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Wie die Mächtigen daherreden  (Werner René Schwab)

Wenn die Neoliberalen das Wort »Mindestlohn« hören, reagieren sie, als stünde nicht nur der Untergang der Bundesrepublik Deutschland, sondern ganz Europas vor der Tür.

Dieter Hundt, in seiner Antrittsrede nach der Wiederwahl zum Präsidenten des Bundesverbandes Deutscher Arbeitgeber: »Die Bundesregierung hat mit dem Post-Mindestlohn ein Desaster angerichtet.« – Mathias Döpfner, Chef des an der PIN AG maßgeblich beteiligten Axel-Springer-Verlags: »Mindestlohn bei Briefträgern kostet Zehntausende von Arbeitsplätzen. Denn wir können es uns nicht leisten, einen Stundenlohn zwischen 8.00 und 8.90 Euro zu zahlen.« – Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU): »Mindestlohn vernichtet Arbeitsplätze.« – FDP-Chef Guido Westerwelle: »Wer einen gesetzlichen Mindestlohn vorschreibt, verrät die soziale Marktwirtschaft.« Was schert sie alle die Tatsache, daß es in 20 der 27 EU-Mitgliedsstaaten längst allgemeine gesetzliche Mindestlöhne gibt, die deutlich über 8 Euro pro Stunde liegen? Wohltuend hebt sich von seinen deutschen Gesinnungsfreunden und Auftraggebern Professor Bert Rürup ab, Vorsitzender des Sachverständigenrates der Bundesregierung – aber nur auf den ersten Blick: »Mindestlohn brauchen wir über-all. Er darf aber nirgendwo über 4.50 Euro pro Stunde betragen.« Inzwischen haben allerdings Bremer Arbeitsrichter geurteilt, Stundenlöhne von 5 Euro zum Beispiel für Auspackhilfen in Supermärkten seien sittenwidrig.

Zornesausbrüche, Drohungen und finstere Prognosen gelten nicht nur dem Mindestlohn. Die Neoliberalen sehen Freiheit und Demokratie schon in Gefahr, wenn immer mehr Menschen und Organisationen auf die wachsende Kluft zwischen ein paar Reichen und den vielen anderen hinweisen und soziale Gerechtigkeit fordern.

So warnt Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, stellvertretender Vorsitzender der SPD: »Soziale Gerechtigkeit ist zwar wichtig, aber nicht entscheidend für Wahlsiege. Deshalb darf die SPD auch nicht nach links unten schielen.« Denn wenn seit Jahren die Gewinne aus Vermögen, Aktien und Unternehmertätigkeit viel stärker steigen als Löhne, Gehälter und Renten, dann dürfen wir das nicht etwa als verschärfte Ausbeutung oder gar als Diktatur des Kapitals verstehen, sondern ganz einfach als »Entkopplung der Einkommen«. So »wertneutral« sieht es Walter Rasemacher, der Chef des Statistischen Bundesamtes. Und sein Amt stellt jetzt auch fest: »Jeder Deutsche hatte im Jahr 2007 ein Guthaben von 57.900 Euro«, wobei der Geldbesitz von Arbeitslosen und Milliardären in einen Topf geworfen wurde. Das veröffentlichen dann viele Tageszeitungen kommentarlos und ohne Erläuterungen unter dem Titel: »Deutsche so reich wie nie«. Nicht erwähnt wird in diesem Zusammenhang, daß die Zahl der Hilfsbedürftigen, die aus wirtschaftlicher Not auf Lebensmittelspenden angewiesen sind, im gleichen Jahr um 300.000 auf über eine Million gestiegen ist. Die Melodie ist immer die gleiche. Der Inhalt der Texte auch. Und die, die den Unsinn äußern (Lohnsenkung führt zum Aufschwung, Arbeitszeitverlängerung zum Abbau der Arbeitslosigkeit, Krieg zum Frieden), verstehen sich als Elite.