In einem Jahr ist US-Präsident Bush nur noch ein Fall für die Geschichtsbücher. Namhafte amerikanische Historiker streiten kaum noch darüber, ob er der schlechteste Präsident aller Zeiten ist. Schließlich sind die USA nicht nur ein Staat, sondern ein Markenname, dessen Ruf nie so ramponiert war wie heute. Von Bushs Nachfolger erhoffen viele, auch in Deutschland, ein Ende des globalen »Kriegs gegen Terror«, der seit mehr als einem halben Jahrzehnt ölreiche Länder zu Schlachthäusern macht. Doch so schnell geht das nicht. Man denke nur an den fast vergessenen anderen Krieg, den die Vereinigten Staaten seit mittlerweile über dreieinhalb Jahrzehnten führen – den »Krieg gegen Drogen«, der bislang ungezählte Menschenleben und über 500 Milliarden Dollar gekostet hat, ohne daß man dem Ziel auch nur einen Schritt näher gekommen wäre.
Weitverbreitet ist der Glaube, daß die aufmüpfigen Studenten der späten 60er Jahre erstmals zu harten Drogen gegriffen und sie in der weißen Mittelklasse salonfähig gemacht hätten. Zumindest für die Vereinigten Staaten trifft das so nicht zu. Bereits ein Jahrzehnt zuvor hatte die CIA den Einsatz von LSD in Verhören erprobt; der Geheimdienst erhoffte sich von dieser Droge sogar Möglichkeiten zur Gedankenkontrolle. Mediziner setzten sie ein, um Alkoholikern, Patienten mit emotionalen Blockaden und Heroinabhängigen zu helfen. Die Regierung bezahlte Forschungsprojekte wie das des Harvard-Dozenten Timothy Leary, der LSD an seine Studenten verteilte. Und zur gleichen Zeit entsandten die USA zwangsverpflichtete junge Soldaten nach Vietnam, die ihre Frustration und Verzweiflung mit illegalen Rauschmitteln wie Heroin unterdrückten.
Ausgerechnet die Nixon-Regierung bezahlte 1970 ein Methadon-Projekt für Heroinabhängige in Washington. Innerhalb nur eines Jahres sanken die Einbruchsdelikte in der US-Hauptstadt um 41 Prozent, weil Beschaffungskriminalität sich erübrigte. Nachdem ein Kongreßbericht den massiven Heroingebrauch von Soldaten in Vietnam offenbart hatte, erklärte Nixon 1971 öffentlich seinen Krieg gegen Drogen, der auch ein Kulturkampf der weißen Mittelschicht gegen alle war, die sich gegen das Establishment engagierten. In den nachfolgenden Jahren gab die US-Regierung immer mehr Geld für die Strafverfolgung und immer weniger für die soziale und medizinische Behandlung von Drogenabhängigen aus. Präsident Bush sen. machte den innenpolitischen Krieg gegen Drogen zu einem militärischen Krieg in Mittel- und Lateinamerika, vor allem in Kolumbien, den inzwischen Präsident Bush jun. fortsetzt.
Noch unter Nixon wurde das Strafmaß für Drogendealer deutlich erhöht; als die neue Modedroge Crack in den 80er Jahren auf den Markt kam, erließ der Kongreß drakonische Strafen gegen alle, die diese Droge benutzten. Das blieb nicht ohne Folgen: 1972 befanden sich 179.000 US-Staatsbürger in Gefängnissen. Heute ist ihre Zahl auf 2,3 Millionen angewachsen – dabei sind die Gewaltdelikte in den USA seit 1991 um ein Fünftel zurückgegangen. Der wichtigste Grund dafür, daß heute zwölfmal mehr Strafgefangene einsitzen, ist die Gesetzgebung, die im Rahmen des Kriegs gegen Drogen entstand: Die Zahl der Festnahmen wegen Drogendelikten erhöhte sich von einer halben Million im Jahr 1972 bis 2006 auf fast 1,9 Millionen. Heute sitzen sechs von zehn US-Strafgefangenen wegen Verstoßes gegen Antidrogen-Gesetze ein. Die Zahl der Drogen-Therapieplätze in US-Gefängnissen wurde seit 1993 halbiert.
Das ist politisch und wirtschaftlich so gewollt. Längst sprechen Experten von einem »gefängnisindustriellen Komplex«, wofür jährlich 35 Milliarden Dollar aufgewandt werden – eine Verlockung, immer größere Knäste zu bauen und zu unterhalten, vor allem in wirtschaftlich unterentwickelten Regionen. Die zuständigen Verwaltungsbeamten freuen sich über den Zuwachs ihrer Kompetenzen, Politiker punkten mit Forderungen nach noch härteren Strafen. Vor zwölf Jahren verkündete die National Criminal Justice Commission: »Wenn es mehr Ver- brechen gibt, müssen wir mehr Gefängnisse bauen; wenn es weniger Verbrechen gibt, liegt das daran, daß wir mehr Gefängnisse bauen – und der Bau von noch mehr Gefängnissen wird die Verbrechensrate noch kleiner machen.« Dieser Wahnsinn hat Methode, wie alles im Krieg.
Es ist kein Zufall, daß 70 Prozent der US-Strafgefangenen weder lesen noch schreiben können. Neun von zehn öffentlichen Schulen zeigen nämlich »Null Toleranz« gegenüber SchülerInnen, die mit Alkohol oder Drogen erwischt werden, was schon für zehntausende den vorzeitigen Abbruch ihrer High-School- oder College-Ausbildung bedeutete. Als diese Regelung vor zehn Jahren eingeführt wurde, sperrte man innerhalb eines einzigen Jahres mehr als drei Millionen SchülerInnen zeitweilig vom Unterricht aus, 87.000 mußten für immer gehen. An manchen Schulen zählen zu den »Drogen« ganz harmlose Mittel wie Midol – eine frei verkäufliche Medizin gegen Menstruationsschmerzen – oder das Schmerzmittel Advil. Staatliche Studienkredite erlöschen automatisch, wenn sich StudentInnen eines Drogendelikts schuldig machen. Genauso hart geht die Regierung gegen Gefängnisinsassen vor, die allein wegen ihrer Drogenvergangenheit keinen Zugang zu speziellen Studiengängen für Strafgefangene erhalten.
Mit dem Krieg gegen Drogen hat die US-Gesellschaft nicht nur einen effektiven Weg gefunden, junge Menschen zu kritiklosem Duckmäusertum zu erziehen. Dieser Krieg bietet auch einen scheinlegalen Weg, Farbige noch weiter an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Obwohl sie nicht häufiger zu Drogen greifen als Weiße, werden farbige Männer fünfmal häufiger wegen Verstoßes gegen Drogengesetze vor Gericht gestellt und erhalten ein deutlich höheres Strafmaß von durchschnittlich 105 Monaten gegenüber 62 Monaten für Weiße.
Was hat der Krieg gegen Drogen überhaupt bewirkt? Die Zahl der Drogen, die heute in den USA erhältlich sind, ist wegen chemischer Neuentwicklungen wie Crack, Ecstasy, Rohypnol, GHB oder Ketamine deutlich größer als vor 37 Jahren. Seit 2006 gilt das illegale Marihuana mit einem Erntewert von rund 36 Milliarden Dollar als kommerziell erfolgreichste Feldfrucht der US-Landwirtschaft. Die Zahl der Drogenabhängigen ist nicht zurückgegangen.
In den 80er Jahren fand sich in allen US-Videospielen der offizielle Antidrogen-Slogan »Winners Don’t Use Drugs«. Aber was ist mit den Verlierern, die aufgrund ihres ethnischen Hintergrunds oder ihres sozialen Milieus nie zu den Gewinnern zählen werden? In einer Gesellschaft von Freien und Gleichen, die keine Verlierer kennt, wären Drogen überflüssig. In den Gesellschaften, wie es sie bisher auf der Welt gab, lindern Drogen unerträgliche Lebensumstände – und sind ein sehr gutes Geschäft. Nicht nur für Drogenhändler.