In der Bundesrepublik greifen, versteckt auf den Listen der Linkspartei, die Kommunisten zur Macht – eine Gefahr, die offenbar in süddeutschen Gefilden besonders heftig droht, denn die dortigen Unionspolitiker warnen vor ihr am lautesten, assistiert von Bild, zum Wohlgefallen etlicher SPD-Prominenter, die ihre Partei von rosa-roten Gedankenspielen abhalten möchten.
Der Horror ist provinzieller Klamauk. Eine Spaltung der SPD entlang dieser Frage ist unwahrscheinlich, und die Unionsparteien wissen, daß sie bei den weiteren Wahlgängen nicht zu Erfolg kommen werden, wenn sie allzu sehr auf »Freiheit statt Sozialismus« setzen. Selbst die treuen LeserInnen der größten deutschen Zeitung haben ganz überwiegend andere Sorgen, und auch die CDU/CSU ist auf die Stimmen bedrängter »Geringverdiener« angewiesen.
Die Repräsentanten des großen Kapitals reagieren auf den Einzug der Linkspartei in westdeutsche Länderparlamente ohne Aufregung. Sie kennen die Machtverhältnisse. Darum wird sich eine im Sinne der Herrschaftssicherung intelligentere Deutung der Lage durchsetzen: Die Bundesrepublik muß sich fürs erste auf ein Fünf-Parteien-System einstellen; im Hinblick auf die Linkspartei ist Integrationsarbeit angebracht (wie sie in der deutschen Hauptstadt schon längst geleistet wird). Bei der Wahl von Koalitionspartnern hat es zukünftig freizügig und bunt zuzugehen, selbstverständlich immer im Rahmen einer parteienübergreifenden Grundübereinstimmung. Diese läßt sich in Kürze so formulieren: Die Artikel 14 (»Eigentum verpflichtet«), 15 (»Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können in Gemeineigentum überführt werden«) und 26 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland sind als nichtexistent zu betrachten. Was den letztgenannten Verfassungsartikel angeht (»Handlungen, die geeignet sind, die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig«), traut man der Linkspartei noch nicht so recht über den Weg; deshalb bleibt ihr der Zugang zu einer Koalition im Bund vorläufig verschlossen.
Flexibilitätssteigerung beim Hin und Her von Koalitionen stand ohnehin an. Ein Bündnis von CDU und Grünen auf der Ebene von Ländern war schon angebahnt, bevor Kurt Beck rosa-roten Gedankenspielen freien Lauf gab. »Wenn die SPD die rote Karte zieht, zeigen wir ihr die grüne«, erläuterte der CDU-Bundestagsabgeordnete Steffen Kampeter die »neue Beweglichkeit«, und Beck erhofft sich von der »roten Karte«, daß die FDP aufgescheucht wird, für seine Partei wieder mehr Koalitionsbereitschaft aufzubringen.
Rosa-Rot in der Stadt Berlin, vermutlich Schwarz-Grün demnächst in Hamburg, in Niedersachsen Schwarz-Gelb, in Hessen doch noch Rosa-Gelb-Grün oder, wenn’s nicht anders geht, Rosa-Grün von Rot toleriert – da fehlt nur noch Schwarz-Rot irgendwo. Auf längere Sicht ist nichts auszuschließen.
Die politische Philosophie, der all diese Koalitionsgeschäfte folgen und der auch die Linkspartei zuneigt, ist diese: Opposition ist im Parteiensystem eigentlich überflüssig, bewirken kann und soll sie nichts, ihren Sinn hat sie nur als Wartestand, um bei nächster Gelegenheit mitzuregieren. Wie Friedrich Schorlemmer, zu Unrecht als aufmüpfiger Demokratiedenker angesehen, jetzt im Freitag schrieb: Parteien sind für die »konkrete Mitverantwortungsübernahme« da. Das hat seine Logik, wenn an tiefergreifende oder weiterreichende gesellschaftspolitische Alternativen sowieso nicht gedacht ist, wenn Parteien- und Parlamentspolitik dem Konflikt der sozialen Klassen keinen Ausdruck geben soll, genauer: wenn Klassenkampf von unten nicht aufkommen darf. Klassenkampf von oben findet ja tagtäglich statt.
Die Partnerwahl wird also neu liberalisiert – unter der Voraussetzung, daß es im gesamten Farbenspiel neoliberal zugeht.
Einem wachsenden Teil der wahlberechtigten Bevölkerung gefällt das nicht, auch die abnehmende Wahlbeteiligung in Hamburg ist ein Zeichen dafür. Den Parteien macht dieser Vertrauensverlust aber nicht wirklich Sorge. Der Kuchen, den sie unter sich aufteilen können, bleibt ungeschmälert. Solange keine Partei auftritt, die zum Thema macht: »Wie demokratisch ist diese Demokratie?«
Literatur zum Thema: »Demokratie – wo und wie?«, hg. von Norman Paech, Eckart Spoo und Rainer Butenschön, VSA-Verlag, Hamburg