnungen Nixons in die Tat umzusetzen. »Zweck der Aktion, Allende an der Machtübernahme zu hindern«, heißt es. »Parlamentarische Kniffe scheiden aus. Militärische Lösung ist das Ziel.« Für die Bestechung chilenischer Abgeordneter sowie für propagandistische und wirtschaftliche Störmaßnahmen werden 250.000 Dollar bereitgestellt.
In einem Bericht an Kissinger weist der US-Botschafter in Chile, Edward M. Korry, am 21. September 1970 darauf hin, dass alle von den USA betriebenen Putschpläne so lange scheitern würden, wie der für seine Verfassungstreue bekannte Armee-Chef, General René Schneider, amtiere. Seine »Neutralisierung oder wenn nötig Absetzung« seien unumgängliche Voraussetzungen für einen erfolgreichen Militärputsch.
In den letzten Wochen vor dem 24. Oktober 1970, dem Tag seiner Ernennung durch das Parlament, versucht die CIA alles, um die Präsidentschaft Allendes zu verhindern. Einer Aktionsgruppe Chile unter Leitung des Vize-CIA-Direktors für verdeckte Operationen, Thomas Karamessines, werden »die operativen Agenten mit der größten Erfahrung und der besten Ausbildung« zugeteilt.
Die CIA-Zentrale in Langley bei Washington übermittelt der CIA in Santiago de Chile im Oktober 1970 einen Auftrag, der die großen Erfahrungen des US-Geheimdienstes beim Organisieren von Staatsstreichen widerspiegelt. Er würde in die Beispielsammlung eines jeden Lehrbuchs über Staatsterrorismus gehören und passt erschreckend genau auch auf das US-Vorgehen heute in Venezuela:
»A) Informationen sammeln über Offiziere, die Neigung zu Putsch erkennen lassen;
B) Putschklima schaffen durch Propaganda, Desinformation, Terroraktionen, die geeignet sind, die Linken zu provozieren, und so einen Vorwand für einen Staatsstreich schaffen;
C) zum Putsch neigende Offiziere informieren, dass die US-Regierung ihnen volle Unterstützung bei Putsch zusichert bis an die Grenze einer direkten militärischen Intervention der USA!«
Mit Billigung des Pentagon wird der Militärattaché der US-Botschaft in Santiago mit den Komplottvorbereitungen einschließlich der geplanten Entführung General Schneiders betraut. Er wendet sich an Offiziere der Militärakademie in Santiago und bespricht die Pläne zur Ausschaltung Schneiders mit den Generalen Viaux und Valenzuela. Als Beweis, dass es sich lohnt, bewilligt der CIA-Stützpunkt General Viaux 20.000 Dollar und eine Lebensversicherung in Höhe von 250.000 Dollar.
Trotz fieberhafter Bemühungen bleiben die Aussichten auf Erfolg trübe. Die US-Söldner, so der Senat, waren »Generale ohne eine Armee«. Ein letzter Versuch der Verschwörer, General Schneider zu Anti-Allende-Aktionen zu überreden, ist – wie der CIA-Stützpunkt an seine Zentrale berichtet – »ein komplettes Fiasko«. Dem müssen auch die Putschplaner in Washington Rechnung tragen. Auf einer Beratung am 15. Oktober 1970 im Weißen Haus kommen Henry Kissinger, US-General Alexander Haig und Karamessines überein, sich auf keinen Fall auf einen »Mini-Putsch« einzulassen, der mit Sicherheit von der verfassungstreuen Armeeführung niedergeschlagen werden würde.
Am 19. Oktober treffen die Waffen auf diplomatischem Wege (!) aus Washington ein. Der US-Militärattaché übergibt sie am 22. Oktober nachts um zwei Uhr an die Verschwörer. Kurz nach acht Uhr überfallen die Putschisten das Auto des Generals und verwunden ihn schwer. CIA-Direktor Helms kommentierte laut Senatsbericht: »Es besteht Übereinstimmung, dass ein maximales Ergebnis erreicht wurde und dass von nun an die Chilenen selbst einen erfolgreichen Putsch managen können. Die Chilenen wurden bis zu einem Punkt geführt, wo eine militärische Lösung zumindest offen für sie ist.«
Einen Tag nachdem das chilenische Parlament am 24. Oktober 1970 Allende als neuen Präsidenten Chiles bestätigt, stirbt General Schneider an seinen schweren Verletzungen. Der CIA-Plan, so stellt der US-Senatsausschuss fest, ging nahtlos »in eine Langzeitstrategie für eine Änderung der Regierung in Chile« über – und war damit drei Jahre später leider sehr erfolgreich, mit verheerenden Folgen für Chile und Millionen seiner Menschen.
Wird jemals ein neuer US-Senatsausschuss enthüllen, wer im Falle von Venezuela im Weißen Haus einen möglichen Putsch plante? Doch das ist ja kein Geheimnis, selbstverständlich auch nicht für die Bundesregierung, ihr Außenministerium und die deutschen Geheimdienste. Das twittern schon die Spatzen von den Dächern des Weißen Hauses.
Dazu kommt: Seit den brutalen US-Regime-Wechseln im Iran 1953, in Guatemala 1954 und Chile 1973, dem missglückten Versuch gegen Kuba 1961 und dem Überfall auf den Irak 2003 haben sich die Methoden nur unwesentlich geändert und sind – auch im vielfach gesicherten Archiv des neuen BND-Gebäudes in Berlin – gut dokumentiert.
Quellen für die von Horst Schäfer übersetzten Zitate: Abschlussbericht des US-Senats »Alleged Assassination Plots Involving Foreign Leaders – U.S. Government Printing Office«, Washington 1975, 349 Seiten sowie die in Zusammenhang damit veröffentlichten CIA-Dokumente