Es war am 9. Dezember 2005, vielleicht erinnern sich manche Ossietzky-Leser, daß ich ihnen den Anfang der Geschichte schon einmal berichtet habe: Vier christliche Pazifisten marschierten – na ja, eine von ihnen, Donna Mulhearn, sagte uns: »Ich hinkte, mit meinen schlechten Füßen« – durch die Wüste bei Alice Springs im Zentrum Australiens zum Stacheldraht, der den riesigen CIA-Stützpunkt Pine Gap, den größten außerhalb der USA, umgibt. Mit Bolzenschneidern schnitten sie ein Loch in den Zaun, gingen hindurch – oder hinkten – und gelangten bis in die Mitte der höchst geheimen Einrichtung. Kletterten auf die Dächer und machten Fotos, wie sie da oben saßen. »Wir inspizierten den Stützpunkt.«
Die vier saßen und warteten auf ihre Festnahme. Es verblüffte sie, daß die »Sicherheitspolizei« den kühnen Einmarsch offenbar nicht bemerkt hatte, »obwohl wir unsere Inspektion angekündigt hatten«. Als andere Pazifisten am geschlossenen Haupttor den Amerikanern sagten: »Unsere Kumpel sind drinnen, inspizieren...«, fanden sie lange keinen Glauben. Erst nach Stunden kam eine Streife, und die vier Inspektoren wurden – endlich – verhaftet.
Daß sie so einfach ins Heiligtum der CIA hatten vordringen können, war den Amerikanern schrecklich peinlich. Plötzlich sprach man in der Öffentlichkeit wieder über den Zweck von Pine Gap, und es wurde klar, daß diese enorme Anlage mit ihren Radartürmen und Satellitenverbindungen keineswegs der Verteidigung Australiens dient, wohl aber der US-Kriegsführung in Irak und Afghanistan sowie der Überwachung von Radiosendungen, Telefonen, Faxen, E-Mails in Australien und der ganzen südlichen Hemisphäre.
Die Pazifisten schickten ihre Fotos an 18 Zeitungen. Die Presse vermeldete die Aktion, brachte aber – bis auf zwei Blätter – keine Bilder. Nur die kleine unabhängige Alice Springs News und die etwas größere Canberra Times druckten je eins. Die Gründe für diese Zurückhaltung kamen erst jetzt, zwei Jahre später, heraus; siehe unten.
Im vorigen Jahr wurde den vier Eindringlingen der Prozeß gemacht. Sie verteidigten sich wacker. Aber die Richterin ließ nicht zu, daß sie Beweise für die Bedeutung von Pine Gap für den Angriffskrieg gegen den Irak vorlegten. Immerhin war sie von den Pazifisten sichtlich beeindruckt und verurteilte sie nur zu verhältnismäßig geringen Geldstrafen zwischen 450 und 1250 australischen Dollar.
Die damalige äußerst reaktionäre Regierung Howard ging in Berufung. Solcher pazifistischer Aktivismus muß abgeschreckt werden! Die Anklage forderte eine Gefängnisstrafe. Der »1952 Defense Act« – ein Gesetz, das bisher noch niemals angewendet wurde – erlaubt eine Höchststrafe von sieben Jahren Haft.
Auch die Pazifisten gingen in Berufung gegen den Schuldspruch. Die Sache kam in der nordaustralischen Stadt Darwin vor Gericht. Wegen ihrer Weigerung, die Geldstrafe zu zahlen, wurden die Vier verhaftet und saßen einige Tage im Gefängnis. Derweil studierte das Oberste Gericht des Northern Territory die Rechtslage.
Jetzt kam heraus, warum die Fotos 2005 fast nirgendwo veröffentlicht wurden: Die Polizei hatte die Redaktionen angerufen und ihnen mit dem 1952 Defence Act gedroht: »Falls ihr die Bilder bringt, könnten auf die ganze Redaktion sieben Jahre Haft zukommen.« Das genügte, um fast allen die Pressefreiheit aus dem Kopf zu schlagen. Greg Thomsen, damals Redakteur der zum Murdoch-Konzern gehörenden Zeitung Centralian Advocate, berichtete Ossietzky: »Ich wollte das Bild unbedingt bringen, aber unser Rechtsanwalt sagte mir, damit würde ich mich strafbar machen. So brachte ich es nicht, und das tut mir heute noch leid.«
Der Supreme Court aber kam zu einem überraschenden Beschluß. Erstens: Freispruch. Denn die Richterin in erster Instanz irrte, als sie nicht zuließ, daß die Funktion des Stützpunkts erörtert wurde; damit machte sie eine effektive Verteidigung unmöglich. Zweitens (eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen): Der 1952 Defence Act ist nicht mehr anwendbar. Dieses Gesetz entstammt dem Kalten Krieg, der ist heute vorbei. Und die Veröffentlichung solcher Fotos ist nicht mehr strafbar. Mit über zwei Jahren Verspätung sendete die staatliche Fernsehanstalt ABC eins der bisher verbotenen Bilder.
Die freigesprochenen Vier und ihre Sympathisanten tanzten vor dem Gerichtssaal. Es lebe die – späte – Pressefreiheit!